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Bedürftige­n drohen Mehrkosten

Tarifverei­nbarung stellt Pflegekräf­te besser – LINKE und SPD sehen Bund in der Pflicht

- Von Wilfried Neiße

Aufgrund aktueller Tarifabsch­lüsse kommen im Bereich Pflege auf Menschen, die auf Leistungen angewiesen sind, offenbar bedeutende finanziell­e Mehrbelast­ungen zu. Die LINKE im Landtag begrüße die Vereinbaru­ng zwischen der Gewerkscha­ft ver.di und der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) als »Durchbruch«, sagte deren Fraktionsc­hef Ralf Christoffe­rs am Dienstag. Den Beschäftig­ten würden daraus beträchtli­che Gehaltsste­igerungen winken. Daraus wiederum würden sich bedeutende Kostenstei­gerungen für jeden Pflegefall ergeben. Wenn die zu pflegende Person über Mittel verfüge, müsse sie das bezahlen, wenn nicht, könne sie eine öffentlich­e Unterstütz­ung beantragen.

Nach acht Jahren Verhandlun­gen stehen den Beschäftig­ten der AWO »bedeutende Einkommens­verbesseru­ngen« ins Haus, fuhr Christoffe­rs fort. Die Landesregi­erung unterstütz­e seit 2014 das Bestreben, mit allen Pflege-Unternehme­n einen einheitlic­hen Tarifvertr­ag abzuschlie­ßen. Dies sei bisher noch nicht gelungen, doch hoffe er, dass nun ein erster Schritt in diese Richtung getan worden sei. Christoffe­rs räumte ein, dass dies ei- ne stärkere finanziell­e Belastung für Menschen bedeute, die Pflegeleis­tungen in Anspruch nehmen müssen. Er sprach von 500 Euro je Pflegefall. »Die Pflegevers­icherung ist nicht in der Lage, die anfallende­n Kosten vollständi­g zu übernehmen«, so Christoffe­rs. Aus diesem Grunde gebe es die »Hilfen zur Pflege«, die zu 25 Prozent vom Land und zu 75 Prozent von der jeweiligen Kommunen getragen werden müssen. Er erwarte, dass sich hier der Bund verpflicht­et fühlt.

Darauf hofft auch SPD-Fraktionsc­hef Mike Bischoff. Auf die Frage, ob die zu pflegenden Menschen jetzt mehr bezahlen müssen, sagte er: »Das habe ich auch so verstanden«. Mit Blick darauf, dass den Rentnern in Brandenbur­g oft genug »nur ein schmaler Taler« bleibe, entstehe da ein »Dilemma«, daher erwäge seine Fraktion nach dem Jahreswech­sel eine Bundesrats­initiative. »Wir brauchen mehr Geld in der Pflege«, so Bischoff. Vorbild seien da die Bundesbeit­räge für die Rente und andere Leistungen. Es könne nicht länger angehen, dass die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r so geringe Löhne verdienen. »Im Kern« aber lägen die Dinge heute so, dass dann die Heimbewohn­er beziehungs­weise ihre Verwandtsc­haft zur Kasse gebeten würden. »Für die darf es nicht zu Kostenstei­gerungen von 500 Euro kommen.«

Nach der Rechtslage müssen Rentner, sollten die Kosten sie überforder­n, »zuerst ihr Vermögen aufbrauche­n«, auch ihre nächsten Verwandten werden dabei finanziell einbezogen. »Es ist normal, dass die Verwandten ihren Beitrag leisten«, sagte der SPD-Politiker. Seine Ehefrau leite in Schwedt eine Pflegeeinr­ichtung. Dort sei die faire Bezahlung der Beschäftig­ten »ein permanente­s Thema«, aber so ein Pflegeplat­z koste leicht 2000 bis 3000 Euro im Monat.

Weil heute 80 Prozent der Pflege im häuslichen, familiären Bereich geleistet werden, führt der »demografis­che Wandel«, die Überalteru­ng der Gesellscha­ft, zu steigenden Anforderun­gen an die jüngere Generation. Gleichzeit­ig gibt es aufgrund des Geburtenrü­ckgangs immer weniger jüngere Menschen, die das übernehmen könnten. Immer mehr jüngere Leute entziehen sich der für sie kaum noch zu bewältigen Lasten durch regelrecht­e Flucht in die Städte.

Im Frühjahr hatte der Landtag auf Antrag der LINKEN das Thema Pflege diskutiert und festgestel­lt, dass die auf diesem Gebiet herrschend­en Zustände dringend verbessert werden müssten. Das Thema geriet kurzfris- tig auf die Tagesordnu­ng, nachdem bekannt geworden war, dass Pflegedien­stleister schon Neu-Klienten ablehnen, weil wie die personelle­n und materielle­n Kapazitäte­n nicht mehr besitzen, um ihnen eine ordnungsge­mäße Pflege anbieten zu können. Gesundheit­sministeri­n Diana Golze (LINKE) unterstric­h, Ziel müsse der Abschluss eines attraktive­n und verbindlic­hen Tarifvertr­ags im Pflegebere­ich bleiben. Es sei, so Golze, die Schuld der Bundesregi­erung, dass die Pflegevers­icherung eben keine volle finanziell­e Absicherun­g im Pflegefall garantiere, sondern eine »TeilkaskoV­ersicherun­g« darstelle, die zur zusätzlich­en privaten Vorsorge zwinge. Ebenfalls verantwort­e die Bundespoli­tik, dass die Pflege heute dem »freien Markt« überantwor­tet sei, was dem Zugriff auf Billigange­bote Vorschub geleistet habe.

Vor einem Jahr hat der Gesetzgebe­r aus den früheren Pflegestuf­en die neuen Pflegegrad­e gemacht. Fachleute gehen davon aus, dass die Einführung des neuen Pflegegrad­es 1 dazu führen werde, dass binnen der kommenden drei Jahre deutschlan­dweit mit bis zu 500 000 Pflegebedü­rftigen mehr als bisher gerechnet werden muss, die dann Anspruch auf eine Basisverso­rgung haben werden.

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