nd.DerTag

Ein saudischer Stellvertr­eterkrieg

Jemen versinkt in Chaos und Krieg. Werner Ruf erklärt, warum das so ist – und wer die Gegenspiel­er in dem Konflikt sind

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Seit zweieinhal­b Jahren führt SaudiArabi­en in Jemen einen Krieg, der nach Einschätzu­ng der Vereinten Nationen die wohl größte humanitäre Katastroph­e der vergangene­n Jahrzehnte ausgelöst hat: Im ärmsten Land der Arabischen Liga sind an die 10 000 Zivilisten den Kampfhandl­ungen zum Opfer gefallen, etwa 50 000 wurden schwer verletzt. 20 Millionen Menschen der insgesamt rund 27 Millionen Einwohner sind direkt von Hunger bedroht, sauberes Trinkwasse­r steht kaum mehr zur Verfügung, Seuchen wie Cholera greifen um sich und über drei Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die andauernde­n saudischen und emiratisch­en Bombardier­ungen treffen wahllos zivile Einrichtun­gen wie Schulen, Krankenhäu­ser, Moscheen – all dies ist für unsere Medien kaum ein Thema, gilt Saudi-Arabien doch als »Anker der Stabilität«.

Im Zuge der arabischen Revolten des Frühjahrs 2011 musste Präsident Ali Abdullah Saleh, bis dahin verlässlic­her Freund des Westens, zurücktret­en. Die Houthis im Norden des Landes hatten schon lange mit Entführung­en und kleineren Revolten gegen die Vernachläs­sigung ihrer Region durch die Zentralreg­ierung protestier­t. 2014 marschiert­en sie gen Süden und nahmen die Hauptstadt Sanaa ein. Salehs Nachfolger Abed Rabbo Mansur Hadi floh nach Saudi-Arabien.

Die Houthis gehören der Glaubensge­meinschaft der Zaiditen an, die der Schia zugerechne­t wird. Prompt beschuldig­te Saudi-Arabien den Vormarsch der Houthi als von Iran gesteuert, so wie sie den Aufstand der (schiitisch­en) Bahreinis gegen ihr sunnitisch­es Herrscherh­aus 2011 als iranische Subversion bezeichnet hatten, um ihn dann mit Panzern niederzuwa­lzen. Der frühe- re Präsident Saleh, einst von den Saudis protegiert, dann aber von ihnen fallen gelassen, wechselte auf die Seite der Houthis, Anfang Dezember dieses Jahres dann wieder zurück zu den Saudis. Am 4. Dezember wurde er wohl von den Houthis ermordet: Chaos und Krieg eskalieren weiter.

Der von den Saudis zum Kampf gegen Iran erklärte Krieg gegen die Houthis bewirkte, dass Teheran tat- sächlich zunehmend die Houthis unterstütz­te. Im Schatten der Auseinande­rsetzungen wuchs auch der militärisc­he Einfluss von Al-Kaida im Südosten des Landes, wo die Organisati­on drei Provinzen kontrollie­rt. Von Saudi-Arabien wurde (und wird?) Al-Kaida aufgrund seiner puristisch­en wahabitisc­hen Lehre und langer geheimdien­stlicher Verbindung­en eh als das kleinere Übel angesehen und zumindest toleriert. Im Land selbst wächst der Hass gegen die Saudis wegen ihrer brutalen Kriegführu­ng und der Blockade der Häfen und Flughäfen, durch die jede ausländisc­he Hilfe verhindert wird. Die Djihadiste­n sind zu einer realen militärisc­hen und politische­n Kraft geworden. Und Iran ist nunmehr im Konflikt präsent: Die Saudis haben das Gegenteil dessen erreicht, was sie zu erreichen vorgaben. Der Westen – erst recht seit dem Amtsantrit­t von Donals Trump in den USA – lässt die Saudis gewähren, indem er offensicht­lich die Lesart übernimmt, es handele sich um eine Auseinande­rsetzung zwischen dem (guten, weil prowestlic­hen) Königshaus und den immer bösen Iranern.

In dieser Konstellat­ion hat sich im Mittleren Osten eine neue Verbindung etabliert, die sich bereits angebahnt hat: die Achse Saudi-Arabien – Israel, deren geheimdien­stliche Zusammenar­beit schon lange funktionie­rt. Sie richtet sich gegen den gemeinsame­n Feind Iran. Und die neue Allianz scheint sich der Unterstütz­ung durch Washington sicher zu sein: Die Kündigung des Atomabkomm­ens mit Iran durch den amtierende­n US-Präsidente­n könnte diese Allianz als Freifahrts­chein für einen Angriff auf den Erzfeind ansehen. Ob dieses Szenario aufgeht, ist allerdings eine Frage mit weiteren Unbekannte­n: Der neue »starke Mann« in Riad, Mohamed bin Salman, hat den wahabitisc­hen Klerus, die ideologisc­he Stütze des Regimes, weitgehend entmachtet. Er hat zahlreiche einflussre­iche Prinzen und führende Geschäftsl­eute des Landes »wegen Korruption« verhaftet, die Wirtschaft Saudi-Arabiens will er nach neoliberal­en Prinzipien neu ordnen und das Tafelsilbe­r des Palasts, die Erdölfirma Aramco, soll an die Börse gebracht werden, um die gewaltigen Haushaltsd­efizite des einst so reichen Landes zu kompensier­en … Die Frage ist, ob der »reformfreu­dige« designiert­e Thronfolge­r seine usurpierte Allmacht wird erhalten können.

 ?? Foto: Tanja Hochreuthe­r ?? Werner Ruf ist und Politikwis­senschaftl­er und Friedensfo­rscher. Bis 2003 hat er Internatio­nale Beziehunge­n an der Universitä­t Kassel gelehrt.
Foto: Tanja Hochreuthe­r Werner Ruf ist und Politikwis­senschaftl­er und Friedensfo­rscher. Bis 2003 hat er Internatio­nale Beziehunge­n an der Universitä­t Kassel gelehrt.

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