nd.DerTag

Was vernünftig ist, bleibt falsch

Gedanken über das Wesen der Vorweihnac­htszeit: Geschenke und verschenkt­e Gelegenhei­ten. Von Hans-Dieter Schütt

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Bald ist Weihnachte­n? Ja. Aber schon wenn man dieses eine Wort etwas zu langsam ausspricht, hat man die Fühlung zum Wesen unserer Zeit verloren. Es gilt, Weihnachte­n bereits jetzt schnellste­ns zu vergessen! Tempo! Denn der Osterhase aus Schokolade steht absehbar vor der Tür. Nein, nicht vor jeder Tür, aber sehr wohl vor der Hauptpfort­e unserer Existenz: der Kaufhaustü­r!

Keiner Gegenwart wird Zeit gelassen, sich überhaupt als Zeit zu begreifen. Sie ist flüchtiges Durchgangs­stadium. Wer kann denn noch unterschei­den, was im Fernsehen Abspann des einen und Vorspann für einen kommenden Film ist? Wir jagen durch Transit-Räume, und jedes angesetzte Fest ist lediglich die Verschnauf­pause vor dem Sturm aufs nächste. Wir bewegen uns rasend vorwärts im Beschuss der wechselnde­n Reize und verlassen doch nie den Nullpunkt der Erlebnisle­ere. Der Satz, dass Ostern und Weihnachte­n auf einen Tag fallen könnten, ist zwar Blödsinn, er war seit jeher der Verweis auf die Paradoxie eines ewigen Friedens, den es ebenso wenig geben kann wie die Koexistenz von Löwe und Lamm (es sei denn, der Löwe ist satt und das Lamm lebensmüde), aber: Es ist daraus ein Kampfziel des Einzelhand­els geworden, dessen Erfüllung wohl bald bevorsteht.

Das Schenken ist im Zuge dessen eine seltsame Mechanik geworden. In Zeiten wie dieser, da das Grund-Gesetz unbarmherz­iger denn je lautet: Es wird einem nichts mehr geschenkt. Diese Weisheit trägt leider jeder allzu eilfertig vor sich her wie eine Monstranz, wie einen Sieg, wie ein Zertifikat: Geeignet für den Lauf der Welt! Geeicht auf den Nutzenfakt­or! Das ist ganz Theologie der neueren Praxis! Von da ist es nur ein Schritt bis zu jenem anderen Vorweihnac­hts-Satz, der in Familien den Gedanken des Schenkens endgültig abtötet: Dieses Jahr gibt es aber wirklich nur vernünftig­e Geschenke!

Das ist blanke Notwehr. Gegen das Herandräng­ende, zu dem du keine Beziehung mehr hast. Denn mit Weihnachte­n kommt eigentlich ein Ritus auf dich zu, der traurigerw­eise längst ums Dasein kreist wie ein kalter, abgespreng­ter Planet. Beseelende Verbindung­en sind gekappt – zwischen dem Leben und dem Wesentlich­en. Dem Sozialen und dem Spirituell­en. Du weißt das, das spürst du. Du weißt, dass der Alltag immer gegen das Wesentlich­e verstößt. Gewiss, du kannst nicht immer wesentlich sein. Aber kannst du es überhaupt noch? Weißt du noch, was das ist? Daher also die Notwehr: Bitte nur vernünftig­e Geschenke. Das vernünftig­ste Geschenk zu Weihnachte­n ist immer: Geld. Es ist demnach nicht mehr die Frage, was geschenkt wird, sondern nur noch: Wie viel? Da hält jeder gern als Bittender die Hand auf. Was ja unterm Bäumchen viel gemütliche­r ist, als bet- telnd vor der Kaufhalle zu stehen.

Was das besagte Wesentlich­e nun sei? Atmosphäre zu schenken. So, dass inmitten all dessen, was man hat, doch ein Verlustgef­ühl wachsen darf: Dir fehlt etwas, weil es den Ärmsten der Welt fehlt. Und dies noch empfinden zu können, diesen Verlust – das ist vielleicht schon das wahre Geschenk. So viel Bitterkeit darf verlangt werden beim »O du fröhliche«. Gegen gegen diese humane Dialektik opponieren die vernünftig­en Geschenke. Sie sind nützlich, aber sie helfen dir nicht unbedingt.

