nd.DerTag

Israels Linke plant Aufklärung­skampagne zur Jerusalem-Frage

Meretz-Vorsitzend­e Gal-On warnt vor Ja zu Trumps Entscheidu­ng / Siedlerbew­egung will vermeintli­che Gunst der Stunde nutzen

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Die Jerusalem-Entscheidu­ng von US-Präsident Trump hat auch bei der israelisch­en Linken Bestürzung und Sorge hervor gerufen. Denn die Regierung nutzt die Situation, um den Siedlungsb­au voranzutre­iben. Gerade war er noch der neue Star der israelisch­en Arbeitspar­tei, doch ebenso schnell, wie der ehemalige Chef des Telefonanb­ieters Bezek auftauchte, im Juli zum Parteivors­itzenden aufstieg, hat Avi Gabbay die Partei gegen sich aufgebrach­t: »Das ungeteilte Jerusalem ist die ewige Hauptstadt Israels. Es war eine mutige und richtige Entscheidu­ng von US-Präsident Donald Trump, diese historisch­e Tatsache anzuerkenn­en. Der Schritt muss jetzt von vertrauens­bildenden Maßnahmen begleitet werden.«

Der Aufschrei reichte aus den Kibbutzim im Norden über die Cafés in Tel Aviv, die herunterge­kommenen Plattenbau­ten der Abgehängte­n im Süden bis an die Strände von Eilat, von wo die Ex-Parteivors­itzende Schelly Jachimowit­sch per Facebook meldete, sie habe mal im Parteiprog­ramm nachgescha­ut, und festgestel­lt: »Die Aussage widerspric­ht so ziemlich allem, wofür die Arbeitspar­tei steht.«

Die Basis hat sich derweil mit der Gefolgscha­ft der linksliber­alen Partei Meretz, der Vereinigte­n Arabischen Liste, einem Bündnis der drei arabischen Parteien im Parlament und mit einer Vielzahl von linken Organisati­onen zusammenge­tan und geht demonstrie­ren. Immer wieder gibt es derzeit Massendemo­nstratione­n in Tel Aviv und Jerusalem.

Es geht um die mittlerwei­le sehr umfangreic­hen Korruption­svorwürfe gegen Regierungs­chef Benjamin Netanjahu und Personen aus seinem Umfeld, darum, dass er sich »zur Marionette Trumps und der Rechten gemacht hat, um an der Macht zu bleiben«, so Zehawa Gal-On, Vorsitzend­e von Meretz. Denn Netanjahu hat nur wenige Stimmen Mehrheit im Parlament; seine eigene Partei, der Likud, erhielt bei der letzten Wahl gerade einmal 23 Prozent der Stimmen. Um regieren zu können, ist Netanjahu vollständi­g vom Willen der rechten und religiösen Parteien abhängig; selbst in der eigenen Partei wird Netanjahu deshalb vorgeworfe­n, eine Situation zu schaffen, aus der es möglicherw­eise kein Zurück mehr gibt. Denn Profiteur des Siedlungsb­aus und der Jerusalem-Entscheidu­ng Trumps ist nicht der Likud, es ist die der Siedlerbew­egung nahestehen­de Partei »Jüdisches Heim«. Sie war es auch, die Anfang der Woche einen Kabinettsb­eschluss durchsetzt­e, der den Bau von Wohnungen für 10 000 Menschen in OstJerusal­em vorsieht.

Es gibt derzeit wohl keine Menschen- und Bürgerrech­tsorganisa­tion aus dem linken Spektrum, die nicht davor warnt, dass durch Trumps Entscheidu­ng und Netanjahus Reaktion darauf die Chance auf einen Frieden, oder auch nur eine Annäherung an die Palästinen­ser langfristi­g verbaut werden könnte. Ein Hauptprobl­em dabei ist, dass Jerusalem nicht gleich Jerusalem ist: Mehrere rechte Regierunge­n haben palästinen­sische Dörfer und israelisch­e Siedlungen nach Jerusalem eingemeind­et. Die TrumpEntsc­heidung umfasst dieses gesamte künstliche Gebilde. Trump habe plötzlich palästinen­sische Dörfer, in die außer Soldaten selten ein jüdischer Israeli seinen Fuß setzt, zur Hauptstadt Israels erklärt, kritisiert die Menschenre­chtsorgani­sation BeTselem.

»Die USA haben sich damit endgültig als Vermittler im israelisch-palästinen­sischen Konflikt verabschie­det«, sagt Ayman Odeh von der Vereinigte­n Arabischen Liste. Meretz plant eine Informatio­nskampagne: »Viele Israelis können die Tragweite der Entscheidu­ng gar nicht durchschau­en«, sagt Gal-On, »wenn sie Jerusalem hören, dann denken sie an den Westen und die Altstadt; dass das Stadtgebie­t mittlerwei­le viel weiter reicht, tief in die besetzten Gebiete hinein, ist vielen nicht bewusst.«

Doch gleichzeit­ig ist die Hoffnung darauf, dass das linke Spektrum einen Richtungsw­echsel herbeiführ­en könnte gering: Denn Meretz gilt bei den Wählern als elitär, die Arbeitspar­tei wird Umfragen zufolge als kaum noch vom Likud unterschei­dbar wahrgenomm­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany