Siegen lernen
Jörn Andersen trainiert Nordkoreas Fußballnationalmannschaft. Ein Besuch in Pjöngjang
Jörn Andersen soll Nordkoreas Fußball besser machen.
Die Trainer Jörn Andersen und Thomas Gerstner sollen den nordkoreanischen Fußball besser machen. »Uns geht es gut«, sagt Gerstner über ein Leben, das fast nur aus Training und Reisen besteht. Das Koryo-Hotel im Zentrum von Pjöngjang ist ein auffälliger Twin-Tower inmitten eines bunten Plattenbautenmeers. 44 Stockwerke, mit Zimmern für mehrere hundert Gäste: Touristen, keine Einheimischen, abgesehen von den Reiseführern, die die Ausländer auf Schritt und Tritt begleiten. Sie müssen während ihres Jobs auch hier wohnen.
Allzu viel los ist nicht im Hotel. In der riesigen Lobby – samt Poststelle, von der man für drei Euro sogar eine E-Mail ins Ausland verschicken kann – herrscht meistens wenig Betrieb. Auch die Verkäuferinnen im Hotelsupermarkt, wo es Kosmetik, Lebensmittel, Kleidung und Souvenirs gibt, befinden sich nicht in erhöhter Stressgefahr. Das Leben geht für sie seinen sozialistischen Gang – auch wenn die Welt wegen des rhetorischen Schlagabtauschs zwischen Kim Jong Un und Donald Trump nach jedem Raketentest den Atem anhält. Wegen der erhöhten Kriegsgefahr haben seit dem Sommer viele ausländische Touristen ihre Reisen nach Nordkorea abgesagt, weshalb das Haus noch weniger Hotelgäste beherbergt als sonst.
Ein ausländischer Gast ist allerdings immer anwesend, weil er in Pjöngjang einen Job hat: Jörn Andersen. Der Norweger mit deutschem Pass, 1990 bei der Frankfurter Eintracht der erste ausländische Torschützenkönig in der Bundesliga, wurde nach verschiedenen Trainerstationen in Deutschland, Griechenland und Österreich im Mai 2016 Nationaltrainer von Nordkorea, sein Vertrag läuft noch bis Mai 2018.
Das größte sportliche Ereignis für Andersens Team ist in diesem Jahr die Ostasienmeisterschaft. Seit dem 8. Dezember spielen Nordkoreas Fußballer das Viererturnier in Japan. Also ausgerechnet dort, wo nordkoreanische Raketen drüberflogen. Das dürfte sich Kim Jong Un zumindest in dieser Zeit wohl sparen. Zu politischen Spannungen kam es bereits vor dem Turnier in Tokio. Schon vor dem ersten Anpfiff hatten die Organisatoren mitgeteilt, dass die nordkoreanische Nationalmannschaft kein Preisgeld erhalten werde. »Angesichts des aktuellen internationalen Klimas und der Resolutionen der Vereinten Nationen halten wir es nicht für möglich, zu zahlen«, sagte Kozo Tashima, Präsident des japanischen Fußballverbandes. Sportlich präsentiert sich Andersens Team zwar gar nicht so schlecht, verlor nach der 0:1-Auftaktniederlage gegen Japan am Dienstag aber auch gegen Südkorea mit 0:1.
Nordkorea ist kein normales Land. Deshalb hat Jörn Andersen in seiner sportlichen Heimat kein Haus in der Hauptstadt bezogen, sondern wohnt mit seiner Frau und seinem Hund im Koryo-Hotel. Ebenfalls dort untergebracht ist Thomas Gerstner, der unter anderem Spieler und später auch Trainer bei Arminia Bielefeld war und jetzt die nordkoreanische U19-Frauenauswahl betreut.
Wenn sie nicht gerade ihrem Job nachgehen, sind beide Fußballlehrer beliebte Überraschungsgäste für den einen oder anderen deutschen Touristen, der im Koryo-Hotel wohnt. Zum Beispiel für Herwig Porada aus Hannover und Peter Matten aus Essen, die im August eine Groundhoppingtour nach Nordkorea unternahmen. Warum? Matten sagt: »Wer sich für Fußball in einem Land interessiert, lernt immer auch was über die Kultur des Landes.« Und das trotz der permanenten Begleitung durch die einheimischen Reiseführer, die keinen Schritt allein durch Stadt und Land zulassen und ihr Programm straff durchziehen: Stadien (inklusive Spiele) angucken, Besuch der Fußballakademie, aber natürlich auch der Partei- und Führerdenkmäler.
