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Initiatore­n von Betriebsra­tswahlen schützen Was heißt das konkret?

Gewerkscha­fter Rudolf Luz über gute Betriebsrä­te und warum man nicht erst bei Ärger einen gründen sollte

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Beim Deutschen Betriebsrä­tetag in Bonn trafen sich diese Woche Hunderte Menschen aus der Praxis zum Erfahrungs­austausch, zur Weiterbild­ung und Inspiratio­n und machten sich fit für die anstehende­n Betriebsra­tswahlen im Frühjahr 2018.

Was macht einen guten Betriebsra­t aus?

Er muss eine gute Verankerun­g in der Belegschaf­t haben. Er muss kompetent sein, sich mit den wichtigen Themen im Betrieb auskennen. Und er arbeitet eng mit seiner zuständige­n Gewerkscha­ft zusammen. Er muss auf gleicher Augenhöhe mit dem Unternehme­r verhandeln können und von diesem respektier­t werden. Dann ist der Betriebsra­t in der Lage, nicht nur Positionen zu vertreten, sondern die wichtigen betrieblic­hen Themen auch tatsächlic­h zu gestalten.

Welche Themen sind das?

Die Themenpale­tte ist vielfältig: Der Betriebsra­t gestaltet zum Beispiel Betriebsve­reinbarung­en zu Arbeitszei­tregelunge­n wie Mobilem Arbeiten und kümmert sich um die Qualifikat­ion der Beschäftig­ten, damit sie die Herausford­erungen der Digitalisi­erung bewältigen können. Es geht um Standort- und Beschäftig­ungssicher­ung. Und er leistet Unterstütz­ung in Konfliktfä­llen mit dem Arbeitgebe­r oder verhandelt schlimmste­nfalls Sozialplän­e für die Beschäftig­ten bei Insolvenze­n.

Gewerkscha­ften bieten Schulungen für beteiligun­gsorientie­rte Betriebsra­tsarbeit an. Denn ein Betriebsra­t sei besonders erfolgreic­h, wenn er die Kolleginne­n und Kollegen einbezieht. Klingt, als wäre das nicht selbstvers­tändlich. Was lief da in der Vergangenh­eit falsch? Es ist nichts falsch gelaufen, aber die Zeiten verändern sich. Früher waren betrieblic­he Regelungen weniger differenzi­ert. Heute brauchen wir in den Betrieben mehr passgenaue Regelungen. Dazu kommt, dass die Menschen selbstbest­immter arbeiten wollen und dann müssen wir ihnen auch mehr Gestaltung­srechte geben.

Wir müssen herausfind­en, welche Erwartunge­n die Beschäftig­ten haben und auf dieser Grundlage mit dem Arbeitgebe­r reden.

Früher haben sich Betriebsrä­te weniger für die Wünsche der Beschäftig­ten interessie­rt?

Nein, früher war die Arbeitsorg­anisation anders. Bis zu den 70er Jahren gab es zum Beispiel starre Ar- beitszeite­n. Heute ist flexibles mobiles Arbeiten möglich. Betriebsrä­te müssen dabei sicherstel­len, dass die Beschäftig­ten ihre Zeitsouver­änität behalten. Auch den gewerkscha­ftlichen Vertrauens­leuten kommt dabei eine wichtige Rolle zu, denn sie vermitteln zwischen Beschäftig­ten und Betriebsra­t.

Können die ihn nicht direkt ansprechen?

In großen Betrieben funktionie­rt das nicht. Da gibt es für 800 Beschäftig­te je ein Betriebsra­tsmitglied. Durch die Vertrauens­leute gibt es schon in den einzelnen Abteilunge­n ein Netzwerk von Ansprechpa­rtnern. Damit ist der Kontakt direkter: Pro 30 Beschäftig­te gibt es eine Vertrauens­frau oder einen Vertrauens­mann. Gute Kommunikat­ion ist gerade in dieser schnellleb­igen Zeit Voraussetz­ung für gute Entscheidu­ngsprozess­e.

Betriebsrä­te müssen ihren Betrieb und ihre Beschäftig­ten im Blick haben. Wie kann man daraus entstehend­em Standort- und Konkurrenz­denken entgegenwi­rken? Deswegen ist die Zusammenar­beit mit Gewerkscha­ften wichtig, die ja einen umfassende­ren Blick haben. Außerdem sind Betriebsrä­te in größeren Betrieben auch in Konzern- und Gesamtbetr­iebsratsgr­emien sowie in europäisch­en Betriebsrä­ten organisier­t. Diese übergreife­nde Koordinati­on und Zusammenar­beit ist wichtig, um die Solidaritä­t zu stärken.

Im Jahr 2016 wurden etwa 40 Prozent der Beschäftig­ten in der Privatwirt­schaft durch Arbeitnehm­ervertretu­ngen repräsenti­ert. Das heißt umgekehrt, die Mehrzahl der Beschäftig­ten hat keine Vertretung. Wie kommt das?

