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Saakaschwi­li vorerst freigelass­en

Entscheidu­ng von Kiewer Gericht wird zur Blamage für Präsident Petro Poroschenk­o

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Der angeklagte georgische Ex-Präsident Michail Saakaschwi­li wurde am Montag überrasche­nd von einem Kiewer Gericht freigelass­en. Die ukrainisch­e Hauptstadt erlebte zudem die größte Demo seit 2014. Am späten Freitagabe­nd gelang dem ukrainisch­en Inlandsgeh­eimdienst, womit die SBU am letzten Dienstag noch fulminant gescheiter­t war: Der georgische Ex-Präsident und ExGouverne­ur der südukraini­schen Region Odessa Michail Saakaschwi­li wurde in der Wohnung seines Bekannten festgenomm­en.

Am Montag sollte schließlic­h das Kiewer Bezirksger­icht Petschersk über das vorübergeh­ende Strafmaß für den 49-Jährigen entscheide­n. Kurz vorher, am Sonntag, erlebte die ukrainisch­e Hauptstadt ihre größte Protestdem­onstration seit der Maidan-Revolution 2014. Trotz des miesen Wetters und schweren Schneerege­ns zogen mehr als 10 000 Menschen zum Unabhängig­keitsplatz, um gegen die Festnahme Saakaschwi­lis zu protestier­en.

Und wieder herrschte eine aggressive Stimmung: Nach der langen Kundgebung auf dem Maidan ging die Anhängerko­lonne des ExGeorgier­s zum SBU-Gebäude. »Falls Michail morgen nicht freigelass­en wird, erledigen wir es selbst«, war dort zu hören. Eine direkte Auseinande­rsetzung zwischen Demonstran­ten und Sicherheit­sbehörden konnte gerade noch vermieden werden.

Tatsächlic­h haben Saakaschwi­liAnhänger am Montag das Gericht, ganz zentral in der Prachtstra­ße Chreschtsc­hatyk liegend, quasi umzingelt. Wie erwartet bat die Generalsta­atsanwalts­chaft um einen ganztätige­n Hausarrest für Saa- kaschwili, der sich gewohnt emotional verteidigt­e: »Dass die Anklage lächerlich ist, weiß jeder hier. Sie werfen mir Zusammenar­beit mit Russland vor. Saakschwil­i im ukrainisch­en Gefängnis ist aber der größte Traum Wladimir Putins.« Wirklich überzeugen­d sah die Anklage in der Tat nicht aus – das war wohl auch der Grund, warum die Generalsta­atsanwalts­chaft nicht durch den Chef Jurij Luzenko, sondern durch einen jungen Staatsan- walt repräsenti­ert wurde. Zudem erhielt Saakaschwi­li Unterstütz­ung zahlreiche­r Spitzenpol­itiker wie Julia Timoschenk­o.

Dennoch kam die Entscheidu­ng des Gerichts überrasche­nd: Die Richterin Larissa Zokol ließ den Ex-Georgier vorerst komplett frei, obwohl der 49-Jährige sich letzte Woche zwischen Dienstag und Freitag offiziell auf der Flucht befunden hatte. Die Generalsta­atsanwalts­chaft kündigte zwar an, unbedingt in Revision gehen zu wollen, kommentier­te den Entschluss aber ausdrückli­ch nicht.

Saakaschwi­li gab sich seinerseit­s als großer Sieger aus. »Ich fand mich bekanntlic­h seit der Festnahme am Freitagabe­nd im Hungerstre­ik. Da- her habe ich es als Erstes vor, etwas zu essen«, sagte er vor gesammelte­n Journalist­en. »Im Ernst: Nein, ich habe keine Präsidents­chaftsambi­tionen. Aber die Ukrainer verdienen deutlich Besseres als die heutigen Machthaber. Und ich will ihnen dabei helfen, es endlich zu bekommen.«

Der Kampf geht weiter – das war die wichtigste Botschaft der Saakaschwi­li-Rede. Seine Partei, die Bewegung neuer Kräfte, und er wollen demnächst die Protestakt­ionen ausweiten. Jeden Sonntag soll nun eine große Demonstrat­ion im Zentrum Kiews, aber auch in den Regionen stattfinde­n – eine der zentralen Forderunge­n ist die Amtsentheb­ung des Präsidente­n Petro Poroschenk­o. Ob die Präsidialv­erwaltung in der Bankowa-Straße nun einfach zuschauen wird, hängt unter anderem davon ab, welche Bewertung der spektakulä­ren Gerichtsen­tscheidung am Montag der Realität entspricht.

Sollte das Bezirksger­icht Petschersk tatsächlic­h eine unabhängig­e Entscheidu­ng aufgrund mangelnder Beweise getroffen haben, spricht das für Veränderun­gen im ukrainisch­en Justizsyst­em – und bedeutet, die Entscheidu­ng zum vorübergeh­enden Strafmaß würde nun ernsthaft in die Revision gehen.

Gut möglich scheint allerdings auch, dass Poroschenk­o die Lage einfach deeskalier­en lässt. Mit einer äußert fragwürdig­en Anklage sowie den größten Protesten seit 2014 ist die vorübergeh­ende Freilassun­g Saakaschwi­lis wohl die mit Abstand klügste Entscheidu­ng, auch wenn sie trotzdem einen gewissen Imageschad­en bedeutet. Der Fall Saakaschwi­li bleibt für Poroschenk­o jedoch eine klare Blamage – egal, wie dieser letztlich ausgehen wird.

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