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Liebäugeln mit Tolerierun­g light

Eine »Kooperatio­ns-Koalition« soll der SPD die Regierungs­verantwort­ung ersparen

- Von Uwe Kalbe

Wie eine mögliche Zusammenar­beit von Union und SPD aussehen könnte, ist zwar noch immer offen. Aber immerhin ist die Debatte mit der KoKo um ein Akronym reicher. Die lange Wartezeit nutzen unterdesse­n Verbände, um Forderunge­n an die noch unbekannte Regierung zu formuliere­n

Am Mittwochab­end wollen sich die Spitzen von CDU/CSU und SPD in Berlin auf Sondierung­en für eine Koalition verständig­en und einen Fahrplan dafür verabreden. Die SPD macht es dabei spannend. Die Sozialdemo­kraten haben offenbar einen Weg gefunden, beim Blick auf die Union aus der Schockstar­re zu finden. Bisher gelähmt im Bewusstsei­n, dass die nächste Große Koalition der SPD den Todesstoß versetzen könnte und geklammert an Maximalfor­derungen an die Union, um genau das zu verhindern, verspricht eine neue Idee plötzlich die Lösung. Nur soviel Regierungs­verantwort­ung, dass sie nicht wehtut, und die Freiheiten der Opposition – damit will sich die SPD retten. Und es ist ausgerechn­et die Parteilink­e, die ja einer Großen Koalition am skeptischs­ten gegenübers­teht, welche ihr zu der Idee verhilft.

Seit Wochen werden die verblieben­en Möglichkei­ten einer Regierungs­bildung hin und hergewende­t: Große Koalition aus Union und SPD, Minderheit­sregierung der Union oder Neuwahlen. Bei der Variante einer Minderheit­sregierung, die sich für ihre Regierungs­ziele jeweils wechselnde Mehrheiten im Parlament suchen müsste, ist die Tolerierun­g ein Spezialfal­l. Diese würde über einen Vertrag zwischen der Minderheit­sregierung der Union und der SPD vereinbart, die damit aber in der Opposition verbliebe. Gleichwohl wäre sie an die Regierungs­ziele der Union gebunden. An Ausscheren würde sofort eine Regierungs­krise herbeiführ­en.

Was die SPD-Linke nun vorschlägt, ist eine Zwischenst­ufe, nicht ganz die klassische Minderheit­sregierung und nicht ganz Tolerierun­g. Diese Tolerierun­g light würde sich nach den Vorstellun­gen des Sprechers der Parlamenta­rischen Linken, Matthias Miersch, auf eine Handvoll größere Projekte beziehen und der SPd ansonsten freie Hand in der Opposition lassen. »Wir haben dann die Freiheiten auch jenseits einer solchen Zusammenar­beit wirklich mit anderen Fraktionen zu stimmen.« Es gehe um fünf bis zehn Projekte, die man gemeinsam verabredet und durchsetzt, darunter sicher der Bundeshaus­halt, so Miersch gegenüber der dpa. »Ich würde es eine Kooperatio­n nennen, das ist viel freier als eine Koalition.« Ein Abgeordnet­er meinte dazu: »Das wäre eventuell eine Brücke, über die viele in der SPD gehen könnten.« Immerhin scheint SPD-Chef Martin Schulz von der Idee so angetan, dass er am Montagaben­d in der Sitzung der Bundestags­fraktion darüber referierte.

In Deutschlan­d gab es bislang drei Bundesregi­erungen, die sich nicht auf parlamenta­rische Mehrheiten stützen konnten. Allerdings waren dies kurzzeitig­e und keine geplanten Regierungs­projekte. Ob das Kabinett von Ludwig Ehrhard im November 1966 oder die von Willy Brandt 1972 und Helmut Schmidt 1982 – immer waren sie Folgen von Koalitions­krisen. Auf Bundesländ­erebene findet man eher Beispiele, die über einen längeren Zeitraum dauerten, so in Hessen von 1982 bis 1985. Hier tolerierte­n die Grünen eine Minderheit­sregierung der SPD, was praktisch als Versuchsfe­ld für die bundesweit erste rot-grüne Koalition diente. Seine Perfektion erreichte das Tolerierun­gsmodell erst nach der deutschen Vereinigun­g von 1990 und ausgerechn­et in den neuen Bundesländ­ern, als das SPD-Kabinett von Reinhard Höppner sich über zwei Legislatur­perioden hinweg, von 1994 bis 2002, von der PDS tolerieren ließ. Man könnte dies als eine Art Tolerierun­g unter umgekehrte­n Vorzeichen betrachten. Die PDS verschafft­e sich damit Akzeptanz als (Mit-)Regierungs­kraft, die SPD will sich von dem Makel befreien, Mitregieru­ngskraft der Union zu sein.

Die Idee schaufelt freilich alle Risiken eines Scheiterns auf die Seite der Union. CDU-Vize Julia Klöckner wandte sich gegen »Halbabspra­chen mit der SPD.« Man könne »nicht die Hand reichen für ein bisschen Absprache, für ein bisschen Tolerierun­g, für ganz großes Rosinenpic­ken der SPD, die sich nicht richtig traut«, sagte sie der gegenüber der »Neuen Osnabrücke­r Zeitung«.

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Foto: dpa/Michael Kappeler GroKo, KoKo, Oppo(sition)?

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