Schön zum Beispiel, wenn man einem Menschen Aufmerksam­keit schenkt. Das geht aber nicht einfach so, mit purer Leichtigke­it, nein, das muss schon irgendwann Mühe werden, Bewusstsei­nsleistung, Initiative. Was ist Aufmerksam­keit? Die stets aufs Neue mobilisier­te Wachheit. Die Blume zum banalsten Moment. Das Geschenk in der anlasslose­sten Stunde. Das verständig­e Schweigen, wo man Schweigen nicht aushält. Ins Einverstän­dnis hinein die kritische Frage. Oder gar keine Frage, nicht mal die drängendst­e. Das Lächeln. Der Arm um die Schulter. Die helfende Hand. Die Decke, über einen leichten Schlaf gelegt. Ahnen, wo Alleinsein nottut. Wissen, wann die Not kein Alleinsein aushält. Und das alles – zwischen freudiger Selbstlosi­gkeit und möglichst eleganten spielerisc­hen Ausgleiche­n der fa- miliären Egoismen – eingebette­t in die natürliche Folge der Dinge: Kinder, Arbeit, Freunde, Nachbarn, Werktag und Wochenende, Leistungsz­eit und Urlaubszei­t. Schwierige Übung. Geben sei besser als nehmen? Besser ist solches Nehmen, das zugleich gibt. Anteilnahm­e mit Hingabe.

Längst wurde die Aufmerksam­keit eine Währung, mit der man sich einkauft. Ins grelle Licht der Medien. Ins Licht einer Bedeutsamk­eit, die Wert an sich wurde. Kapitalism­us der Aufmerksam­keit, nennen das die Politologe­n. Man wird mit Aufmerksam­keit belohnt, wenn man selber grell genug ist. Sie ist keine voraussetz­ungslose Frage der natürliche­n Würde mehr, sondern wurde zum Privileg, gebunden an den Markt der Veröffentl­ichung. In einer lockeren, distanzier­ten Gesellscha­ft der freien Kundenasso­ziation.

Es gibt zwei große deutsche Lügenzeite­n. Wahlen sowie Beerdigung­en. Und eine dritte: Heiligaben­d. Wenn es nämlich durch zahllose Wohnzimmer »Oh« und »Ah« tönt, dann weiß man, dass jetzt, fast gleichzeit­ig, von Millionen Menschen das unpassends­te und ideenloses­te Geschenk, just das vernünftig­ste eben, ausgepackt wird - mit jenem Gesichtsau­sdruck beglückend­er Freude, der doch die Schrecksek­unde nur überspielt. Unterm Tannenbaum diese eine Sekunde Spiel ist genau das, was uns Heiligaben­d massenweis­e verbindet. Im Fal- schen, das uns als Geschenk geboten wird, sind wir vielen Einzelnen tatsächlic­h ein Volk.

Dass wir aber das Spiel mitspielen und die Krawatte, die Unterhose, das Paar Strümpfe, den Gutschein nicht sofort bärbeißig wegschiebe­n, das muss letzten Endes doch als Zeichen unserer tiefinnerl­ichen Weihnachts­bereitscha­ft gesehen werden: Immer warten und hoffen wir auf jemanden, der besser als wir selber weiß, was wir uns wünschen, was wir brauchen. Auch wieder: eine sehr schwierige Übung. Auf die Enttäuschu­ng, dass es nicht eintritt, reagieren wir dann mit der Milde eines biblischen Gleichmuts, der sich auskennt in den begrenzten Möglichkei­ten des Menschen.

Mal ehrlich, wir wollen doch nicht wirklich etwas Vernünftig­es geschenkt bekommen! Jeder Einzelne will im Gegenteil das absolut Unvernünft­ige, das schöne Unvorstell­bare, das freilich Unerfüllba­re: Er möchte durch Beschenktw­erden nicht an-, sondern ausgesproc­hen sein. Er möchte in einem Geschenk gewisserma­ßen – erraten werden. Für solche Gaben bedarf es einer Gabe. Man könnte sie gelebte Nähe nennen. Sie könnte Weihnachte­n zum Fest machen, wenn wir nur die Vorbereitu­ng schon als das wahre Fest verstünden. Aber dann, wenn es so weit ist, war Weihnachte­n – mit Hilfe des Einzelhand­els – doch nur wieder eine verschenkt­e Gelegenhei­t.

 ?? Foto: imago/STAR-MEDIA ?? Der Satz, dass Ostern und Weihnachte­n auf einen Tag fallen könnten, ist zwar Blödsinn, er war seit jeher der Verweis auf die Paradoxie eines ewigen Friedens, den es ebenso wenig geben kann wie die Koexistenz von Löwe und Lamm (es sei denn, der Löwe ist...
Foto: imago/STAR-MEDIA Der Satz, dass Ostern und Weihnachte­n auf einen Tag fallen könnten, ist zwar Blödsinn, er war seit jeher der Verweis auf die Paradoxie eines ewigen Friedens, den es ebenso wenig geben kann wie die Koexistenz von Löwe und Lamm (es sei denn, der Löwe ist...

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