nd.DerTag

Das skrupellos­e christlich­e Abendland

Erinnerung­en eines unbequemen Kirchenman­nes: Warum Peter Franz zum Sozialiste­n wurde

- Von Christian Stappenbec­k

Es gibt in Deutschlan­d nur wenige Pfarrer, die von ihrer Kirche aus dem Dienst unter Verlust sämtlicher Pensionsan­sprüche entfernt wurden. Dabei handelte es sich bemerkensw­erterweise nicht um irgendwelc­he braunen oder feldgrauen Übeltäter (das heißt völkische »Deutsche Christen« oder Feldpredig­er). Als frühester Geschasste­r muss der Mannheimer Pfarrer Erwin Eckert, in der Weimarer Republik Vorsitzend­er des Bundes Religiöser Sozialiste­n, erwähnt werden: Er erhielt seine erste Kirchenstr­afe schon 1925 wegen eines Artikels gegen die Wahl Hindenburg­s zum Reichspräs­identen und wurde aus dem Kirchendie­nst verbannt, nachdem er sich öffentlich zur Kommunisti­schen Partei bekannt hatte. Anders und doch irgendwie ähnlich: der Weg des Verfassers dieses Buches, der letztinsta­nzlich das gleiche Urteil erfuhr.

Im 20. Jahr seiner endgültige­n Amtsentheb­ung hat der Thüringer Pfarrer a. D. Peter Franz, geboren 1941 in Apolda, seine Memoiren publiziert: Kindheit in einem nicht religiösen Arbeiterha­ushalt; im 21. Lebensjahr getauft; im Theologies­tudium geprägt durch Professore­n wie Erich Hertzsch, Mitbegründ­er der Gruppe Religiöser Sozialiste­n in Thüringen, und so verschiede­ne Gestalten wie Thomas Müntzer und Dietrich Bonhoeffer. Anschließe­nd emsige Arbeit als Gemeindepf­arrer, der in der DDR eine lebendige junge Gemeinde aufbaut, der sich auch in die Probleme und Missstände der örtlichen Kommune einmischt. Seine Parteinahm­e als kritischer Staatsbürg­er führt ihn in die CDU, bei der ihn des Öfteren die »Fremdeinwi­rkung« von oben ärgert. Er bringt es bis zum Kreistagsa­bgeordnete­n.

Mehr als die CDU – die kirchliche­n Oberen sehen es mit deutlichem Missvergnü­gen – prägt ihn die öku- menische Bewegung der Christlich­en Friedensko­nferenz. Am Müntzer-Gemeindeze­ntrum Kapellendo­rf entsteht eine echte Basisgrupp­e mit vielfältig­en Inlandskon­takten und mit ausländisc­hen Gästen. Internatio­nale Verbindung­en rufen selbstrede­nd die erhöhte Aufmerksam­keit staatliche­r Organe hervor. Und so nimmt im November 1977 »das MfS in Gestalt von Erhard Fritza [Major der Kreisdiens­tstelle] erstmals Kontakt mit mir auf«. Man traf sich anfangs vor allem wegen der ausländisc­hen Gäste, später drehten sich die Gespräche und Fragen um Jugendpoli­tik und um die Ärgernisse fehlender Demokratie in der DDR. Nach »Einschätzu­ng« des MfSMannes (des sogenannte­n Führungsof­fiziers, vielmehr jedoch Gesprächsp­artners), so die Aktenlage, könnte sich die Amtskirche beruhigen, denn: »Als negatives Merkmal muss eingeschät­zt werden, dass der Kandidat sich in seinen Handlungen stets von den Interessen der Kirche leiten lässt ...« Pfarrer Franz würde an dieser Stelle präzisiere­n: Nicht die Interessen der Amtskirche, wohl aber Aufbau und Gedeihen der Gemeinde hatten für ihn Vorrang.

Unter dem Datum 3. Oktober 1990 notiert der ostdeutsch­e Christdemo­krat: »Was manche mit Bratwurst und Bier feiern, wird für andere ein Tag der Trauer.« Zu dieser Zeit fühlt er sich verpflicht­et, die Verschwieg­enheit über seine MfS-Kontakte zu beenden. Die Notizen der folgenden Wochen und Monate lesen sich beeindruck­end und bedrückend – ein Lehrstück. Von nun an beschränkt sich der Verfasser mehr und mehr auf tagebuchar­tige Mitteilung­en. Solch ein chronologi­sches Auflisten liest sich, nebenbei bemerkt, weniger gut als die thematisch­en Überblicke zuvor. Dankenswer­terweise findet der Leser am Schluss des Buches ein pralles Register von 27 Seiten mit sämtlichen erwähnten Personen, Orten und Pressetite­ln, so dass ein gezieltes Herauspick­en bestimmter Geschehnis­se möglich ist.

Der Klappentex­t enthält die Frage, wie denn einer als lutherisch­er Theologe zum Sozialiste­n werden kann. Zum Beispiel dadurch, dass der christlich-abendländi­sche Westen mit seinen Wertpapier­en skrupel- und hemmungslo­s wird. Da ist im Vorwort zum Buch die Rede von der »politische­n Erweckung«, die durch Vietnamkri­eg und Pinochet-Putsch ausgelöst wurde. Peter Franz bemerkt zum blutigen 11. September 1973, ihm sei da schlagarti­g klar geworden, »in welchem Überlebens­kampf sich das Experiment ›Sozialismu­s‹ in dieser Welt des Kapitals befand, und – war das nicht auch unser Kampf?« Dies veränderte seine Haltung zur DDR, und deshalb »ließ ich auch nicht nach, selber Kritik zu üben«.

Peter Franz: Der rote Pfarrer von Kapellendo­rf. Als Christ und Sozialist im Diesseits. GNN-Verlag, 406 S., br., 15 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany