Israels Linke plant Aufklärungskampagne zur Jerusalem-Frage
Meretz-Vorsitzende Gal-On warnt vor Ja zu Trumps Entscheidung / Siedlerbewegung will vermeintliche Gunst der Stunde nutzen
Die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Trump hat auch bei der israelischen Linken Bestürzung und Sorge hervor gerufen. Denn die Regierung nutzt die Situation, um den Siedlungsbau voranzutreiben. Gerade war er noch der neue Star der israelischen Arbeitspartei, doch ebenso schnell, wie der ehemalige Chef des Telefonanbieters Bezek auftauchte, im Juli zum Parteivorsitzenden aufstieg, hat Avi Gabbay die Partei gegen sich aufgebracht: »Das ungeteilte Jerusalem ist die ewige Hauptstadt Israels. Es war eine mutige und richtige Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, diese historische Tatsache anzuerkennen. Der Schritt muss jetzt von vertrauensbildenden Maßnahmen begleitet werden.«
Der Aufschrei reichte aus den Kibbutzim im Norden über die Cafés in Tel Aviv, die heruntergekommenen Plattenbauten der Abgehängten im Süden bis an die Strände von Eilat, von wo die Ex-Parteivorsitzende Schelly Jachimowitsch per Facebook meldete, sie habe mal im Parteiprogramm nachgeschaut, und festgestellt: »Die Aussage widerspricht so ziemlich allem, wofür die Arbeitspartei steht.«
Die Basis hat sich derweil mit der Gefolgschaft der linksliberalen Partei Meretz, der Vereinigten Arabischen Liste, einem Bündnis der drei arabischen Parteien im Parlament und mit einer Vielzahl von linken Organisationen zusammengetan und geht demonstrieren. Immer wieder gibt es derzeit Massendemonstrationen in Tel Aviv und Jerusalem.
Es geht um die mittlerweile sehr umfangreichen Korruptionsvorwürfe gegen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Personen aus seinem Umfeld, darum, dass er sich »zur Marionette Trumps und der Rechten gemacht hat, um an der Macht zu bleiben«, so Zehawa Gal-On, Vorsitzende von Meretz. Denn Netanjahu hat nur wenige Stimmen Mehrheit im Parlament; seine eigene Partei, der Likud, erhielt bei der letzten Wahl gerade einmal 23 Prozent der Stimmen. Um regieren zu können, ist Netanjahu vollständig vom Willen der rechten und religiösen Parteien abhängig; selbst in der eigenen Partei wird Netanjahu deshalb vorgeworfen, eine Situation zu schaffen, aus der es möglicherweise kein Zurück mehr gibt. Denn Profiteur des Siedlungsbaus und der Jerusalem-Entscheidung Trumps ist nicht der Likud, es ist die der Siedlerbewegung nahestehende Partei »Jüdisches Heim«. Sie war es auch, die Anfang der Woche einen Kabinettsbeschluss durchsetzte, der den Bau von Wohnungen für 10 000 Menschen in OstJerusalem vorsieht.
Es gibt derzeit wohl keine Menschen- und Bürgerrechtsorganisation aus dem linken Spektrum, die nicht davor warnt, dass durch Trumps Entscheidung und Netanjahus Reaktion darauf die Chance auf einen Frieden, oder auch nur eine Annäherung an die Palästinenser langfristig verbaut werden könnte. Ein Hauptproblem dabei ist, dass Jerusalem nicht gleich Jerusalem ist: Mehrere rechte Regierungen haben palästinensische Dörfer und israelische Siedlungen nach Jerusalem eingemeindet. Die TrumpEntscheidung umfasst dieses gesamte künstliche Gebilde. Trump habe plötzlich palästinensische Dörfer, in die außer Soldaten selten ein jüdischer Israeli seinen Fuß setzt, zur Hauptstadt Israels erklärt, kritisiert die Menschenrechtsorganisation BeTselem.
»Die USA haben sich damit endgültig als Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt verabschiedet«, sagt Ayman Odeh von der Vereinigten Arabischen Liste. Meretz plant eine Informationskampagne: »Viele Israelis können die Tragweite der Entscheidung gar nicht durchschauen«, sagt Gal-On, »wenn sie Jerusalem hören, dann denken sie an den Westen und die Altstadt; dass das Stadtgebiet mittlerweile viel weiter reicht, tief in die besetzten Gebiete hinein, ist vielen nicht bewusst.«
Doch gleichzeitig ist die Hoffnung darauf, dass das linke Spektrum einen Richtungswechsel herbeiführen könnte gering: Denn Meretz gilt bei den Wählern als elitär, die Arbeitspartei wird Umfragen zufolge als kaum noch vom Likud unterscheidbar wahrgenommen.