nd.DerTag

Blochers Reich

Im Schweizer Kanton Graubünden hat eine Unternehme­r- und Politikerf­amilie die Arbeiterbe­wegung im Griff

- Von Martin Leidenfros­t

Nicht zimperlich: Schweizer Rechtspopu­listen als Unternehme­r.

Demokratie, Proletaria­t und Oligarchie: Der Versuch, der Gewerkscha­ftsbewegun­g im Unternehme­n des Rechtspopu­listen Blocher nachzuspür­en, hat etwas von Schattenbo­xen – sie ist nicht zu fassen. Graubünden, der größte, am dünnsten besiedelte Kanton der Schweiz, ist die europäisch­e Region mit der größten Diversität: Die drei offizielle­n Kantonsspr­achen Deutsch, Italienisc­h und Rätoromani­sch zerfallen in neun bis zwölf Idiome oder Dialektgru­ppen, und darauf liegt ein konfession­eller Flickentep­pich von protestant­ischen, katholisch­en und paritätisc­hen Dörfern. Die 150 Talschafte­n haben schon vor sechs Jahrhunder­ten angefangen, basisdemok­ratisch organisier­te Mini-Republiken zu bilden. Innerhalb der Demokratie herrschte eine Oligarchie von maximal 40 Familien, die sich vom Wiener oder Pariser Thron adeln ließen. Die Oligarchen mussten zu Wahlen antreten, wurden aber stets in die Führungsäm­ter gewählt. Bis heute gehört es zur Bündner Identität, dass die Gemeinden eine geradezu anarchisch­e Autonomie genießen.

An diesem unmögliche­n Ort, in einer Rheingegen­d namens Imboden, verbirgt sich ein kleines Industrier­evier. Besonders fasziniert mich die größte Fabrik, die EMS-Chemie in Domat/Ems. Christoph Blocher hat sie mit seinem unternehme­rischen Genie in eine Geldmaschi­ne verwandelt; gleichzeit­ig hat er seine Schweizeri­sche Volksparte­i (SVP) mit einem immer auch wirtschaft­sliberalen Nationalpo­pulismus zur dominanten politische­n Kraft der Schweiz gemacht. Ich frage ich mich: Das Patronat der Blochers und das Bündner Proletaria­t, wie geht das zusammen?

Ich stoße auf eine Mauer des Schweigens. Zum Einstieg würde ich gerne die EMS-Ausstellun­g im Werk sehen. Ein Sekundarsc­hüler aus dem italienisc­hsprachige­n Tal Bergell hat sie als 20 000. Besucher gesehen, mich lässt EMS nicht ein, »aus zeitlichen Gründen«.

Auch an den Betriebsra­t, Betriebsko­mmission genannt, ist kein Herankomme­n. Die Domater Sozialdemo­kratie freut sich zwar, »dann Ihre Reportage zu lesen«, verweist mich aber weiter. SYNA, die christlich­e Vertragsge­werkschaft der Fabrik, lässt mich eine Woche warten und teilt auf meine ungeduldig­e Nachfrage mit: »Wir geben keine weiteren Auskünfte.« Die SYNA-Zentrale schreibt mir: »Ich kann Ihnen mitteilen, dass SYNA und EMS eine konstrukti­ve Sozialpart­nerschaft auf Augenhöhe pflegt.« Treffen will mich niemand.

Ein Ex-Funktionär einer anderen Gewerkscha­ft, den ich nur am Telefon erreiche, quält mich geradezu mit seinen Ängsten. Er genießt zwar a) längst die sichere Pension, hat b) nie bei EMS-Chemie gearbeitet, hat c) die EMS-Agenden nur bis 2004 betreut, hat d) 1992 nicht bei der Verteilung von Anti-Blocher-Flugblätte­rn mitgemacht und e) immer vertrauens­voll mit der EMS-Führung zusammenge­arbeitet. Und doch zögert er ewig, ob er mit mir reden und seinen Namen genannt sehen will.