Ein Treffen mit dem nordkoreanischen Nationaltrainer stand bei der Reise eigentlich nicht auf dem Plan, gab es als Zufallsprodukt aber obendrauf: im Drehrestaurant des Koryo- Hotels im 44. Stock, samt beeindruckendem Blick auf Pjöngjang und den Juche-Turm mit der ewig leuchtenden roten Fackel. Als die beiden Fußballtouristen aus Deutschland das Restaurant betreten, war es leer, wie so oft. Nur Andersen und Gerstner sitzen allein an einem Tisch bei einem deutschen Weißbier. Weil in der Heimat gerade Bundesliganachmittag war, verfolgten sie auf ihren Handys die Spiele per Liveticker. Sie gehören zu den ganz Wenigen, die Internet Jörn Andersen, Trainer der nordkoreanischen Fußballer nutzen dürfen. Das freut auch Porada und Matten, die so die Ergebnisse ihrer Lieblingsvereine erfahren.
Schnell kommt es zu einer Fachsimpelei über die Bundesliga heute und einst, als Andersen und Gerstner noch aktiv waren. Jörn Andersen spricht offen über sein Fußballleben, zu Interviews ist er allerdings nicht mehr bereit, seit vor einiger Zeit in der »Süddeutschen Zeitung« ein großer Artikel über seinen jobbedingten Aufenthalt in Nordkorea erschien. Andersen wurde als großer Pechvogel beschrieben, der nun auch noch eine Hotelkasernierung in Pjöngjang in Kauf nehme, weil er Geld brauche: »Mögen sich Kim und Trump hochpushen, Andersen macht seine Arbeit«, stand dort. Weil er immer nur mit seinem staatlichen Aufpasser zwischen Hotel und Trainingszentrum kutschiert werde und höchstens mal sonntags zu einer Runde Golf mit Diplomaten käme, war die Rede von »Andersens Gefängnis«. Der Norweger fand den Artikel – der die positiven sportlichen Ergebnisse der Trainerarbeit durchaus anerkannte – ziemlich daneben. Er sagt das ganz ruhig. Einen entspannten Eindruck machte er die ganze Zeit. Der 54-Jährige scheint sich in seinem Gastland eingerichtet zu haben. Sein Leben besteht nur aus Fußball, Training und Reisen.
Drei, vier Mann seien bundesligatauglich, sagt er über seine Spieler, die er die ganze Woche über zur Verfügung hat, weil sie nur am Wochenende bei ihren Vereinen sind. Die Funktionäre des nordkoreanischen Fußballverbandes scheinen mit seiner Arbeit – trotz verpasster WM-Qualifikation – zufrieden zu sein. Auch deshalb hatten sie ihn wohl gefragt, ob er nicht noch einen guten deutschen Trainer wüsste, der die U19-Frauen zur WM führen würde. Mit Thomas Gerstner hat er dadurch neben seiner Frau noch einen weiteren Gesprächspartner aus der Heimat. Gerstner sagt: »Uns geht es gut.«
Man hat das Gefühl, dass die beiden Dauergäste froh sind, wenn ab und zu deutsche Touristen auftauchen, mit denen man über Fußball, Gott und die Welt quatschen kann. »Spiele gegen Deutschland oder die Niederlande für einen Euro Eintritt im 1. Mai-Stadion, das wäre eine feine Sache«, träumt Andersen kurz. Die Arena in Pjöngjang ist mit 114 000 Plätzen das größte Stadion der Welt. »Dann hätten sie hier 150 000 Euro Einnahmen, aber die Koreaner sagen, niemand zahle hier einen Euro für ein Fußballspiel.«
Abgesehen davon stellt sich natürlich die Frage, ob die Nationalmannschaften von Deutschland oder den Niederlanden überhaupt nach Pjöngjang kommen würden. Es kommen ja nicht mal die Teams kleiner asiatischer Fußballländer. Allein drei Mal wurde Malaysias Auswärtsqualifikationsspiel für den Asien Cup gegen Nordkorea verschoben – als Reaktion auf den tödlichen Giftanschlag in Malaysia auf den Halbbruder von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und nordkoreanische Raketentests. Es fand dann auf neutralem Terrain in Thailand statt. Nordkorea gewann 4:1.
Solch ein Sieg am kommenden Sonnabend wäre auch was Gutes: Zum Abschluss der Ostasienmeisterschaft trifft Nordkorea auf China. Ein Erfolg würde den Empfang in der Heimat sicherlich schöner machen.
»Die Koreaner sagen, niemand zahle hier einen Euro für ein Fußballspiel.«