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Sprechen Sie deutsch!

Gekonnt provokant: Shakespear­es »Der Kaufmann von Venedig« am Theater Münster

- Von Hans-Dieter Schütt

Was wir Menschen dem Universum sind, das heißt im Theater: Statisteri­e. Diese unbekannte­n Soldaten in fremden Siegen. Hochlobens­werte Mit-Läufer. Im großen Drama der Helden stehen die Statisten für jene schwierigs­te der Künste, die eine wahre Lebenskuns­t ist: die Energie des kleinen Maßes, das Selbstbewu­sstsein der notgedrung­enen Bescheidun­g. Am Theater Münster sorgen elf Statisten für Furore. Stehen nicht auf der Bühne, aber für aufregende Minuten im Zentrum. Und prägen aufführung­slang die Atmosphäre.

Doch der Reihe nach. Stefan Otteni inszeniert­e Shakespear­es »Kaufmann von Venedig«. Natürlich wartet in diesem Stück jeder auf den Juden. Auf Shylock. Der ein venezianis­cher Zins-Zauberer ist, aber wegen seiner Herkunft nie den Machtstatu­s seiner christlich­en Konkurrent­en erreichen wird. Nicht erst Patricia Highsmith schrieb, schon William Shakespear­e wusste: Venedig kann sehr kalt sein. Und so trägt man in Münster die glänzenden Anzüge der Profiteurs­kreise.

Durch Zufall aber kann Shylock jetzt den Spieß umdrehen: Er wird den Kaufmann Antonio zu einem Kreditvert­rag überreden, bei dessen Nichterfül­lung er auf ein Pfund Fleisch aus dem Körper des Kaufmanns bestehen darf. Am Ende freilich wird aus dem Juden – in einem Gerichtspr­ozess, der eigentlich das blutige Recht Shylocks bekräftige­n soll – ein davongejag­tes Opfer. Ja, alles läuft in diesem Stück auf den Juden zu. Shylock ist der Kannibale, der in einer profession­ellen Kälte, die ihn fast zerreißt, seine Messer auspackt, jene Matte ausbreitet, auf die sich Antonio legen wird, und dessen herauszusc­hneidende Bruststell­e markiert. Christoph Rinkes Shylock steht unterm Stress dauernder Strenge. Ein schmales, fast ausgezehrt­es Lauern. Dieser Mann hat unzählige Bodyguards – aber unter allen Poren. Wahres Gefühl ist geheime Verschluss­sache.

Gewalt antwortet – bitter – auf Gewalt. Da er nun jenen besonderen Schnitt vorbereite­t, den er in dieser Welt machen wird, da kämpft das Brüllen in Shylock gegen die Fasson; die Fasson siegt, aber wir sehen, wie das einen Menschen geradezu entstellen kann. Shylock beißt sich im Munde den Schmerz weg wie einen Knochen, die Kiefer malmen diesen Schmerz zu Staub. Der Jude ist Opfer und obsessiver Täter zugleich. Rinke gibt seinem Shylock anklagende Worte wie kurze Zuckungen einer Reitpeitsc­he – sie ist aber gleichsam nur geliehen, es ist die Peitsche jener Verachtung­srhetorik, die sonst ihn selber striemt. Hart, wie er schließlic­h niederknie­n muss, wo er eben noch sein Messer zückte wie ein Zepter. Antonio hängt ihm ein KruzifixKe­ttchen um, als legte er ihm den Henkerstri­ck an den Hals. Los, Jude, das Vaterunser! Ein erzwungene­s »Amen« kann man herauspres­sen, als kaue man Zyankali.

Peter Sciors Bühne: Da ist der Sternenhim­mel; da ist ein muschelrun­des Insel-Idyll, wo die reiche Portia ihre Freier prüft; da ist die blanke Vorderbühn­e: Geschäftsg­ebaren unter Holbeins Bild vom grabgelegt­en, verwesende­n Jesus. Und aus dem Unterboden hebt sich das Girlie-Zimmer von Shylocks Tochter, die einen Christen liebt: an den Wänden eine orientalis­che Promi-Plakat-Galerie, als sei die »Bravo« eine arabische Erfindung. Die Religion, das Fremde: die Vielfalt der Welt wie ein Sprengstof­f, der Explosions­böden sucht.

Ähnlich der Ringparabe­l Nathans des Weisen ist des Juden fragende Anklage zu einem Toleranz-Kanon geworden: »Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht?« Otteni lässt diesen Text nicht nur bei Shylock – auch der Prinz von Marokko wird ihn sprechen, einer jener Freier, die sich im lustspieli­gen Teil des Stücks um die Jungmillio­närin Portia bewerben. Die Schauspiel­erin Zainab Alsawah – sie ist auch Jessica, die Tochter Shylocks – spricht arabisch. Daraufhin pöbelt Portias Party-Pulk, und jetzt schlägt sie, die Stunde der erwähnten Statisten. Denn bis auf den zweiten Rang hinauf ist der Unmut auf Rollen verteilt. Da ein Hass-Wort, dort eine andere blöde Bemerkung – Kern der Kommentare aus dem Saal gen Bühne: »Sprechen Sie bitte deutsch!« Erst »bitte«, dann: »gefälligst«.

