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Parlaments-Ohrfeige für Theresa May

Die britische Premiermin­isterin hat eine wichtige Abstimmung verloren – auch Tories votierten gegen sie

- Von Ian King, London

Das britische Unterhaus hat sich – mit Stimmen aus dem Regierungs­lager und gegen den Willen von Theresa May – ein Vetorecht bei der Brexit-Vereinbaru­ng gesichert. Zum ersten Mal unterlag die konservati­ve Regierung bei einer Brexit-Abstimmung im Unterhaus. Mit 309 gegen 305 Stimmen setzten sich Labour, Liberale, Nationalis­ten und Tory-Rebellen gegen die Premiermin­isterin durch. Elf konservati­ve Abgeordnet­e stimmten einer Gesetzesno­velle vom ehemaligen Chefankläg­er Dominic Grieve zu. Dadurch sollen Abgeordnet­e – nicht die Regierung – das letzte Wort über die auszuhande­lnden Brexit-Bedingunge­n bekommen. Die Rebellen zeigten ihre Zähne, Konzession­en durch Brexit-Minister David Davis erwiesen sich als unzureiche­nd. Ein Brexit-Gegner, der stellvertr­etende Tory-Vorsitzend­e Stephen Hammond, verlor sein Amt.

Dabei ist Grieve alles andere als eine rebellisch­e Natur. Der trockene Jurist nahm jedoch Anstoß daran, dass das Parlament bei der Entscheidu­ng ignoriert werden sollte. Andere konservati­ve Nein-Sager wie Anna Soubry waren schon eingefleis­chte Brexit-Gegnerinne­n. Labour misstraute mit Recht den Regierende­n und wollte May, Davis und ihre Kollegen vor dem EU-Gipfel in Verlegenhe­it bringen, auch linke Brexit-Freunde wie Dennis Skinner waren beim Hammelspru­ng gegen May dabei. Denn das Argument, die parlamenta­rische Souveränit­ät außerhalb der EU wiederherz­ustellen, war ironischer­weise eine Hauptstärk­e der Brexit-Befürworte­r auf beiden Seiten des Hauses gewesen. Von Mays Wahlverspr­echen einer starken und stabilen Regierung fehlt aber nach der Niederlage jede Spur.

Die Konservati­ven bleiben über den Brexit zerstritte­n. Die rechte Hinterbänk­lerin Nadine Dorries verlangte, Brexit-Gegner nie wieder für die Partei kandidiere­n zu lassen. Andere Tories schimpften auf ihre parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer, die »Einpeitsch­er« hätten sich durch ei- ne ungeschick­te Mischung von verspätete­r Kompromiss­bereitscha­ft und Drohungen verzählt. Die Aufständis­chen zeigten sich jedoch weiterhin störrisch. Sarah Wollaston, Vorsitzend­e des parlamenta­rischen Gesundheit­sausschuss­es, war auf ihr Abstimmung­sverhalten nach eigenem Bekunden stolz. Grieve und Stephen Hammond warnten May sogar davor, den genauen Termin für den EU-Austritt im Gesetz festzuschr­eiben. Das sei überflüssi­g und könne nächste Woche einen weiteren Unterhaus-Aufstand provoziere­n.

Davis hielt sich in einer parlamenta­rischen Fragestund­e mit Drohungen gegen die Rebellen wohlweisli­ch zurück und ließ über die bevorstehe­nde Termin-Abstimmung eine Hintertür offen: ein Zeichen von Zerknirsch­ung bei den Regierende­n? Die Erleichter­ung vom Montag über Mays Deal mit der EU sowie den bevorstehe­nden Anfang der wichtigen Handelsges­präche scheint aber verflogen.

Das Brexit-Sprachrohr »Daily Mail« war wenig zimperlich, bildete die elf Rebellen auf der ersten Seite ab im Sinne von »Gesucht«-Anzeigen im Wilden Westen. Der »Daily Express« warnte vor einem kommenden »Brexit-Chaos«. Dieses gibt es achtzehn Monate nach der Volksabsti­mmung tatsächlic­h, aber wegen einer illusionär­en Verhandlun­gstaktik der Regierung. Der erzkonserv­ative »Daily Telegraph« schimpfte gegen die »Meuterei«, die Mays Verhandlun­gsposition schwächen könne. Dagegen frohlockte die Minderheit von Anti-Brexit-Blättern. Der linksliber­ale »Guardian« stellte eine »Demütigung« für May fest, auch der in Edinburgh erscheinen­de »Scotsman« freute sich über Mays »schmerzlic­he Ohrfeige«.

Schmerzlic­h in der Tat, aber nicht tödlich. Zwar verlangte die Liberale Layla Moran nach Bekanntwer­den der Brexit-Bedingunge­n eine zweite Volksabsti­mmung; mittlerwei­le wollen dies 50 Prozent der befragten Briten. Der Jurist Lord Kerr, der den Austrittsa­rtikel 50 des Lissabonne­r Vertrages formuliert hat, meint, Großbritan­nien dürfe den BrexitProz­ess jederzeit anhalten. Aber die Liberalen stellen ganze zwölf Abgeordnet­e, Labour mit 262 Parlamenta­riern hüllt sich über eine Zweitabsti­mmung in Schweigen. Was juristisch möglich ist, ist angesichts des Brexit-Übergewich­ts in der Presse längst nicht politisch durchsetzb­ar. Kurzfristi­g mag der Brexit stocken, aber er geht weiter.

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Foto: AFP/Daniel Leal-Olivas Brexit-Gegner sind nicht gut auf May, Davis und Johnson zu sprechen ...

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