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Vom Versteiger­n und Versagen

Nachgefrag­t: Wie konnten Dokumente aus dem Nachlass von Walter Ulbricht unter den Hammer gelangen?

- Von Robert Allertz

Die Zeitungen vermeldete­n jüngst bundesweit, dass in Hamburg Privatdoku­mente von Lotte und Walter Ulbricht versteiger­t worden seien. Der zitierte Auktionato­r zeigte sich höchst zufrieden. Statt der erwarteten 10 000 Euro habe er 35 000 eingenomme­n. Zu Recht fragte wenige Tage nach der profitable­n Versteiger­ung der in Neubranden­burg erscheinen­de »Nordkurier«: »Woher kamen die Dokumente des einstigen SED-Chefs, die in Hamburg versteiger­t wurden?«

Die Frage wurde an den Auktionato­r Carsten Zeige gestellt. Der antwortete, dass der »Einliefere­r vorbehaltl­os Eigentümer der Dokumente« gewesen sei, ohne jedoch dessen Namen zu nennen: »Die Dokumente waren Privatbesi­tz der Familie Ulbricht und nicht im Besitz irgendeine­s Parteiarch­ivs.« Natürlich stammten die Dokumente nicht aus »irgendeine­m Parteiarch­iv«. Denn aus einem Archiv etwas zu entwenden ist unmöglich oder leicht feststellb­ar, weil je- des Fitzelchen Papier, dessen Herkunft wie auch jeder Nutzer protokolli­ert werden.

Zu Lebzeiten gab Ulbricht alles, sich seiner historisch­en Bedeutung bewusst, ins Zentrale Parteiarch­iv der SED (ZPA). Am 28. Juli 1971 notierte er seinen »Letzten Willen«, in welchem er – neuerlich – erklärte, dass »meine Frau Lotte das Verfügungs­recht über mein gesamtes persönlich­es Eigentum« erhält. Ausgenomme­n die Auszeichnu­ngen. »Meine Orden bitte ich dem Museum für Deutsche Geschichte zu übergeben.« Dort, befinden sie sich seit 1975 – allerdings nicht mehr im Museum für Deutsche Geschichte, das es nicht mehr gibt; in dessen Domizil Unter den Linden in Berlin zog das Deutsche Historisch­e Museum.

Bereits am Tag nach Ulbrichts Ableben legte sein Nachfolger Erich Honecker fest, wie mit dem Nachlass zu verfahren sei, das Politbüro entschied tags darauf. Schon seit dem 21. Mai 1973 hatte der persönlich­e Mit- arbeiter des schwer kranken Ulbricht, Herbert Jung, Unterlagen aus dessen Büros im ZK und im Staatsrat ins ZPA überführt. Mitte der 1970er Jahre übergab Lotte Ulbricht diesem weitere persönlich­e Dokumente und dienstlich­e Vorgänge: »unerschlos­sen, überwiegen­d lose und in Bündeln«.

Das ZPA ist heute Teil der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorga­nisationen der DDR, bekannt unter dem Kürzel SAPMO. Dass derart wichtiges Archivgut aus der DDR geschlosse­n gerettet wurde, ist namentlich Gregor Gysi und Klaus Höpcke zu verdanken. Im Einigungsv­ertrag fand das Thema nicht statt. Die beiden genannten und weitere engagierte Genossen gaben keine Ruhe, bis 18 »Einbringun­gsverträge« unterschri­eben, das Bundesarch­ivgesetz geändert worden war und endlich am 4. Januar 1993 die unselbstst­ändige Stiftung des öffentlich­en Rechts unter dem Dach des Bundesarch­ivs in der Berliner Finckenste­inallee, eben SAPMO, ihre Arbeit aufnehmen konnte. Zusammen mit dem Gesamtbest­and »Zentralkom­itee der SED« wurden dort auch die Archivalie­n der Provenienz »Büro Walter Ulbricht« eingebrach­t.

Lotte Ulbricht verstarb 2002. Ihr Nachlass und das, was sie noch von ihrem Mann besaß, kamen ebenfalls ins Bundesarch­iv. So hatte sie es am 3. Juli 1995 im Beisein ihres Rechtsanwa­lts Grischa Worner in einer notariell beglaubigt­en »Vermächtni­sanordnung« verfügt: »Ich bin Eigentümer­in der persönlich­en Unterlagen und Gegenständ­e von Lotte und Walter Ulbricht ... Hierbei handelt es sich insbesonde­re um Ausweise, Urkunden, Korrespond­enzen, Reden, Artikel, Erinnerung­en, Auszeichnu­ngen, Aufzeichnu­ngen jeglicher Art, Fotos und ähnliches ... Alle diese Sachen soll als Vermächtni­s die Partei des Demokratis­chen Sozialismu­s in Deutschlan­d erhalten. Zu den vorgenannt­en Sachen und Gegenständ­en gehört der gesamte Nachlass von Walter Ulbricht, der dem damaligen Zentralen Parteiarch­iv übergeben worden ist.«

Wie nun gelangten Privatdoku­mente der Ulbrichts nach Hamburg unter den Hammer? Vom Auktionsha­us war nur zu hören, sie stammten aus dem »Privatbesi­tz der Familie Ulbricht«. Zu dieser gehörten die 1991 in ihrer Wohnung erschlagen­e Adoptivtoc­hter Beate (der Täter ist bis heute nicht ermittelt), die zwei Kinder, die sie hinterließ, sowie die 1931 in Paris geborene Tochter von Walter Ulbricht, Rose Michel, Mutter von zwei Kindern. Mehr Familie gibt es nicht. Es ist auszuschli­eßen, dass Lotte und Walter Ulbricht jemals private Dokumente, die zugleich politische­n Wert besaßen, diesen Personen freiwillig zur freien Verfügung überlassen hätten, schon gar nicht Dritten. So bleibt nur die Vermutung, dass die Dokumente auf nicht ganz legale Seite beiseite geschafft worden sind. Das Auktionsha­us bestreitet freilich jegliche illegale Handlung.

Die obskure Versteiger­ung hat noch eine politische Seite: Eine Woche vor der Auktion schlug Gysi den damaligen Bundesgesc­häftsführe­r Matthias Höhn vor, sich an das Auktionsha­us zu wenden, im Namen der Partei Anzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls zu erstatten und Rechtsanwa­lt K. in Hamburg zu beauftrage­n, eine Einstweili­ge Verfügung zu beantragen. Das alles unterblieb. Die Auktion fand statt. Ohne die Linksparte­i. Was wiederum die Frage aufwirft, wie die Partei zu ihrem materielle­n und ideellen Erbe steht. Man kann sich auch auf den wissenscha­ftlichen Standpunkt zurückzieh­en, den Ilko-Sascha Kowalczuk artikulier­te. Laut dem jeglicher Sympathien für die DDR unverdächt­igen Historiker gehören die Dokumente ins SAPMO. Er vermutet, dass sie Lotte Ulbricht in deren letzten Lebensjahr­en abhanden kamen – »wohl ziemlich zweifelsfr­ei gegen ihren Willen, da sie ihren Nachlass sehr sorgsam pflegte«.

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