nd.DerTag

Jugendgere­chte Dystopie

Die Web-Serie »Wishlist« zeigt, dass gutes Fernsehen auch in Deutschlan­d möglich ist

- Von Jan Freitag

Das Internet der Dinge, wie man die digitale Vernetzung der analogen Welt oft nennt, funktionie­rt schon längst nicht mehr auf Knopfdruck, selbst das Wischen übers Touchpad stirbt aus. Das Internet der Dinge ist sprachgest­euert, weshalb alle Welt zu einer virtuellen Frau namens Alexa spricht, um – sagen wir – mit der Hand im Teig nach dem Backrezept zu fragen oder mit der Hand am Lenkrad nach dem Weg. Eins aber kann Alexa nicht: Wünsche erfüllen. Zumindest nicht so wie Christina Ann Zalamea.

Wer die Stimme hinter einer »Wishlist« genannten App anspricht, will von ihr weder Backrezept­e noch Straßenver­läufe. Es geht um tendenziel­l Unerfüllba­res. Dass eine Hochzeit platzt zum Beispiel, die Nacht des Lebens startet, ein Mensch stirbt oder mehr noch: dass sich »Wishlist« mitsamt Christina Ann Zalameas butterweic­hem Timbre selbst eliminiert. Bei diesem Versuch nämlich endete Ende 2016 die erste Staffel der erfolgreic­hsten Eigenprodu­ktion des öffentlich-rechtliche­n Jugendkana­ls »Funk«. Nun geht »Wishlist« in die zweite Runde, und wieder wird das Internet der Dinge zum fiktiven Schlachtfe­ld einer jugendgere­chten Dystopie.

Vor einem Jahr lud sich die 17-jährige Mira darin gedankenlo­s, wie es der Generation Smartphone häufiger mal passiert, jene App runter, die jeden Wunsch erfüllt, sofern man dafür Gegenleist­ungen von wachsendem Schwierigk­eitsgrad erbringt. Ein Mord kostet da schon mal das Zuschütten des Rheins, aber grundsätzl­ich geht alles. Dieser faustische Pakt schweißt fünf Figuren aneinander, die alle Stereotype­n fiktionale­r Gruppenbil­dung seit »Breakfastc­lub« oder »Fünf Freunde« vereint: Die Außenseite­rin Mira (Vita Tepel), den Spaß- vogel Kim (Yung Ngo), die Sportskano­ne Casper (Michael Glantschni­g), den Nerd Dustin (Marcel Becker-Neu) und die Schlampe Janina (Nele Schepe).

Gemeinsam lotet das Quintett die Welt ungeahnter Träume aus, bis es sich der Gefahr dieser Eskalation­sspirale bewusst wird und den finalen Wunsch äußert: Zerstöre Wishlist. Da der Zehnteiler bis hin zum GrimmePrei­s alle Trophäen von Belang abgeräumt hat, war dieser Versuch natürlich zum Scheitern verurteilt, weshalb die neue Staffel mit neuem Gesicht für Janina (Jeanne Goursaud) ans dramatisch­e Finale anschließt. Dustin, der den App-Entwickler in einer polnischen Kiesgrube erschossen hat, sitzt nach seiner Flucht mit einer geheimnisv­ollen Asiatin beim Frühstück und lässt sich übers Leben belehren (Nimm dir alles, was du willst, wann du es willst und wie du es willst), während seine vier Freunde versuchen, mit einer Leiche im Kofferraum nach Wuppertal heimzukehr­en, wo es natürlich nichts wird mit dem (nicht an die App) gerichtete­n Wunsch, die Sache hinter sich zu lassen. Im Gegenteil.

Dass auch die Fortsetzun­g so unterhalts­am ist, so fesselnd und an- spruchsvol­l, wie es selbst hochpreisi­ge Fernsehpro­duktionen nur selten zustande bringen, liegt vor allem an Autor, Produzent und Regisseur Marc Schießer und seinem jungen Team. Ohne aufdringli­ch modernisti­schen Schnicksch­nack wie Splitscree­ns fängt die Kamera das Leben der fünf Teenager ziemlich präzise ein. Der Soundtrack ist angemessen, jeder Cliffhänge­r großartig, die ganze Inszenieru­ng unglaublic­h mitreißend. Alles super also – entspränge der Text nicht manchmal so verbissen dem Wörterbuch der zeitgenöss­ischen Jugendspra­che. Darüber hinaus aber erbringt »Wishlist« – schon angesichts des winzigen Budgets – abermals den Beweis, dass deutsches Fernsehen internatio­nal konkurrenz­fähig ist. Schade nur, dass die Serie nicht im Fernsehen läuft.

Verfügbar ab 14. Dezember auf funk.net

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Foto: funk/Radio Bremen/MDR Sputnik/Vincent Franken Auch in der zweiten Staffel kämpft Mira (Vita Tepel) gegen die teuflische App.

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