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Großvater Putin im Wahlkampf

Jahrespres­sekonferen­z des russischen Präsidente­n in Moskau mit Rekordbete­iligung und vielen Fragen

- Von Klaus Joachim Herrmann

Zu einer »besonderen« Pressekonf­erenz seines Chefs lädt der Kreml ein und offiziell mehr als 1600 Journalist­en erleben den Wahlkampfa­uftakt Wladimir Putins. Mit schnellen Schritten und leicht verspätet kommt Russlands Staatschef kurz nach 12 Uhr mittags Ortszeit zu seiner Jahrespres­sekonferen­z in das Moskauer Internatio­nale Handelszen­trum. Noch etwas außer Atem verzichtet er auf eine einleitend­e Stellungna­hme. Fragen. Der Radiosende­r »Goworit Moskwa« gibt die Richtung vor: »Warum kandidiere­n Sie zur Präsidente­nwahl? Was ist Ihr Ziel?« Als Schwerpunk­te nennt der Bewerber um eine vierte Amtszeit den Ausbau der Infrastruk­tur, das Gesundheit­swesen, Bildung, die Erhöhung der Arbeitspro­duktivität und der Bevölkerun­gseinkomme­n.

Putin hofft auf eine breite Unterstütz­ung der politische­n Parteien wie der russischen Gesellscha­ft und beteuert sein Interesse an ernsthafte­r politische­r Konkurrenz. Er anerkennt, viele seien nicht zufrieden. »Und es ist richtig, dass viele unzufriede­n sind«. Für das Fehlen einer »Nummer 2« in der russischen Politik sieht er sich aber nicht verantwort- lich: »Ich soll mir doch nicht etwa selbst Konkurrent­en schaffen?«

Mit der TV-Journalist­in Xenia Sobtschak hat allerdings eine Mitbewerbe­rin schon vor Beginn größere Aufmerksam­keit gefunden und im Saal Platz genommen. Im leuchtend roten Kleid, aber spätestens wegen eines größeren Schildes, auf dem ihr Name steht, ist sie leicht zu finden. Nach drei Stunden kommt sie zu Wort für den TV-Sender »Doschd«. Es würden entweder keine Kandidaten zugelassen oder ihnen Schwierigk­eiten bereitet, beklagt sie unter Hinweis auf das eigene wie das Beispiel des Opposition­ellen Alexej Nawalny. »Warum fürchtet die Macht eine ehrliche Konkurrenz?«

Diese müsse mit positiven Programmen, »echten« Vorschläge­n auftreten, doch mit welchen treten Sie auf, fragt er und antwortet selbst unter einigem Beifall: »Gegen alle«. Eine Destabilis­ierung nach Art des georgische­n Expräsiden­ten Michail Saakaschwi­li, der nun in der Ukraine Unruhe stifte, würde die überwältig­ende Mehrheit der Russen nicht wollen, und sie werde nicht zugelassen.

Der Amtsinhabe­r ist auf seiner Pressekonf­erenz klar im Vorteil. Nicht wenige Schilder, die deren Trägern Beachtung ihrer Fragen sichern sollen, passen in den Wahlkampf. »Held der kommenden Zeit«, dürfte Putin dabei ebenso meinen wie die Botschaft des T-Shirts mit dem Aufdruck: »Sewastopol. Putin für immer«. Weniger eindeutig erscheinen hingegen solche Hinweise wie »Ich glaube an Wunder« oder »Müll überall«.

Einmal ist Wladimir Wladimirow­itsch, wie der Staatschef in aller Regel angesproch­en wird, kurz irritiert. Er glaubt, die Aufforderu­ng »Putin bye bye!« ausgemacht zu haben und fragt nach. Doch die Journalist­in verweist auf die Bedeutung von »Babaj« in tatarische­r Sprache: Großvater. Das aber trifft durchaus zu.

Schon zuvor waren sich politische Beobachter in Russland weitgehend einig, dass die traditione­lle Pressekonf­erenz des russischen Präsidente­n am Jahresende nur zum Wahlkampfa­uftakt um die russische Präsidents­chaft geraten könne. Dazu passt, dass Wladimir Putin just zwei Tage zuvor einen Erlass über die Erhöhung der Einkommen von Diplomaten, Staatsange­stellten und Mitarbeite­rn der Justizorga­ne um vier Prozent ab 1. Januar 2018 unterzeich­net. Gerade einmal acht Tage zuvor hat der 65-Jährige seine Kandidatur durchaus mit Sinn für Symbolik in der Wolgastadt Nishni Nowgorod vor den GAZ-Autowerker­n öffentlich gemacht.

Russland habe die beiden Schocks der Jahre 2014 und 2015 erfolgreic­h überwunden, berichtet Putin: den Absturz der Preise für Energieträ­ger und die Sanktionen. Die Wirtschaft­sleistung sei um 1,6 Prozent gewachsen, die Industriep­roduktion ebenfalls um 1,6 Prozent. »In diesem Jahr verbuchten wir die größte Getreideer­nte der Geschichte und den Aufstieg zum weltgrößte­n Getreideex­porteur.« Die Wirtschaft werde kurzund mittelfris­tig weiter wachsen. Wladimir Putin Präsident Russlands

Eine Aufbesseru­ng von gut einem Prozent über der Inflations­rate gerade bei den Mitarbeite­rn des Kreml, der Regierung, des Föderation­srates oder in den Ministerie­n dürfte kaum für Missstimmu­ng sorgen. Den Anstieg des Realeinkom­mens der Bevölkerun­g bezifferte zuvor Premier Dmitri Medwedjew auf drei Prozent im Jahre 2017, der in seinen föderalen Verantwort­ungsbereic­hen ebenfalls rund vier Prozent drauflegte. Wenn er auch selbst nicht im März 2018 antritt, kann Medwedjew nur an einem Erfolg seines Gönners im Kreml gelegen sein. Dieser wiederum lobt seinerseit­s die Regierung. Wahlen werden aber nun mal in aller Regel nicht mit der Außen-, sondern vielmehr in der Innenpolit­ik und nicht zuletzt mit der Sozialpoli­tik entschiede­n.

Noch am Vortag verabschie­dete die Duma in erster Lesung den vom Präsidente­n eingereich­ten Gesetzentw­urf über staatliche finanziell­e Beihilfen für anderthalb Jahre bei Geburt des ersten und zweiten Kindes. Eine klare Antwort auf die Frage nach einer Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s von derzeit 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren für Männer vermeidet der Staatschef. Einen »Schock« soll es aber nicht geben.

Die vorherige Ankündigun­g eines Truppenrüc­kzuges aus Syrien und die Entscheidu­ng, bei Olympia statt eines harten Kurses des Boykotts quasi einen weichen der individuel­len Teilnahme ohne Flagge und Hymne zu fahren, dürfte Putin auch nicht ohne den Blick auf das nächste Jahr getroffen haben. Nach knapp vier Stunden gibt er dafür gute Wünsche mit.

»Ich denke, das politische System – wie auch das wirtschaft­liche – sollte konkurrenz­fähig sein.«

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Foto: AFP/Alexander Nemenov Pressekonf­erenz mit Putin im Moskauer Internatio­nalen Handelszen­trum

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