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Agnolis Staatskrit­ik als Evergreen

Die Thesen des italienisc­hen Autors haben für Linke weiterhin Bedeutung

- Von Christophe­r Wimmer

Der Band »Die Transforma­tion der Demokratie« von Johannes Agnoli und Peter Brückner feiert 50-jähriges Erscheinen. Zeit, sich noch einmal um die Aktualität der einstigen »Apo-Bibel« Gedanken zu machen. Wenn sich an einem Montagaben­d rund 150 Menschen in einen dafür viel zu kleinen Raum drängen, um ein Buch zu diskutiere­n, muss dies ein Text mit Sprengkraf­t zu sein. Für Johannes Agnolis »Die Transforma­tion der Demokratie« trifft dies ohne jeden Zweifel zu.

Das Buch, das der italienisc­he Politikwis­senschaftl­er zusammen mit dem Sozialpsyc­hologen Peter Brückner geschriebe­n hat, feiert dieses Jahr 50-jähriges Erscheinen. Das Jubiläum nahmen die Helle Panke und die linksradik­ale Gruppe TOP B3rlin zum Anlass, in den Räumen des Berliner Clubkollek­tivs about blank die Thesen des Buches zu diskutiere­n und auf ihre Aktualität hin zu prüfen.

Der Publizist und ehemalige Sprecher der Grünen im Bundestag Thomas Ebermann bettete das Buch zunächst zeithistor­isch ein. Agnoli traf einen Nerv der beginnende­n Studentenr­evolte. Vor allem die Rezeption seiner radikalen Kritik der parlamenta­rischen Demokratie hatte der Schrift die Bezeichnun­g »APO-Bibel« eingebrach­t.

Darin analysiert­en Agnoli und Brückner unterschie­dliche Techniken des Herrschens in westlichen Demokratie­n. Dabei betrachtet­en sie die aufgeheizt­e Diskussion um die bundesdeut­schen Notstandsg­esetze, welche während Krisen oder im Verteidigu­ngsfall die Grundrecht­e einschränk­en können. Den Notstand interpreti­erten sie als Vorzeichen einer Tendenz zur Aushöhlung der Demokratie. Der liberale Rechtsstaa­t trage Momente des Faschismus in sich. Das Neue gegenüber dem historisch­en Faschismus sei, dass der autoritäre Staat nicht den Parlamenta­rismus zerstöre, sondern formell die Institutio­nen beibehalte. Der schwelende Klassenkam­pf werde durch ein Programm des sozialen Friedens stillgeleg­t.

Diese gelungene Einbettung von eigentlich stark widerstreb­enden Interessen konkretisi­erte der Journalist und Autor Felix Klopotek auch am Beispiel des Wahlrechts. Durch dieses habe die Arbeiterkl­asse prinzipiel­l die Möglichkei­t bekommen, den Staat zu übernehmen. Mit Agnoli lasse sich aber zeigen, warum die Arbeiter_innen genau dies nicht tun, sondern in der Regel am bürgerlich­en Staat festhalten und wie aus ihnen reformisti­sche Staatsbürg­er_innen werden.

Für die radikale Linke bedeute dies nun konsequent­erweise den strikten Antiparlam­entarismus: »Die Beteiligun­g am Parlament ist nur dann legitim, wenn sie fundamenta­l opposition­ell ist. Man kann das Parlament nur dekonstruk­tiv missbrauch­en, es aber nie konstrukti­v gebrauchen«, so drückt dies Thomas Ebermann aus.

Hier stimmte auch Jan Giolan von der Gruppe TOP B3rlin ein. Das Parlament würde nicht den Volkswille­n repräsenti­eren, sondern sei vielmehr Repräsenta­nt der Herrschaft­sverhältni­sse. Gerade deswegen sei auch der Aufstieg der AfD nicht verwunderl­ich. Die Hoffnungen, dass der Parlamenta­rismus rechte Parteien zivilisier­e, seien unbegründe­t. Dies könne man sowohl an der AfD, als auch am Beispiel der FPÖ in Österreich sehen. »Die Emanzipati­on hat im Parlament immer ein Auswärtssp­iel«, so Giolan. Um autoritäre­n Tendenzen entgegenzu­wirken, brauche es daher immer eine starke Gegenmacht, die sich nicht nur aufs Parlament verlassen dürfe, sondern sich auf soziale Bewegungen stützen müsse. Außerparla­mentarisch­e Bündnisse seien hier notwendig.

Doch an dieser Stelle widersprac­h der »Elder Statesman« Ebermann dem radikalen Linken. Aus seiner Erfahrung bei den Grünen wisse er, dass ein Mitwirken lediglich der Aufrechter­haltung der Verhältnis­se diene. Ebermann folge daher der negativist­ischen Staats- und Institutio­nenkritik Agnolis. Es bringe nichts, wie er TOP B3rlin vorwarf, auf der einen Seite breite Bündnisse zu schmieden und »mit Sozialdemo­kraten für ein buntes Deutschlan­d zu demonstrie­ren« und dies auf der anderen Seite mit »verbalradi­kalen« Aufrufen wieder gut machen zu wollen. Vielmehr müsse dieser »Selbstbetr­ug« aufgedeckt werden.

Giolan entgegnete darauf, Agnoli dürfe jedoch auch nicht zur Identitäts­bestätigun­g für eine radikale Linke werden, die sich aus allem Streit der Welt heraushalt­en will. Man müsse sich durchaus einmischen.

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Foto: dpa/akg Johannes Agnoli mit Peter Weiß und Erich Fried (v.l.)

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