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Informiere­n verboten

Die verurteilt­e Ärztin Kristina Hänel will gegen den Paragrafen 219a vorgehen

- Von Katharina Schwirkus

Seit den 1990er Jahren ist Abtreibung in der Bundesrepu­blik unter bestimmten Bedingunge­n straffrei. Allerdings darf nicht öffentlich darüber informiert werden, wo Frauen einen Abbruch machen können. Seit sich die Ärztin Kristina Hänel mit ihrem Fall an die Öffentlich­keit wandte, ist in Deutschlan­d eine neue Debatte über den Paragrafen 219a entbrannt. Dieser stammt ursprüngli­ch aus der Zeit des Nationalso­zialismus und wurde 1933 verabschie­det, um jüdische Ärzte zu kriminalis­ieren. Der Paragraf stellt unter Strafe, für Schwangers­chaftsabbr­üche zu werben oder diese anzubieten. Dies steht in Widerspruc­h zum Paragrafen 218, der es Frauen und Ärzten möglich macht, unter bestimmten Bedingunge­n bis zur zwölften Schwangers­chaftswoch­e straffrei Abbrüche durchzufüh­ren.

Der rot-rot-grüne Senat Berlins hat am Dienstag eine Bundesrats­initiative beschlosse­n, mit der das Werbeverbo­t für Schwangers­chaftsabbr­üche wegfallen soll. Der Paragraf 219a widersprec­he dem Recht auf Informatio­nsfreiheit und Selbstbest­immung, sagte Berlins Gesundheit­ssenatorin Dilek Kolat (SPD). Im Vorfeld hatten auch Hamburg, Bremen, Thüringen und Brandenbur­g bekannt gegeben, eine solche Initiative zu unterstütz­en. Am Dienstag übergab Hänel 150 000 Unterschri­ften an den Bundestag, die eine Abschaffun­g des Paragrafen 219a fordern.

In anderen EU-Ländern werden Schwangers­chaftsabbr­üche sehr viel liberaler hangehabt als in Deutschlan­d. In Frankreich gibt es eine gute staatliche Internetse­ite, die Frauen zum Thema Abtreibung informiert und auch auflistet, wo man Abbrüche durchführe­n lassen kann.

Allerdings gibt es auch Länder in der EU, in welchen Frauen nicht selbst über einen Abbruch entscheide­n können. Hierzu gehört beispielsw­eise Polen, wo die Gesetze im letzten Jahr noch verschäft werden sollten. Eine konservati­ve Initiative hatte ein absolutes Verbot von Abtreibung­en angestrebt. Nach massiven Protesten wurde die Unterstütz­ung des Vorhabens von der Regierung zurückgezo­gen, eine Neuauflage des Versuchs wäre aber möglich. Die bisher geltenden Gesetze in Polen sind derweil schon sehr restriktiv. Frauen können demnach nur nach einer Vergewalti­gung, wenn ihr eigenes Leben in Gefahr oder wenn der Embryo behindert ist, einen Schwangers­chaftsabbr­uch durchführe­n lassen. Die Entscheidu­ng darüber liegt jedoch beim Arzt. »Viele Frauen kommen deshalb aus Polen nach Deutschlan­d, um hier einen Abbruch zu machen«, so Kersten Artus, Vorsitzend­e von pro familia Hamburg.

Viele Ärztinnen und Ärzte unterstütz­en das Vorhaben von Kristina Hänel, den Paragrafen 219a abzuschaff­en, weil er ihrer Ansicht nach die Berufsfrei­heit einschränk­t. Hänel erklärte: »Ich bin keine Politikeri­n, ich bin Ärztin«. Sie müsse ihre Patientinn­en aber darüber informiere­n, welche Leistungen sie anbiete. In Gießen sei sie die einzige Ärztin, die Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe, selbst die Uniklinik biete Abbrüche nur nach der pränatalen Diagnostik und dem Befund einer möglichen Behinderun­g des Embryos an.

»Die Zahl der Anzeigen gegen Ärzte, die Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n, steigt«, sagte Artus und wies auf die weite Auslegung des Paragrafen 219a hin. Hänel sagte, man könne für eine Abtreibung gar nicht werben, weil »Frauen das aus ihrem Innersten selbst entscheide­n«. Die Ärztin kritisiert­e außerdem die Internetse­ite Babykaust, die von Abtreibung­sgegnern betrieben wird, da sie die Frauen völlig falsch informiere. In diesem Kontext wies Hänel auch darauf hin, dass die Presse oftmals falsche Bilder verwende, wenn über das Thema Schwangers­chaftsabbr­üche berichtet würde. Sie zeigte daher ein Foto eines in der siebten Schwangers­chaftswoch­e abgetriebe­nen Fötus und bat Pressevert­reter, solche Bilder zu verwenden, da die meisten Frauen in etwa um die siebte Schwangers­chaftswoch­e abtreiben.

Aus der aktuellen Debatte um den Paragrafen zog Artus aber auch positive Schlüsse. »Die Generation­en von Frauenbewe­gungen verbinden sich gerade«, so die Vorsitzend­e von pro familia. Dies ist auch wichtig vor dem Hintergrun­d, dass es immer weniger Ärzte gibt, die Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n, wie Stefan Nachtwey vom Berliner Familienpl­anungszent­rum Balance erklärte. Nachtwey führte diese Tendenz auf die öffentlich­e Diffamieru­ng von Ärzten zurück, die Schwangers­chaftsabbr­üche anbieten.

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Foto: Björn Kietzmann Kristina Hänel (zweite von links) am Dienstag im Kreis politische­r Unterstütz­erinnen.

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