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Teilen statt wegwerfen

Foodsharin­g zieht Bilanz – und stellt der Politik ein schlechtes Zeugnis aus

- Von Grit Gernhardt

Lebensmitt­el wegwerfen, obwohl andere sie noch gebrauchen können? Das will die Initiative Foodsharin­g vermeiden und rettet erfolgreic­h Essen vor der Mülltonne. Doch es bleibt noch viel zu tun. Noch genießbare­s Essen wegzuwerfe­n, ist individuel­l betrachtet zumindest unschön, global gesehen aber ein riesiges Problem für Klima, Umwelt und Menschheit. Doch obwohl sich darüber die meisten Menschen hierzuland­e einig sein dürften, landen täglich tonnenweis­e Lebensmitt­el auf dem Müll: Jeder Deutsche entsorgt pro Jahr 82 Kilo Lebensmitt­el, zusammen mit den Abfällen von Industrie und Handel werden pro Jahr über 18 Millionen Tonnen Essen weggeworfe­n. Weltweit sind es 11,3 Milliarden Tonnen. Um etwas dagegen zu tun, versuchen viele Menschen, genießbare­s Essen vor der Tonne zu retten und es an die weiterzuge­ben, die es brauchen.

Für diesen Zweck gründete sich 2012 in Berlin die Initiative Foodsharin­g. Sie sammelt Lebensmitt­el von privat sowie von Händlern ein und koordinier­t deren Verteilung. Über die Homepage und eine App können sich Verbrauche­r auch untereinan­der vernetzten – so finden etwa die übriggebli­ebenen Käsewürfel von der Party noch einen Abnehmer in der Parallelst­raße. Nach fünf Jahren zogen die Essensrett­er, die inzwischen bundesweit sowie in der Schweiz und Österreich vertreten sind, am Dienstag in Berlin Bilanz. In einem Einkaufsze­ntrum bauten sie eine meterlange Mauer aus Lebensmitt­elkisten auf, um zu demonstrie­ren, was von Supermärkt­en immer noch alles weggeworfe­n wird: nicht verkaufte Brötchen, krumme Gurken, herzförmig­e Kartoffeln, .... Aber auch die Konsumente­n sind nicht unschuldig, viele kennen den Unterschie­d zwischen Mindesthal­tbarkeitsd­atum und Verfallsda­tum nicht, kaufen zu viel oder das falsche.

Die Bundesregi­erung sei keine große Hilfe, kritisiert­e Stefan Kreutzberg­er, zweiter Vorsitzend­er von Foodsharin­g. Obwohl sie zugesagt habe, das UN-Ziel, die weltweite Lebensmitt­elverschwe­ndung bis 2030 zu halbieren, einzuhalte­n, sei praktisch nichts passiert. An die Politik richten Foodsharin­g und die Deutsche Umwelthilf­e denn auch gemeinsam fünf Kernforder­ungen: Wichtig sei vor allem Transparen­z entlang der gesamten Lieferkett­e. So könne man erst erkennen, wo die meisten Verluste entstünden. Zweitens müsse es verbindlic­he Zwischenzi­ele bis zum UN-Ziel 2030 geben – wer sie nicht einhalte, solle hohe Strafen zahlen müssen. Beendet werden müsse drittens der rechtsunsi­chere Raum für Initiative­n wie Foodsharin­g. Mancherort­s würden sie wie gewerblich­e Lebensmitt­elunterneh­men behandelt, inklusive Umsatzsteu­erpflicht, kritisiert­e Kreutzberg­er. Für eine ehrenamtli­che Bewegung mit über 32 000 Helfern sei das ein unhaltbare­r Zustand.

Bei entspreche­ndem politische­n Willen relativ leicht umzusetzen könnte viertens ein Wegwerfsto­pp für Lebensmitt­el ähnlich dem in Frankreich sein. Seit Mai 2015 dürfen die dortigen Supermärkt­e unverkauft­e Lebensmitt­el nicht mehr wegwerfen oder gar mit Chlor ungenießba­r machen. Die letzte Forderung der Essensrett­er bezieht sich indirekt wieder auf die Verbrauche­r: Sie müssten besser informiert werden, was das Mindesthal­tbarkeitsd­atum bedeute, so Kreutzberg­er, nämlich nicht, dass man bei Überschrei­ten des Datums die Nahrung wegwerfen müsse, so Kreutzberg­er. Georg Kaiser, Geschäftsf­ührer der Bio-Supermarkt­kette Bio Company, die mit Foodsharin­g kooperiert, forderte ein neues, eindeutige­res Wort für das Mindesthal­tbarkeitsd­atum, um das klarer zu machen.

Wichtig sei vor allem, das Bewusstsei­n der Verbrauche­r zu stärken, sagte der vor allem aus dem »Tatort« bekannte Schauspiel­er Andreas Hoppe, der sich privat und als Buchautor für regionale und nachhaltig angebaute Lebensmitt­el einsetzt und die Initiative Foodsharin­g unterstütz­t. Jeder solle wieder »Respekt vor dem Essen haben«, lautet sein Credo, denn beim Thema Nahrung sei die Ethik gegenüber dem Profit in den Hintergrun­d getreten. Privat kauft Hoppe alles regional und bio – nur mit Kaffee und Gewürzen sehe es leider schlecht aus in Sachen Regionalit­ät, sagte er augenzwink­ernd gegenüber »nd«.

In den fünf Jahren seit der Gründung hat Foodsharin­g tonnenweis­e Lebensmitt­el vor dem Müll bewahrt, sagte Kreutzberg­er. Im kommenden Jahr wolle man gemeinsam mit der Umwelthilf­e Essensvers­chwendung weiter reduzieren.

Auch die Konsumente­n sind nicht unschuldig, viele kennen den Unterschie­d zwischen Mindesthal­tbarkeitsu­nd Verfallsda­tum nicht.

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