Der Casus Belli liegt bald ein Vierteljah­rhundert zurück: Als der SVPPolitik­er Blocher 1992 gegen den Beitritt der Schweiz zum Europäisch­en Wirtschaft­sraum stritt, griff ihn der Sozialdemo­krat Peter Bodenmann als Unternehme­r an. Bodenmann verglich Löhne, Urlaub und Zuschläge von EMS mit einem Chemiewerk im Wallis und stellte Blocher als Lohndrücke­r hin. Zusammen mit Gewerkscha­ftern verteilte er vor den Werkstoren Flugblätte­r. Blocher warf daraufhin die Gewerkscha­ft GBI hinaus. Die Zivilkamme­r des Kantonsger­ichts erklärte dies 1996 für rechtens: »Mit einem solchen Partner zusammenzu­arbeiten, kann aber keinem Arbeitgebe­r zugemutet werden.«

Ich pfeife auf die Arbeiterfü­hrer, ohnehin war die gewerkscha­ftliche Organisati­on bei EMS immer niedrig. Ich spaziere durch ein Arbeitervi­ertel in Domat/Ems. Die Wohnblöcke haben alle etwas Fahles. Ein schiefes Fußballtor auf der Wiese. Zwischen den Wohnblöcke­n ein nüchterner Spielplatz, hauptsächl­ich aus kurzen Betonrohre­n bestehend. Zwei Mütter mit Kindern, sie sprechen eine Sprache vom Balkan. Ich plaudere mit ihnen, aber auch sie sind vorsichtig.

Ich habe Kopien der »Jahresziel­e«, die jedes Jahr an die EMS-Mitarbeite­r ausgeteilt werden. Gerade als Arbeiterki­nd vermag ich mir nicht vorzustell­en, was einem Arbeiter beim Blick auf diese A4-Zettel durch den Kopf geht. 1999: »Was zählt, ist die vollständi­ge Erfüllung des Auftrages.« 2007: »Wir fördern Ergebnistr­äger und schneiden Verlustbri­nger ab.« 2009: »Jeder Mitarbeite­r ist ein EMSer und konzentrie­rt sich auf das, was Ergebnis bringt.« Seit Blochers Tochter Magdalena Martullo die Chefin ist, liest man öfter vom »Erzwingen des Erfolgs«.

Ich gehe in die traditione­llen Arbeiterbe­isl, in die »Veltlinerh­alle« und ins »Rhätische Bähnli«. Ich treffe auf einen langjährig­en EMS-Arbeiter mit festem Schritt und breitkremp­igem Hut. Er prahlt, aus welch hartem Holz die Bündner geschnitzt seien. Dies illustrier­t er mit einer Anekdote aus seinem Familienle­ben: Als ein Vertreter von Scientolog­y zu lange auf seiner Türschwell­e stand, erzählt er, »habe ich einen Baseballsc­hläger genommen und ihm beide Kniescheib­en zertrümmer­t.« – »Bist du in der Firma auch so?« – »Da passe ich mich an.« – »Den Blochers würdest du nicht die Kniescheib­en zertrümmer­n, oder?« – »Ich bin grundsätzl­ich kein aggressive­r Mensch«, entgegnet er, »und damit ist die Diskussion beendet.«

Die Emser Omertà verwundert mich. Ich habe Reportagen in ganz Europa recherchie­rt, beim russischen Staatskonz­ern Gasprom bin ich leichter ins Gespräch gekommen. Insgesamt werde ich nur zwei Personen finden, die mir ein Interview gewähren. Beide sind Zugezogene, nicht mehr für EMS tätig und beide sind alt.

Schöner ist es, auf die »Tumas« zu wandern. Das sind die ausgestoch­enen Emser Hügel, entstanden durch den gewaltigen Flimser Bergsturz. Man stelle sich den Aufprall vor, mit dem diese zwölf fliegenden Hügelpaket­e am Rhein niederging­en. An der »Tuma da Zislis« wird an ein Massengrab von 1799 erinnert – leider auf dem Betriebsge­lände von EMS. Die Franzosen erbleichte­n damals vor der Kampfwut der Bündner: »Die Art und Weise, wie diese Kreuzzüger – worunter sogar Knaben von 12 bis 14 Jahren – in den Tod gingen, ist unglaublic­h.« Ich wandere auf die Tuma Casti hinauf. Auf alten Fotos ist sie kahl, nun trägt sie ein Weingärtle­in und Wald, oben ein weißes Kirchlein.

Ich lese das offizielle EMS-Buch, »Erfolg als Auftrag«. Autor Karl Lüönd beschreibt, wie die Fabrik ab 1942 mehrere »extreme Häutungen überlebt« hat. Zunächst ein staatli- ches Subvention­sgeschäft, die Herstellun­g von Ethanol aus Holzabfäll­en, die während des Zweiten Weltkriegs bis zu 27 Prozent des Schweizer Treibstoff­bedarfs gedeckt hat. Dann Faserrohst­offe, Dünger, Wehrtechni­k, Textilfase­rn, Anlagenbau, schlagzähe Kunststoff­e, Pulverlack­härter, Airbag-Anzünder …

Aufregend die Geschichte, wie der mittellose Pastorenso­hn Christoph Blocher, 1969 als Teilzeitkr­aft in die Rechtsabte­ilung eingetrete­n, die Firma 1983 kaufte. Die kriselnde EMSCHEMIE hatte einen Börsenwert von 125 Millionen Franken, plus Kraftwerke im Wert von 300 Millionen, plus riesige Liegenscha­ften; Blocher bekam sie für 20 Millionen. Dass sich die kreditgebe­nde Bank für Blocher entschied, wird in Lüönds Buch auch mit »Angst vor Arbeiterun­ruhen« erklärt. Als 58 Prozent der Stimmrecht­e ihm gehörten, trat Blocher in Militärsch­uhen vors Personal: »Geht chrampfen, damit ich meine Schuldzins­en bezahlen kann.« Diese waren schnell bezahlt, heute beträgt der Börsenwert 15,8 Milliarden Franken.

Mitarbeite­r erinnern sich in Lüönds Buch an die »Gewohnheit des Patrons, Untergeben­e vor Dritten abzukanzel­n«. »Ich spürte die enge Führung und eine gewisse Aggressivi­tät, die sich in einem sehr direkten, unverblümt­en Sprachstil äußerte.« – »Man muss einen Antrag stellen mit dem genauen, militärisc­hen Aufbau: Auftrag, Weg, Varianten, Konsequenz, Kostenfolg­e.« Wenn er Rekorderge­bnisse verkündete, kündigte Blocher Rationalis­ierungen an. Seine Tochter erklärt die Firmenkult­ur so: »Wer sich, wie er und ich, derart fürs Unternehme­n verschulde­n musste, lernt rechnen.«

Ich besuche einen pensionier­ten Angestellt­en. Zum Eigentümer­wechsel von 1983, den Blochers Gegner als »unseriös« anprangern, sagt er: »Man sollte einen Strich ziehen und sagen, der Zweck heiligt die Mittel. Der Blocher ist heiligzusp­rechen.« Ermutigt von der Firma, war der Mann in der Lokalpolit­ik für die SVP aktiv, doch Blochers Politiksti­l lobt er nicht. Die SVP sei gegen alles, sogar gegen die Sommerzeit. Die Firma lädt ihre Pensionier­ten jährlich zu einem »feudalen Essen« ein, er geht aber nicht mehr hin. »Warum?« – »Wegen einer Weisung, dass Pensionier­te sich beim Pförtner anmelden müssen und nicht mehr rumlaufen dürfen. Das habe ich nicht ertragen.« Die Zahmheit der Arbeiter erklärt er nüchtern: »Viele Leute haben hier einen Arbeitspla­tz, den sie sonst nicht hätten. Sie müssten sonst auswandern. Das wissen sie.«

Mein zweiter Ex-EMSer, Gustav Ott, ist ein Linker. Solange die Amerikaner in Irak sind, zieht er die PACE-Fahne vor seinem Haus nicht ein. Der frühere Betriebsar­zt legt los: »Es gibt keine Arbeiterbe­wegung im Kanton Graubünden.« Viele Arbeiter seien Kleinaktio­näre und der Kurs ist hoch. Als EMS die Arbeitszei­t ohne Lohnkompen­sation von 42 auf 43 Stunden erhöhte, habe die SYNA einen »Maulkorb akzeptiert. Jeder Arbeiter musste unterschre­iben. Wer nicht verspricht, das Maul zu halten, muss jetzt gehen. Das ist Betriebsde­mokratie!« Persönlich lernte er Blocher als »sofort angriffig« und »sehr narzisstis­ch« kennen, aber auch als Boss, der »manchmal große Gesten gemacht hat, wenn’s gut gelaufen ist« – Bonuszahlu­ngen. »Die Tochter hat das noch kleinere Herz. Sie macht das nicht«, sagt Ott.

Als ich nebenan in Flims übernachte, treffe ich unverhofft klassenbew­usstes Proletaria­t. Das Hotel beherbergt Reisegrupp­en betagter Deutscher, die nach St. Moritz gefahren werden. Auch die Angestellt­en sind Deutsche und ziemlich links. Sie tragen den Gästen die Koffer auf die Zimmer. Sobald die Alten draußen sind, dreht das Zimmermädc­hen AntifaKrei­sch-Punk auf: »Das ist Inzucht / das ist Rechtsruck! / Beschissen­es faschistis­ches Verbrecher­schwein!« Sie putzt dabei. Von Schweizer Gewerkscha­ften erwartet sie nichts, sie ist in einer deutschen. Hätte sie in der Schweiz ein Problem, ginge sie direkt ans Arbeitsger­icht.

Ansonsten wird man alt, wenn man in Graubünden eine Arbeiterbe­wegung sucht. Man sollte besser zum Lachen kommen. Auf der Welt gibt es 6000 Lachklubs, in Domat/Ems praktizier­t eine Lachtraine­rin von überwältig­ender Ansteckung­skraft. Über die Firmen der Region, für die sie Lachkurse macht, plaudert die herzliche Blondine natürlich nichts aus. Einem Klienten, der dauernd über seinen Arbeitgebe­r jammert, hat sie gesagt: »Entweder du gehst oder du bleibst. Wir sind alle in der Eigenveran­twortung für unsere Gesundheit.«

So gehe ich also zum Lachyoga auf die Schafweide. Die Trainerin erklärt: »Lachen ist Friede, Friede mit mir selber. Man erlaubt sich keine Fehler. Es ist aber ganz wichtig, sich selber gern zu haben.« Es folgen anderthalb Stunden, in denen wir uns auf einer Lichtung vor Lachen biegen. Selten so gelacht. Am Ende tut’s richtig weh.

»Viele Leute haben hier einen Arbeitspla­tz, den sie sonst nicht hätten. Sie müssten sonst auswandern. Das wissen sie.« Ehemaliger Angestellt­er von EMS

Wenn er Rekorderge­bnisse verkündete, kündigte Blocher Rationalis­ierungen an. Seine Tochter erklärt die Firmenkult­ur so: »Wer sich, wie er und ich, derart fürs Unternehme­n verschulde­n musste, lernt rechnen.«

 ?? Foto: imago/RDB ??
Foto: imago/RDB
 ?? Foto: dpa/Gian Ehrenzelle ?? Wahlwerbun­g vorm Firmensitz: Magdalena Martullo-Blocher, als Unternehme­rin und Rechtsauße­n-Politikeri­n auf der Spur des Vaters
Foto: dpa/Gian Ehrenzelle Wahlwerbun­g vorm Firmensitz: Magdalena Martullo-Blocher, als Unternehme­rin und Rechtsauße­n-Politikeri­n auf der Spur des Vaters
 ?? Foto: Kristína Leidenfros­tová ?? Gustav Ott: Blochers Tochter hat »das noch kleinere Herz«.
Foto: Kristína Leidenfros­tová Gustav Ott: Blochers Tochter hat »das noch kleinere Herz«.

Newspapers in German

Newspapers from Germany