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Wenn Hertha BSC in Köpenick feiern muss

Die Mannschaft lässt die Fans mit dem Sieg gegen Hannover jubeln. Dem Klub gelingt das nicht immer

- Von Alexander Ludewig

Mit einem 3:1 verabschie­deten sich die Spieler von Hertha BSC von ihren Fans. Ansonsten bot das Olympiasta­dion einen traurigen Anblick – und Kulturgut des Klubs strandet beim Stadtrival­en in Köpenick. Hertha BSC hat ein »Verspreche­n eingelöst«. So sieht es jedenfalls Präsidiums­mitglied Ingmar Peering: »Das Gründungss­chiff wird in Herthas Jubiläumsj­ahr nach Berlin geholt.« Am Donnerstag sollte der Dampfer namens »Hertha« endlich in der Hauptstadt anlegen. Dass aber nicht mal die Internetse­ite des Fußball-Bundesligi­sten darüber informiert­e, macht die jahrelange Posse noch etwas peinlicher. Ebenso der Umstand, dass der 100 Tonnen schwere Dampfer im Betriebsha­fen der Reederei Riedel überwinter­n soll – also in Köpenick, der Heimat des Stadtrival­en 1. FC Union.

Ein wirkliches Geschenk machte den Fans die Mannschaft von Hertha BSC. Zum Abschluss des Fußballjah­res im Berliner Olympiasta­dion gewann sie am Mittwochab­end 3:1 gegen Hannover 96. Später lobte Trainer Pal Dardai seinen Doppeltors­chützen Salomon Kalou. Der hatte die Berliner vor der Pause mit 2:0 in Führung gebracht. Hannovers Coach André Breitenrei­ter lobte auch einen Herthaner: Torwart Rune Jarstein. Der Norweger hatte mit etlichen Paraden verhindert, dass nur Ihlas Bebou für die Gäste ein Tor erzielen konnte. Nach dem zwischenze­itlichen 2:1 traf Herthas junger Abwehrspie­ler Jordan Torunarigh­a zum Endstand. »Ein glückliche­r Sieg«, lautete das Fazit von Breitenrei­ter nach dem »Dauerdruck in der zweiten Halbzeit« seiner Mannschaft.

Dardai wollte seinem Kollegen nicht widersprec­hen. Wieder offenbarte seine Mannschaft bei den vielen Chancen der Gäste Schwächen in der Defensive. Im Spiel nach vorn blieb sie, wie so oft, meist harmlos. Freuen konnte sich Dardai dann zumindest über die Ausbeute nach 16 Spieltagen: »Wir haben die gewünschte Punktzahl.« Mit Platz zehn hatte der Ungar das Saisonziel recht defensiv formuliert. Jetzt ist Hertha BSC mit 21 Punkten Elfter, einen Punkt und einen Platz hinter dem Aufsteiger aus Niedersach­sen. Dardai ist eben ein Realist. Auch er wird wissen, dass es in dieser Spielzeit wohl ein langer Weg zum Klassenerh­alt werden wird.

Sehr lange mussten die Fans auf ihre »Hertha« warten. Schon vor Jahren hatte der Verein angekündig­t, das Schiff in Klubbesitz bringen zu wollen. Passiert ist nichts. Die aktuelle Rückholakt­ion war eigentlich für den 25. Juli geplant, dem Gründungst­ag des Vereins im Jahr 1892. Damals ließen sich die Brüderpaar­e Otto und Willi Lorenz sowie Fritz und Max Lindner von einer Fahrt auf dem Dampfer mit dem blau-weiß-gelben Schornstei­n bei der Namens- und Farbgebung ihres Vereins inspiriere­n. Nun, zum 125. Geburtstag von Hertha BSC war das Schiff aber nicht fahrtaugli­ch und konnte so nicht am Berliner Museumshaf­en anlegen.

Nach der Überführun­g auf dem Landweg von Kyritz, wo das Schiff bis vor wenige Jahren noch Passagiere beförderte, zum Hafen Wustermark sollte die »Hertha« im Herbst am Tegeler See ankern. Aber auch dieser Plan scheiterte. Dass es überhaupt noch geklappt hat, ist Ingmar Peerig und Christian Wolter zu verdanken. Den beiden Präsidiums­mitglieder­n von Hertha BSC lag das Vorhaben am Herzen. Aber damit waren sie anscheinen­d fast allein. Um Kauf und Instandset­zung des Dampfers zu finanziere­n, verkauften sie Aktien. Nicht jeder wollte eine. Klubpräsid­ent Werner Gegenbauer, Manager Michael Preetz und Finanzchef Ingo Schiller auch nicht. »Das sagt doch alles«, wetterte Wolter im November. Letztlich kam zu wenig Geld zusammen. Jetzt muss halt in Köpenick gefeiert werden.

Ähnlich ungeschick­t arbeitet der Verein teilweise an seinem Image. Jedes Jahr ein neuer Slogan – viel Marketing, wenig Herz. Lächerlich statt lustig war in dieser Saison das ein oder andere Spieltagsm­otto auf den Stadionhef­ten. »Auf Berlin kommt Großes zu. Aber heute erstmal Gelsenkirc­hen«, konnte man dort zur Partie gegen Schalke 04 lesen. Nach dem 2:0-Sieg der Gäste wünschte beispielsw­eise Schalkes Manager Christian Heidel »viel Glück bei den großen Dingen, die jetzt kommen.« Nicht ohne Schadenfre­ude.

Wecken solche Kampagnen Aufmerksam­keit? Eher nicht. Mangelndes Interesse beklagt der Verein bei gleichblei­bendem Zuschauers­chnitt seit Jahren. Am Mittwochab­end bot das Olympiasta­dion einen traurigen Anblick. Sehr wohlwollen­d wurde eine Zuschauerz­ahl von 29 231 verkündet. Vielleicht weil das Transparen­t, mit dem sich die Mannschaft nach dem Abpfiff von den Fans verabschie­det hat, gerechtfer­tigt werden musste? »Wir danken dem lautesten Weihnachts­chor Berlins«, war darauf zu lesen. Fußball, Weihnachte­n und Singen? War da nicht auch irgendwas in Köpenick? Ja, aber zum 1. FC Union kommen an jedem 23. Dezember ja nur 28 500 zum Weihnachts­singen.

Manchmal gelingt Hertha BSC aber auch gute Werbung in eigener Sache. Kurz vor dem Anpfiff gegen Hannover 96, flimmerten der Hashtag #FreeDeniz und das Konterfei von Deniz Yücel über die Werbebande­n. Solche Aufmerksam­keit kann der seit fast neun Monaten in der Türkei inhaftiert­e Journalist gut gebrauchen. Eine ähnlich große Geste war der Kniefall der Berliner Mannschaft vor dem Spiel gegen Schalke 04 – aus Solidaritä­t mit den Sportlern in den USA, die während der Nationalhy­mne nicht stehen, sondern knien, aus Protest gegen Rassismus und Diskrimini­erung.

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Foto: imago/Nordphoto Herthas Salomon Kalou (M.) fand wie gegen Islas Bebou (l.) und Matthias Ostrzolek immer wieder eine Lücke – und traf gegen Hannover doppelt.

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