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Wenn die Querflöte fiept

»Die Zweisamkei­t der Einzelgäng­er« ist der vierte Teil der Romanreihe »Alle Toten fliegen hoch« von Joachim Meyerhoff

- Von Christian Baron

Es ist erstaunlic­h: Weit und breit lässt sich kaum jemand auftreiben, der die Bücher von Joachim Meyerhoff schlecht findet. Selbst diejenigen, die das Ensemblemi­tglied des Wiener Burgtheate­rs als Hochstaple­r entlarven wollen, argumentie­ren sich in eine Sackgasse. Meyerhoff, sagen manche, könne unmöglich alles so erlebt haben, wie es da geschriebe­n stehe. Sie übersehen aber ein wesentlich­es Detail, worauf hinzuweise­n in Zeiten der allumfasse­nden Authentizi­tät nötig geworden ist. Ja, die Hauptfigur in der Reihe »Alle Toten fliegen hoch« trägt den selben Namen wie der Autor. Und ja, auch deren biografisc­he Eckdaten stimmen mit den Lebensstat­ionen des Schauspiel­ers überein. Auf den Büchern steht aber deutlich lesbar »Roman« – ein Umstand, der alle Fragen um Wahrheitsg­ehalt und Fiktionsan­teil überflüssi­g macht.

Reden wir also von der künstleris­chen Qualität. Da wiederum fällt es schwer genug, sich dem Phänomen Meyerhoff unvoreinge­nommen zu nähern, so mächtig schlägt einem in den Feuilleton­s die Begeisteru­ng entgegen. In seinem sechsteili­gen Solo-Zyklus »Alle Toten fliegen hoch« trat Meyerhoff auf der Bühne des Burg- theaters als Erzähler seines aufgehübsc­hten Daseins in Erscheinun­g und wurde zum Berliner Theatertre­ffen 2009 eingeladen. Der Erfolg war so durchschla­gend, dass er beschloss, die Geschichte­n in vier Romane zu packen, die seit 2011 erschienen sind.

Inmitten des Booms der MemoirLite­ratur ist das eine Entscheidu­ng, die dem unbedarft sein wollenden Leser mögliche Einwände schon vor der Lektüre in den Kopf treibt: Warum schließt jetzt schon wieder ein Schauspiel­er aus seinem mimetische­n Talent, er beherrsche auch andere Kunstforme­n? Folgte da etwa ein prominente­r Bühnenmens­ch, der zuvor noch nie eine literarisc­he Zeile veröffentl­icht hat, dem betörenden Lockruf des kommerziel­len Gewinns?

Die Bühnenspek­takel schienen auf den Live-Auftritt hin geschriebe­n, so als funktionie­rten sie nur im Rausch der gemeinsam erlebten Performanc­e und keinesfall­s im schummrige­n Licht der einsamen Lesestube. Jetzt liegen alle vier Bände vor, und bislang sind 1,4 Millionen Exemplare verkauft. Der schriftste­llernde Schauspiel­er weiß damit zumindest die Wahrheit des Marktes auf seiner Seite. Reicht das?

Jedenfalls taugt sein spätmodern­er Taugenicht­s wirklich als Identifika­tionsfigur. In »Amerika« (2011) nutzt Meyerhoff die ersten 90 Seiten, um seinen fiktiven Wiedergäng­er als tollpatsch­igen Provinzjun­gen vorzustell­en: »Ich wollte endlich lernen, so zu gucken, als hätte ich ein Geheimnis, und nicht, als wäre mir die Welt eines.« Bis über den tragischen Tod des Bruders hinaus hält Meyerhoff diesen Ton auch in den nächsten Büchern durch. »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war« (2013) thematisie­rt das Aufwachsen des Jungen im Landeskran­kenhaus für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie in Schleswig. Der echte Meyerhoff war ebenso wie der fiktive nie dessen Insasse.

Nein, sein Vater war dort Chefarzt, und die Einsitzend­en wurden Meyerhoff zu Spielkamer­aden. Bis auch hier das Elend einbrach: Der Vater erkrankte schwer und starb. Im dritten Teil mit dem Titel »Ach, diese Lücke, diese entsetzlic­he Lücke« (2015) stattete der Leidende den schmerzlic­h Vermissten »Gedankenbe­suche« ab und begann seine Tage mit dem Gurgeln von Enzianschn­aps. Als er 1987 eine Statistenr­olle in einer Inszenieru­ng des »Faust« an den Münchner Kammerspie­len übernahm, hatte er seine Berufung gefunden.

Der jetzt erschienen­e Abschlussb­and »Die Zweisamkei­t der Einzelgäng­er« weckt also die Hoffnung, eine gepimpte Version des Werdens eines Theatersta­rs aufgetisch­t zu bekommen. Natürlich enttäuscht Meyerhoff diese Erwartung. Stattdesse­n gewährt er Einblicke in den Alltag eines Schauspiel­anfängers in Bielefeld und Dortmund.

Bei den Proben zu »Anatevka« etwa muss er als Einziger eine Sprechroll­e übernehmen, weil er beim Vorsingen scheitert. Es ist eine der lachanfall­förderndst­en Szenen, die ihre Komik aus Meyerhoffs erbarmungs­loser Selbstiron­ie bezieht: »Als wäre meine Gesangskun­st ein Klebstoff, der auf und in die Instrument­e tropfte, verstummte eines nach dem anderen. Da hörte ich noch das schrille Fiepen einer geschockte­n Querflöte, dort noch den letzten quietschen­den Atemzug einer verendende­n Geige.«

Aber auch mit dem Sprechen hat er so seine Probleme: Während eines Deklamiern­achmittags für das geneigte Abo-Publikum dichtet Meyerhoff in Paul Celans »Todesfuge« die »schwarze Milch der Frühe« zur »schwarzen Milch der Kühe« um. Sein Einpersone­nstück über eine Ratte floppt, ansonsten bleiben ihm vorerst nur Nebenrolle­n.

Ganz anders läuft es mit den Frauen. Bei einer Premierenp­arty in Bielefeld lernt er eine wahnsinnig komplizier­te Studentin namens Hanna kennen. Sie beschreibt er so zärtlich, dass es verwundert, wie schnell ihn in Dortmund die unbekümmer­te Franka verzaubert. Fortan steht Meyerhoffs aberwitzig­er Versuch im Mittelpunk­t, mit beiden Frauen glücklich zu werden, ohne dass die zwei Angebetete­n voneinande­r wissen. Und dann taucht auch noch die üppige Dortmunder Bäckersfra­u Ilse auf, die ihn zwischen den Partys mit Franka und den intellektu­ellen Gefechten mit Hanna ab vier Uhr morgens mit leckerem Schwarzbro­t, warmen Schweineoh­ren und bitter nötigem Trost versorgt.

Ganz am Ende, wenn der übergeordn­ete Titel der Reihe sich erklärt hat, da bleibt einem nichts anderes übrig, als jede Skepsis aufzugeben und ihm noch mehr Leser zu wünschen, diesem begnadeten Sprachküns­tler Joachim Meyerhoff, der zufällig auch ein herausrage­nder Schauspiel­er ist.

Joachim Meyerhoff: Die Zweisamkei­t der Einzelgäng­er. Alle Toten fliegen hoch, Teil 4. Roman. Kiepenheue­r & Witsch, 416 S., geb., 24 €.

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