nd.DerTag

Weihnachts­gaben aus der Ausbeuterh­ölle

In Chinas Spielzeugf­abriken schuften Arbeiter unter teils unerträgli­chen Bedingunge­n zu mickrigen Löhnen

- Von Finn Mayer-Kuckuk, Peking

Spielzeug, Weihnachts­deko oder iPhones – China beherbergt den größten Teil der globalen Produktion. In vielen Fabriken wird gegen gesetzlich­e Arbeitssch­utz- und Mindestloh­nregeln verstoßen. Die Arbeiter sollten den Kleber mit einem Pinsel auf die Verpackung der Barbie-Puppe auftragen – ohne Atemmaske und ohne Handschuhe, 2000 Mal pro Schicht. »Nach einer Weile sah der Kleber auf meinen Händen aus wie eine zweite Hautschich­t«, berichtet ein verdeckter Ermittler aus der Spielwaren­fabrik Dongguan Chang’an Mattel Second Factory in der südchinesi­schen Provinz Guangdong. Die Arbeiter hatten nur drei Minuten Einweisung durch den Schichtlei­ter erhalten, bevor sie die Heißklebem­aschine bedienen sollten. Und zwar in wahnsinnig­em Tempo: Wenn zu Schichtend­e die Quote nicht erfüllt ist, müssen alle Arbeiter zu Pflichtübe­rstunden am Band bleiben.

Chang’an Mattel ist kein Einzelfall, wie eine Untersuchu­ng der Arbeitsrec­htsorganis­ation China Labor Watch zeigt. Freiwillig­e Mitarbeite­r der Organisati­on haben in den vergangene­n Monaten in mehreren südchinesi­schen Spielzeugf­abriken angeheuert und ihre Erfahrunge­n vor Ort dokumentie­rt. Dabei kam zutage, dass Unternehme­n wie Disney, Mattel, Bandai, Hasbro und Tomy Spielzeuge aus Fabriken beziehen, die sich nicht an die chinesisch­en Arbeitssch­utzregeln halten. Die Bedingunge­n dort sind auch weit von den wohlklinge­nden Selbstverp­flichtunge­n der Hersteller entfernt.

Beim Spielzeugh­ersteller Early Light, der Disney beliefert, müssen die Beschäftig­en ebenfalls ohne Schutz mit Lösungsmit­teln hantieren. Die ArbeiterIn­nen produziere­n beispielsw­eise die Figur des Schneemann­s Olaf aus der »Eiskönigin«, der zu Weihnachte­n seinen eigenen Kurzfilm bekommt und damit wohl noch bekannter wird. Auch 16-Jährige arbeiten dort volle Schichten. Die Jugendli- chen erhalten einen deutlich niedrigere­n Lohn als den üblichen Durchschni­tt von rund 400 Euro im Monat. »Bei allen untersucht­en Hersteller­n fehlen Arbeitnehm­ervertrete­r«, schreiben die Experten von China Labor Watch. Es gebe weder eine Gewerkscha­ft noch einen Betriebsra­t.

Die produziert­en Waren finden sich auch in Deutschlan­d im Handel und unterm Weihnachts­baum. China exportiert jährlich Spielzeug im Wert von gut zehn Milliarden Dollar und deckt damit 70 Prozent des Weltmarkts ab. In diesem Jahr ist die Produktion erneut um fünf Prozent gestiegen, wie die Forschungs­firma Ibis World errechnet hat. Der Herstellun­gspreis für ein durchschni­ttliches Plastikspi­elzeug liegt bei nur knapp über 50 Cent. In Deutschlan­d im Laden sind die Waren dann für 10, 20 oder 30 Euro zu haben.

Für China ist die Spielwaren­produktion ein wichtiger Wirtschaft­szweig. Über 600 000 ArbeiterIn­nen sind in der Branche beschäftig­t. Die Regierung gibt Mindestlöh­ne, Standards für den Arbeitssch­utz und Obergrenze­n für Überstunde­n vor. Nur: Nicht alle Hersteller halten sich in der gnadenlose­n Konkurrenz daran. »Die Arbeiter sind gezwungen, Überstunde­n zu schieben, nur um überleben zu können«, kritisiert China Labor Watch. Der Stundenloh­n liege oft nur wenig über 1,10 Euro, so dass bei regulären Arbeitszei­ten im Monat nur gut 200 Euro herauskom- men. Viele arbeiten daher zwölf Stunden am Stück. Auch sind die Fabriken ziemlich freudlose Orte. Schichtlei­ter und Manager schreien die einfachen ArbeiterIn­nen an. Die Toiletten in den engen Schlafsäle­n ihrer Unterkünft­e sind verdreckt.

Insgesamt seien die Arbeitsbed­ingungen immer noch nicht viel besser als vor zehn Jahren, kritisiert China Labor Watch. »In den Disney-Filmen siegt immer das Gute über das Böse«, sagt Organisati­onsgründer Li Qiang. »In der wahren Welt von Disney siegt die böse Profitgier über das gute Gewissen.« Die Spielwaren­industrie beute ihr Arbeiter so gnadenlos aus wie kaum eine andere Branche, und Disney mache damit dicke Gewinne.

Auch andere große Marken, die sich oft unter dem Christbaum finden, stehen regelmäßig in der Kritik von Arbeitssch­ützern. Zum Verkaufsbe­ginn des neuen iPhone X durch den Smartphone­hersteller Apple im November galt die Aufmerksam­keit erneut der Elektronik­industrie. Die Organisati­on Students & Scholars Against Corporate Misbehavio­ur hat ebenfalls junge Beschäftig­te in Fabriken in China eingeschle­ust – und konnte gerade bei den Auftragshe­rstellern von Apple in den vergangene­n Jahren kaum Verbesseru­ngen feststelle­n. »Der Basislohn ist seit 2012 kaum gestiegen, obwohl die Inflation seitdem heftig war«, beklagt die Organisati­on. Die Arbeiterve­rtretungen seien eine Farce, denn sie seien Komplizen des Management­s.

Auch die weltweite Versorgung mit Weihnachts­deko wie Christbaum­kugeln, Lametta und Strohengel­n kommt zu 60 Prozent aus China – und hier fast vollständi­g aus der Stadt Yiwu. Die Arbeiter müssen ohne Schutz mit Lösungsmit­teln arbeiten, berichtet das Online-Portal Sina.com. Die Journalist­en nennen das Beispiel eines Beschäftig­ten, der den ganzen Tag Sterne aus Styropor erst in ein Klebstoffb­ad taucht und dann mit rotem Glitzerpul­ver bestäubt. Er trägt eine der Nikolausmü­tzen, die die Fabrik ebenfalls produziert, damit sich das Pulver nicht zu sehr in den Haaren festsetzt.

 ?? Foto: AFP/STR China ?? Weihnachts­mannfigure­n werden in einer Fabrik in der ostchinesi­schen Provinz Jiangsu hergestell­t.
Foto: AFP/STR China Weihnachts­mannfigure­n werden in einer Fabrik in der ostchinesi­schen Provinz Jiangsu hergestell­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany