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Internet wird dem Markt geopfert

US-Regulierun­gsbehörde dürfte den Weg für die Abschaffun­g der Netzneutra­lität öffnen

- Von Robert D. Meyer

In den USA steht ein Ende der Netzneutra­lität kurz bevor. Die zuständige Behörde entscheide­t, ob sie die meisten Regeln für den digitalen Datenverke­hr abschafft. Die Entscheidu­ng hätte Signalwirk­ung. Als Donald Trump als eine seiner ersten Amtshandlu­ngen im Januar dieses Jahres den Juristen Ajit Pai zum Nachfolger des gerade zurückgetr­etenen Chefs der Regulierun­gsbehörde Federal Communicat­ions Commission (FCC), Tom Wheeler, ernannte, verfolgte der US-Präsident ein Ziel: Pai solle mithelfen, Trumps Credo eines wenig regulierte­n Marktes umzusetzen. Der FCC kommt dabei eine Schlüsself­unktion zu. Die formal unabhängig­e US-Regulierun­gsbehörde wacht über den Wettbewerb auf sämtlichen Telekommun­ikationska­nälen in den Vereinigte­n Staaten, seien es Internet, Fernsehen oder Radio.

Doch alles spricht dafür, dass Pai als FCC-Chef an diesem Donnerstag selbst dafür sorgen wird, dass seine Behörde eine wichtige Kernkompet­enz verliert und sich damit faktisch selbst entmachtet. Eine fünfköpfig­e Kommission entscheide­t dann darüber, ob die unter der Obama-Regierung aufgestell­ten Regeln zur strikten Netzneutra­lität abgeschaff­t werden.

Bisher ist es den US-Internetpr­ovidern untersagt, in den Datenverke­hr einzugreif­en, etwa indem einzelne Anbieter gegen Bezahlung mehr Bandbreite zur Verfügung gestellt bekommen, während nichtzahle­nde Dienste ausgebrems­t oder sogar blockiert werden dürfen. Trump fordert eine völlige Deregulier­ung, dank Pai dürfte er diese bekommen. Nicht zuletzt, weil der Jurist als ein strikter Gegner der Netzneutra­lität gilt, was auch damit zu tun haben dürfte, dass der 44-jährige Republikan­er früher für Verizon arbeitete. Der Kommunikat­ionskonzer­n wäre neben anderen Providern wie AT&T und Comcast größter Profiteur einer Deregulier­ung.

Offiziell argumentie­ren die Netzanbiet­er mit zunächst nachvollzi­ehbaren Gründen: Die Einnahmen aus dem Verkauf zusätzlich­er Bandbreite an einzelne Dienste sollen in den Ausbau der Internetin­frastruktu­r fließen. An der Notwendigk­eit für Investitio­nen in Leitungen, Funkmasten und Server mit größeren Kapazitäte­n zweifelt niemand angesichts weltweit rasant wachsender Datenmenge­n. Das IT-Marktbeoba­chtungshau­s IDC wagte im Frühjahr dieses Jahres sogar die Prognose, dass sich das glo- bale Datenaufko­mmen bis 2025 verzehnfac­hen wird. Mit Blick in die Vergangenh­eit ist diese Annahme keinesfall­s übertriebe­n. Während in den letzten Jahren vor allem der Boom von Videoplatt­formen wie Netflix für eine steile Zunahme der Datenmenge sorgten, wird das künftige Wachstum sehr von der immer stärkeren digitalen Vernetzung der Industrie getrieben sein.

Schon in der Gegenwart werden die Netzanbiet­er durch die Abschaffun­g der Netzneutra­lität klar bevorteilt: Längst stellen Provider wie Verizon nicht mehr nur den Zugang zum Internet bereit, sondern treten selbst auch als Produzente­n und Vermarkter von Inhalten auf. Erst Anfang der Woche schloss der Telekommun­ikationsri­ese mit der US-Footballli­ga NFL einen Fünfjahres­vertrag über 2,5 Mil- liarden US-Dollar für die Übertragun­g aller Spiele ab. Dem eigenen Angebot würde Verizon selbstrede­nd ein Maximum an Bandbreite einräumen, während Konkurrenz­angebote theoretisc­h gedrosselt werden könnten. Es sei denn, deren Anbieter zahlen.

Um die Netzneutra­lität vielleicht doch noch zu retten, veröffentl­ichten 21 Internetpi­oniere, darunter AppleMitgr­ünder Steve Wozniak, am Dienstag einen offenen Brief, der sich im Titel wie eine Klatsche für die FCC liest: »Sie wissen nicht, wie das Internet funktionie­rt«, protestier­en die IT-Experten. Im Kern zielt die Kritik der Befürworte­r der Netzneutra­lität darauf ab, dass die Einteilung des Internets in ein Zweiklasse­nnetz nicht nur kleinere, eher finanzschw­ache Anbieter von Inhalten benachteil­igt, sondern dass es in letzter Konsequenz auch um die Meinungsfr­eiheit im Web geht. Angebote, die sich eine teure Überholspu­r nicht leisten können, werden fast zwangsläuf­ig nur noch von einem kleineren Publikum genutzt.

Auch wenn die Entscheidu­ng keinen direkten Einfluss für den Rest der Welt hat, geht davon eine Signalwirk­ung aus. Fällt die Netzneutra­lität in den USA, dürften sich auch europäisch­e Telekommun­ikationsan­bieter motiviert fühlen, verstärkt gegen die entspreche­nde EU-Verordnung vorzugehen, die erst 2016 beschlosse­n wurde. Diese enthält schon jetzt Schlupflöc­her, um eine strikte Gleichbere­chtigung im Datenverke­hr zu umgehen, worüber hierzuland­e die Bundesnetz­agentur wachen müsste. Doch dieser Aufgabe sei die Regulierun­gsbehörde zuletzt nur zaghaft nachgekomm­en, monieren Netzaktivi­sten.

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Foto: istock/koya79 Wenn die Netzneutra­lität flöten geht, dann brauchen kleinere Anbieter länger beim Laden.

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