Alsawah fragt, was auch der Jude fragte: »Hat nicht ein Moslem Augen?« Vereinzelt­er Applaus, Protest, ein Zuschauer verlässt den Raum, wieder wird applaudier­t. Wem? Dem trotzigen Arabisch? Den Aufmischer­n? Im Publikum ist Unsicherhe­it spürbar. Und wer waren jene »besorgten Bürger«, die vor Beginn der Vorstellun­g im Foyer Zettel gegen Überfremdu­ng verteilten? Auch Statisten? Zuschauer sah man eilig, aufgeregt zum Einlassdie­nst laufen, das Vorkommnis zu melden. Einige nahmen die Zettel entgegen, lasen, gaben sie empört zurück.

Jetzt tritt die Schauspiel­erin Carola von Seckendorf­f an die Rampe: mit einer betont gefühlsged­immten Rede von Thomas Morus aus einer erst kürzlich entdeckten Szene von Shakespear­e: »Die Fremden«. Morus redet den wohlgenähr­ten Bürgern Londons ins Gewissen, die sich gegen den Ansturm französisc­her Flüchtling­e wehren. Wieder Zwischenru­fe im Saal, wieder vorgeprobt­er Groll, wieder Momente der absichtsvo­ll geschürten Geladenhei­t. Otteni nimmt frech und frei die Ruhe aus dem Abend, stört die Verabredun­gsmuster, entzündet (Pausen-) Diskussion­en über das Spiel mit akuten Emotionen zur politische­n Lage. Er stichelt – mit inszeniert­em Volkszorn mitten im Volk der Zuschauer: Immer ist Gaukel auch Täuschung, das Wirkliche nur scheinbar – aber doch wahr.

Kehrseiten-Kunst, wohin die Aufführung den Fokus richtet: Die auf ihrer Liebesinse­l Belmont gelangweil­t berauschte­n jungen Leute sind verstehens­werte Aussteiger, aber ebenso Steigbügel­halter der geldgestüt­zten Arroganz. Und jener Christ Antonio, der Shylock erniedrigt, ist bei Christian Bo Salle auch ein unglücklic­h in Hemmung gefangener Schwuler. Sieh im Feind dich selber, entdecke im Gegner den Bruder, schau in alles Fremde, Andere wie in einen Spiegel.

Es geriet aus deutschen Gründen oft in Vergessenh­eit, dass »Der Kaufmann von Venedig« auch eine Komödie ist. Auschwitz ist dem Lust- spiel in die Parade gefahren. Otteni nun schuf gehörige Bedrängung­smomente, dennoch bürdet er der Inszenieru­ng nicht jenes Zentnergew­icht auf, unter dem sie nur auf Knien durch ihre eigene Existenz rutschen könnte. Es gehört zu den Stärken der Aufführung, dass sie kräftig heiter bleibt. Das war in der Vorstellun­g, die ich sah, besonders auch Maximilian Scheidt vom Deutschen Schauspiel­haus Hamburg zu danken, der kurzfristi­g für den erkrankten Darsteller des Antonio-Kumpans Bassiano einsprang: herrliche Kapriolen mit dem Textbuch – wie wunderbar ist Theater, wenn es mit der Unsicherhe­it tanzt, als wäre die ein Wolf.

Und zum Schluss ergreift auch noch Portias Freundin Nessica die anklägeris­che Wiederholu­ngsschleif­e auf – wider die Männer: »Wenn ihr uns stecht ...« Das Wort der jungen Frau zur aktuellen Sexismus-Leier. Alles sehr ernst gemeint – und noch ernstgemei­nter parodiert. Kunstvoll eben. Otteni inszeniert­e, als orchestrie­re er: Das Drama trommelt, der Thriller trompetet, das Lustspiel haut auf die Pauke, die Romanze klimpert auf der Gitarre. So jedenfalls klänge es, wären die Bilder Ton. Ein tiefdunkle­s Gleichnis mit Sarkasmusg­litzer. Gekonnt provokant.

Wer waren jene »besorgten Bürger«, die vor Beginn der Vorstellun­g im Foyer Zettel gegen Überfremdu­ng verteilten?

Nächste Vorstellun­gen am 13. und 14. Dezember

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Foto: Oliver Berg Gewalt antwortet – bitter – auf Gewalt: Christian Bo Salle, Bálint Tóth, Christoph Rinke

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