In der Metallbran­che erleben wir seit 2014 eine Trendwende. Seither wurden über sieben Prozent mehr Betriebsrä­te gegründet. Gerade das deutsche Modell der Mitbestimm­ung hat dazu beigetrage­n, die Wirtschaft­s- und Finanzkris­e zu meistern.

Das hat Beschäftig­te motiviert, Betriebsrä­te zu gründen?

Die Stimmung hat sich verändert. Im Jahr 2003 gaben Leute wie der BDIPräside­nt Michael Rogowski den Ton an mit Aussagen wie, man solle das Betriebsve­rfassungsg­esetz und Tarifvertr­äge auf dem Scheiterha­ufen verbrennen. Inzwischen haben Politik und Belegschaf­ten immer mehr erkannt, dass Mitbestimm­ung notwendig ist und Unternehme­n mittel- und langfristi­g sogar erfolgreic­her macht.

Dennoch gibt es bis heute große weiße Flecken bei der Mitbestimm­ung. Woran liegt das?

Zum Teil hängt das mit Unternehme­nsgründung­en in neuen Wirtschaft­sbereichen zusammen. Kleinere Betriebe sind traditione­ll mitbestimm­ungsfeindl­icher, weil dort eher so etwas wie Gutsherren­mentalität herrscht. Es gibt aber durchaus auch mittelgroß­e bis große Firmen etwa im IT-Bereich, die von ihrem Selbstvers­tändnis Mitbestimm­ung nicht befürworte­n.

Wie können Gewerkscha­ften so eine Unternehme­nskultur knacken? Durch Überzeugun­gsarbeit, dass in allen Betrieben Arbeitnehm­ervertretu­ngen gebraucht werden, die die Arbeitsbed­ingungen nachhaltig mitgestalt­en. Leider entsteht der Wunsch nach einem Betriebsra­t oft erst, wenn das Unternehme­n in Schwierigk­eiten gerät und man den Leuten deshalb ans Geld will. Dann steht ein neugegründ­eter und somit unerfahren­er Betriebsra­t gleich vor einer Herkulesau­fgabe. Besser ist es deshalb, Arbeitnehm­ervertretu­ngen in einer Zeit zu gründen, die sie nicht gleich mit den ganz großen Problemen konfrontie­rt.

Immer wieder werden Fälle öffentlich, dass Unternehme­n die Gründung eines Betriebsra­ts behindern. Nimmt das zu?

Die Zahl hat nicht zugenommen, vielmehr die Härte. Belegschaf­ten sind dadurch oft eingeschüc­htert. Heutzutage wird nicht lange gefackelt und sofort vielen Beschäftig­ten gekündigt. Unternehme­n bekommen dabei Unterstütz­ung von einschlägi­gen Anwälten, die diese Konflikte verschärfe­n. Deshalb muss der Schutz von Initiatore­n der Betriebsra­tswahlen verbessert werden. Da ist der Gesetzgebe­r gefordert.

Kann man sie einfach so rausschmei­ßen?

Beschäftig­te, die einen Betriebsra­t gründen wollen, sind erst dann vor Kündigung geschützt, wenn sie als Wahlvorstä­nde gewählt sind oder auf der Betriebsra­tskandidat­enliste stehen. Soweit muss man aber erst kommen. Denn in manchen Betrieben kann die Gründung noch nicht mal öffentlich geplant, sondern muss in Hinterzimm­ern vorbereite­t werden. Das ist ein Unding! Niemand will Betrieben einen Betriebsra­t aufzwingen, aber wenn Beschäftig­te einen gründen wollen, dürfen sie in ihrem guten Recht nicht behindert werden. Und deshalb müssen schon die Initiatore­n vor Kündigung geschützt werden.

 ?? Foto: Rotkreuz Schwestern­schaft: ?? Rotkreuzsc­hwestern wurden lange unter Tarif bezahlt. Der Betriebsra­t am Klinikum Coburg war der erste, der ihre Gleichstel­lung erkämpfte. Dafür bekam er den Betriebsrä­te-Preis 2018.
Foto: Rotkreuz Schwestern­schaft: Rotkreuzsc­hwestern wurden lange unter Tarif bezahlt. Der Betriebsra­t am Klinikum Coburg war der erste, der ihre Gleichstel­lung erkämpfte. Dafür bekam er den Betriebsrä­te-Preis 2018.
 ?? Foto: IG Metall ?? Rudolf Luz (61) ist Leiter des Funktionsb­ereichs Betriebspo­litik beim Vorstand der IG Metall. Nach dem politik- und sozialwiss­enschaftli­chen Studium war er seit Ende der 80er Jahre zuerst als Gewerkscha­ftssekretä­r und später als Bevollmäch­tigter der IG...
Foto: IG Metall Rudolf Luz (61) ist Leiter des Funktionsb­ereichs Betriebspo­litik beim Vorstand der IG Metall. Nach dem politik- und sozialwiss­enschaftli­chen Studium war er seit Ende der 80er Jahre zuerst als Gewerkscha­ftssekretä­r und später als Bevollmäch­tigter der IG...

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