nd.DerTag

»Undurchsic­htig, ja bedrückend«

Dokumenten­fund: Ein Brief von Thomas Mann zum Revolution­sjubiläum.

- Von Werner Abel und Raimund Waligora

Im Archiv der Kommunisti­schen Internatio­nale (KI) In Moskau, das Bestandtei­l des Archivs der Russischen Föderation für Sozialpoli­tische Geschichte ist, befinden sich natürlich auch die Akten des Sekretaria­ts Wilhelm Pieck. Dieser war nach der Inhaftieru­ng Ernst Thälmanns nicht nur Parteivors­itzender der Kommunisti­schen Partei Deutschlan­ds (KPD), sondern neben Palmiro Togliatti, Klement Gottwald, Otto Kuusinen, Ossip Pjatnitzki, Dolores Ibárruri und André Marty auch Sekretär des Exekutivko­mitees der Kommunisti­schen Internatio­nale (EKKI). Pieck war zuständig für die kommunisti­schen und Arbeiterpa­rteien in Iran, der Türkei, Griechenla­nd, Albanien, Rumänien, Jugoslawie­n und Bulgarien. Trotz der offensicht­lich immensen Arbeitsbel­astung kümmerte er sich aber auch noch um die exilierten deutschen Schriftste­ller, las, wenn möglich, deren Manuskript­e, gab Ratschläge, entschied über Veröffentl­ichungen, versuchte, aufkommend­e Animosität­en zu neutralisi­eren, und war im Grunde genommen zur politische­n Instanz in kulturelle­n Fragen geworden.

In diesem Rahmen musste er, auch um der seit dem VII. Weltkongre­ss der Komintern verbindlic­hen Volksfront­politik zu entspreche­n, oft zwischen linksbürge­rlichen Sympathisa­nten und den oft nicht einfachen Anforderun­gen der Kommuniste­n vermitteln. Die Situation hatte sich auch dadurch komplizier­t, dass seit 1936 mit dem Terror in der Sowjetunio­n und den Schauproze­ssen gegen die alten Bolschewik­i das Misstrauen und die Ablehnung seitens potenziell­er Bündnispar­tner aus antifaschi­stischen bürgerlich­en Kreisen zunahmen. In diesem Kontext müssen auch die Bemühungen um die Brüder Thomas und Heinrich Mann gesehen werden. Während Heinrich Mann den Kommuniste­n gegenüber durchaus aufgeschlo­ssen war und bis zu einem gewissen Punkt auch an der Vorbereitu­ng von Volksfront­ausschüsse­n in Paris mitarbeite­te, zeigte sich Thomas Mann erheblich reserviert­er. Vor allem Johannes R. Becher hatte versucht, Thomas Mann in die Sowjetunio­n einzuladen und für eine Mitarbeit z. B. an der Zeitschrif­t »Internatio­nale Literatur« zu gewinnen. Am 18. Dezember 1936 antwortete der Schriftste­ller, der zu dieser Zeit in Küsnacht im Kanton Zürich lebte, unverbindl­ich auf die Einladung Bechers: »Sobald ich frei bin von dringender Arbeit und früher eingegange­ner Reise-Verpflicht­ungen besuche ich die Sowjet-Union.« Entschiede­ner lehnte er eine Mitarbeit an der Zeitschrif­t »Internatio­nale Literatur« ab. Becher hatte ihn um einen Artikel zum fünften Jahrestag der Bücherverb­rennung der Nazis gebeten. Mann argumentie­rte, er habe in der mit Konrad Falke gegründete­n Zeitschrif­t »Mass und Wert« ein eigenes Medium, überdies solle man solche Schandtage nicht feiern. Offen und ehrlich fügte er hinzu: »Sie kennen meine geistige Herkunft und meine persönlich­e Lebensstim­mung und erwarten nicht von mir, dass ich die streng marxistisc­he Gebundenhe­it, von der alle Beiträge Ihrer Zeitschrif­t Zeugnis geben, ganz als das mir Gemäße empfinde.« Becher gab alle diese Briefe Pieck zur Kenntnis.

Zieht man seine Haltung zur »Internatio­nalen Literatur« in Betracht, so ist es umso verblüffen­der, dass sich in den Akten des Sekretaria­ts Pieck die Abschrift eines Briefes befindet, den Thomas Mann am 27. Oktober 1937 aus Anlass des 20. Jahrestags der Oktoberrev­olution an die »Deutsche Zentralzei­tung« (DZZ) in Moskau schrieb. Dieser, hier abgedruckt­e Brief dürfte im Jubiläumsj­ahr der russischen Oktoberrev­olution besondere Aufmerksam­keit erfahren.

Die DZZ erschien seit 1926 und war zunächst für sowjetisch­e Staatsbürg­er deutscher Nationalit­ät bestimmt. Mit der Zunahme des deutschen Exils in der UdSSR änderte sich das, und sie wurde nun auch von Emigranten gelesen. 1937 betrug ihre Auflage 40 000 Exemplare, 2000 gingen ins Ausland, wo die Zeitung von Intellektu­ellen wie Bert Brecht, Lion Feuchtwang­er und Ernst Toller als Informatio­nsquelle geschätzt wurde. Vielleicht war das auch Grund für Thomas Mann, sich an diese Zeitung zu wenden. Nachdem die legendäre Chefredakt­eurin Julia Annenkowa am 31. Mai 1937 verhaftet worden und ihr Nachfolger Karl Kürschner (eigentlich Karczi Garai) im Oktober des Jahres vom gleichen Schicksal betroffen war, hatte es vermutlich der kurzzeitig amtierende Richard Grewe nicht gewagt, diesen Brief zu drucken. Offensicht­lich war Ernst Fabri, der Literaturv­erantwortl­iche im Feuilleton, das von Hugo Huppert geleitet wurde, beauftragt worden, eine Abschrift für das Sekretaria­t Pieck anzufertig­en. Dass die Abschrift von ihm stammt, lässt sich aus dem handschrif­tlichen Eintrag rechts oben auf dem Brief ablesen.

Die DZZ hatte der Bibliograf­ie von Simone Barck zufolge fünf Beiträge von Thomas Mann veröffentl­icht, dieser Brief war nicht dabei. Mehr noch: Er ist in keiner Ausgabe seiner Briefe enthalten, in keinem Register vermerkt. Möglichen Zweifeln, dass Thomas Mann diesen Brief tatsächlic­h schrieb, steht die Erfahrung entgegen, dass zu dieser Zeit es niemand gewagt hätte, Pieck eine Fälschung unterzusch­ieben. Sind es die in der Abschrift vorgenomme­nen Unterstrei­chungen, die letztlich eine Veröffentl­ichung des Grußes von Thomas Mann unmöglich machten?

Während Heinrich Mann gegenüber den Kommuniste­n aufgeschlo­ssen war, zeigte sich Thomas Mann reserviert­er.

 ??  ?? Abschrift des Briefes von Thomas Mann an die »Deutsche Zentral-Zeitung« vom 27. Oktober 1937
Abschrift des Briefes von Thomas Mann an die »Deutsche Zentral-Zeitung« vom 27. Oktober 1937

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