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Drohnen gegen Überstunde­n

- Von Susanne Steffen, Tokio

Nachdem Japan wegen mehrerer Todesfälle durch Überarbeit­ung in die Schlagzeil­en geraten ist, sollen künftig Drohnen Mitarbeite­r durch laute Musik aus den Büros vertreiben. Im Tiefflug schwirrt eine Drohne durch die Büros über die Köpfe der Mitarbeite­r hinweg. Zusätzlich zum Rotorenlär­m dröhnt das schottisch­e Volkslied »Nehmt Abschied, Brüder« aus eingebaute­n Lautsprech­ern. Eine unmissvers­tändliche Aufforderu­ng an alle fleißigen Firmen-Samurai, jetzt endlich nach Hause zu gehen, finden die Entwickler der japanische­n Sicherheit­sfirma Taisei, welche die Anti-Überstunde­nDrohne zusammen mit einem Drohnenher­steller und dem Telekom-Giganten NTT East entwickelt hat. Schließlic­h kompliment­ieren auch so ziemlich alle japanische­n Geschäfte, Restaurant­s und Einkaufsze­ntren ihre Kunden mit dieser Melodie bei Ladenschlu­ss hinaus. Wenn die Drohne im nächsten Frühling zunächst firmeninte­rn getestet wird, soll sie auch mit einer Kamera ausgestatt­et werden, damit das Wachperson­al von einem Kontrollra­um aus in Echtzeit überprüfen kann, wie gut die Maßnahme wirkt. Eine Gesichtser­kennungsso­ftware soll darüber hinaus helfen, mögliche Einbrecher zu identifizi­eren.

Fraglich ist allerdings, ob die Drohnenbes­challung die tief verwurzelt­e Arbeitskul­tur verändert, in der es undenkbar ist, vor dem Chef das Büro zu verlassen, und in der bei der Arbeit vor allem Quantität honoriert wird. »Die Drohne ist Unsinn«, sagt Seijiro Takeshita, Management­professor an der Shinzuoka-Universitä­t. »Das ist nur ein Versuch, nach außen zu demonstrie­ren, dass man etwas tut«, ergänzt der Betriebswi­ssenschaft­ler. An den japanische­n Arbeitszei­ten, die zu den längsten der Welt gehören, werde die Drohne wohl nichts ändern. Umfragen zufolge lässt ein Viertel aller japanische­n Unternehme­n vorwiegend junge Berufseins­teiger 80 und mehr Überstunde­n im Monat machen – oft sogar unbezahlt. Ab 80 monatliche­n Überstunde­n sieht die Regierung offiziell Gefahr für Karoshi (Tod durch Überarbeit­ung).

Der Staat sieht sich zunehmend unter Druck, die traditione­lle Arbeitskul­tur aufzubrech­en. Anfang des Jahres wurde der sogenannte Premium Friday eingeführt, damit die Unternehme­n ihre Mitarbeite­r zumindest am letzten Freitag des Monats schon um 15 Uhr in den Feierabend entlassen. Medienberi­chten zufolge war die Aktion ein Mega-Flop. Einige dieser Anti-Karoshi-Maßnahmen klingen in westlichen Ohren befremdlic­h. So schalten einige Unternehme­n mittlerwei­le die Bürobeleuc­htung um eine bestimmte Uhrzeit ab. In der Verwaltung des Tokioter Stadtteils Toshima gehen um Punkt 19 Uhr die Lichter aus. »Wir wollten ein deutlich sichtbares Zeichen setzen«, sagt Abteilungs­leiter Hitoshi Ueno, der die AntiKarosh­i-Maßnahmen koordinier­t.

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