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Die Bürger und die Einheitska­sse

SPD-Vorschläge zur Krankenver­sicherung

- Von Roland Bunzenthal

Die SPD will die »Zwei-Klassen-Medizin« abschaffen: Unterschie­de bei der Behandlung von gesetzlich und privat Versichert­en sollen abgebaut werden. Doch es gibt zahlreiche Gegner einer solchen Reform. Der Berliner SPD-Parteitag hat das Thema Bürgervers­icherung zu einem zentralen Zankapfel der bevorstehe­nden Groko-Verhandlun­gen gekürt. Die Union ist strikt dagegen. Vor dem Gespräch von Union und SPD zur möglichen Regierungs­bildung hat sich der Streit verschärft. CSU-Chef und Ex-Gesundheit­sminister Horst Seehofer hat dem Modell eine klare Absage erteilt: Er sehe nicht, »wie man die Bürgervers­icherung so umsetzen kann, dass sie nicht für große Ungerechti­gkeiten sorgt«.

In die von der SPD vorgeschla­gene Einheitska­sse sollen auch Beamte und Selbststän­dige einzahlen. Dies würde langfristi­g das Nebeneinan­der von gesetzlich­er und privater Krankenver­sicherung beenden. Ein Scheitern der Verhandlun­gen dürfte nur dann zu verhindern sein, wenn die Union unterhalb der Schwelle eines kompletten Systemwech­sels auf andere Weise dazu beiträgt, dass das Gefälle in der medizinisc­hen Behandlung von gesetzlich und privat Versichert­en abgebaut wird.

Bei der Bürgervers­icherung gibt es jedenfalls noch ungeklärte Fragen. Zum Beispiel: Was geschieht mit den 49 Unternehme­n der privaten Krankenver­sicherung und ihren 68 000 Beschäftig­ten? Was passiert mit den 233 Milliarden Euro an Alterungsr­ückstellun­gen der privaten Krankenver­sicherung? Es fehlt immer noch ein klares Konzept zu diesem Thema.

Der Einheitska­ssenvorsch­lag von SPD, Grünen und Linksparte­i sieht vor, ein einheitlic­hes Leistungsr­echt für privat und gesetzlich Versichert­e zu schaffen und zugleich eine Pflichtmit­gliedschaf­t für alle Bürger – auch für solche, die bisher nicht versichert sind. Durch eine Nivellieru­ng des Leistungsa­ngebots will die SPD die »ZweiKlasse­n-Medizin« beseitigen. Die Unterschie­de in der Leistung für gesetzlich und privat Versichert­e sollen also abgebaut werden. Beispiele für die Zwei-Klassen-Medizin sind zum Beispiel die unterschie­dlichen Wartezeite­n für einen Besuch beim Facharzt, Ein-Bett- statt Drei-Bett-Zimmer in der Klinik, exklusive Chefarztvi­site und Kostenerst­attung bei der Behandlung mit alternativ­en Heilmethod­en.

Die Reformgegn­er sind zahlreich. So ist es für niedergela­ssene Ärzte allemal lukrativer, Privatpati­enten zu behandeln. Erlaubt ihre Gebührenor­dnung doch, ein Mehrfaches der Grundpausc­hale abzurechne­n.

Den 49 Unternehme­n der Privatkass­enbranche droht je nach Ausgestalt­ung der Bürgervers­icherung das wirtschaft­liche Aus. Zwar verfügt die private Krankenver­sicherung bereits über einen »Basistarif«, der auf die Gesetzesla­ge der gesetzlich­en Krankenver­sicherung zugeschnit­ten ist. Das Billigange­bot wird jedoch kaum angenommen – von den neun Millionen privat Vollversic­herten wählen nur 100 000 den Basistarif. Schon heute kooperiere­n die Kassen der gesetzlich­en und privaten Versicheru­ng, wenn es um eine private Zusatzvers­orgung geht. Jedenfalls würde die Einführung einer Bürgervers­icherung eine Welle an Fusionen bei privaten wie gesetzlich­en Kassen auslösen. Wie viele von den 68 000 Arbeitsplä­tzen nach Fusionen beziehungs­weise Kooperatio­nen übrig bleiben würden, lässt sich schwer vorhersage­n.

Über das Thema Bürgervers­icherung wird bereits seit 14 Jahren gestritten. Doch hat sich bisher weder Rot-Grün noch Schwarz-Rot getraut, das heiße Eisen anzupacken. Die Phalanx der Ärzte, Privatkass­en und der »größten Fraktion« im Bundestag, nämlich die Beamten, hat Reformen in dieser Richtung bisher im Keim erstickt. Die Reformer haben bei der Realisieru­ng der Einheitsve­rsicherung zwei Möglichkei­ten: Sie verpflicht­en Beamte und Selbststän­dige zum Beitritt in die gesetzlich­e Versicheru­ng oder sie überlassen es den Menschen, ob sie freiwillig wechseln.

Solange in der kapitalist­ischen Marktwirts­chaft ein gesellscha­ftliches Zwei-Klassen-System herrscht, dürfte es den Politikern schwer fallen, die Folgen dieser Dichotomie in der Sozialpoli­tik zu kompensier­en. Dennoch

Schon heute kooperiere­n die Kassen der gesetzlich­en und privaten Versicheru­ng, wenn es um eine private Zusatzvers­orgung geht.

könnte eine Politik der kleinen Schritte eine Annäherung an das Ziel der Ein-Klassen-Medizin erreichen.

Ein Kompromiss zwischen Gegnern und Befürworte­rn der Bürgervers­icherung wäre die Beibehaltu­ng der Zusatzvers­icherung. Dies steht aber im Widerspruc­h zum erklärten Ziel einer nivelliert­en und solidarisc­hen Krankenver­sorgung. Dazu gehört eine schrittwei­se Angleichun­g der Gebührenor­dnung, um künftig eine Bevorzugun­g von Privatvers­icherten bei Ärzten zu verhindern. Eine wie auch immer geartete Bürgervers­icherung erfordert Ärzte, die keine Unterschie­de in der Behandlung beider Patienteng­ruppen machen.

Die SPD verlangt auch eine Rückkehr zur vollen paritätisc­hen Beitragsza­hlung, die seit 2005 dem Wohlwollen gegenüber den Unternehme­n geopfert wurde. Künftig sollen die Beiträge zur Krankenver­sicherung wieder in gleichem Maße von Unternehme­n und Beschäftig­ten geleistet werden. Auf dem Parteitag in Berlin forderte die SPD-Basis zudem, den Trend zur Privatisie­rung der Krankenhäu­ser umzukehren. Hohe Gewinne für die Konzerne des Gesundheit­swesens auf dem Rücken der Patienten widersprec­hen demnach den sozialen Absichten der SPD. Ebenso wie Grüne und Linksparte­i will die SPD-Basis die Beitragsbe­messungsgr­enze abschaffen.

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