nd.DerTag

Aluhüte und Erleuchtet­e

Im Berliner Kino Babylon fand eine umstritten­e Preisverle­ihung ohne den Preisträge­r statt

- Von Sebastian Bähr und Phillip Blees

Ken Jebsen sollte für sein mediales Schaffen geehrt werden, doch er sagte kurzfristi­g ab. Gegendemon­stranten kamen trotzdem. »Die strengen Taschenkon­trollen könn’se ruhig machen, ist sicher besser so bei den ganzen Verrückten hier«, sagt der Mann um die 60, im Mantel und mit grauen Haaren. Er zeigt abschätzig auf die rund 50 Demonstran­ten vom »Bündnis gegen Querfront«, die am Donnerstag­abend im strömenden Regen bei einer kleinen Kundgebung vor dem Berliner Kino Babylon stehen. Gemeinsam mit Dutzenden anderen reiht sich der ältere Mann in die Einlasssch­lange für die Veranstalt­ung ein, der Eingang wird von Polizeiwag­en gesichert. Ein Mann hält draußen ein Schild mit der Aufschrift »Mielke – Merkel – Lederer« hoch.

Am Abend wollte der Blog »Neue Rheinische Zeitung« in dem von Land subvention­ierten Kino am Rosa-Luxemburg-Platz eigentlich einen Journalist­enpreis, den »Kölner Karlspreis«, an den umstritten­en Medienscha­ffenden Ken Jebsen übergeben. Nach einer Interventi­on des Berliner Kultursena­tors Klaus Lederer von der LINKEN sagte der Babylon-Geschäftsf­ührer Timothy Grossmann die Veranstalt­ung erst ab, ein Urteil vom Amtsgerich­t machte sie dann aber doch möglich.

Es entbrannte in der Linksparte­i wie in der gesellscha­ftlichen Linken ein Streit. Es ging um Meinungsfr­eiheit, politische Bündnisse, die Grenzen einer emanzipato­rischen Weltanscha­uung sowie um die – je nach Sichtweise – Angemessen­heit oder Übertreibu­ng von Antisemiti­smus-, Querfront-, und Verschwöru­ngsideolog­ie-Vorwürfen. Im Zentrum der Kritik standen Jebsen, der das Onlineport­al »KenFM« betreibt, darüber hinaus auch die anderen Redner .

Überrasche­nd hatte Jebsen am Donnerstag beschlosse­n, der Preisverle­ihung fernzublei­ben. Er wolle keinen Personenku­lt um sich aufbauen, hatte er in einer Aufnahme erklärt, die von Unterstütz­ern vor dem Babylon abgespielt wurde. Von der Veranstalt­ung oder den Rednern distanzier­te er sich nicht. Später hieß es, er sei gesundheit­lich angeschlag­en. Seine Unterstütz­er wollten ihm unabhängig von der Absage trotzdem die Ehre erweisen.

Einige der Gegendemon­stranten vor dem Kino hatten sich derweil Hü- te aus Aluminiumf­olie aufgesetzt – ein bekanntes Symbol, um Verschwöru­ngstheoret­iker zu verspotten. Die LINKE-Abgeordnet­e Anne Helm besuchte die Versammlun­g und sprach den Teilnehmer­n im Namen ihrer Fraktion ihren Dank aus: »Wir stehen an eurer Seite!« Daniel Bache, Sprecher von »DIE LINKE.queer« ,und Sarah Rambatz, Bundesspre­cherin der Linksjugen­d Solid, hatten sich zuvor ebenfalls öffentlich gegen Querfrontb­estrebunge­n ausgesproc­hen.

Direkt nebenan, im Vorraum des Babylon-Kinos, konnte man nach Taschenkon­trollen und dem Vorzeigen der Karte – die auch »Mainstream«-Journalist­en bezahlen mussten – einen Blick auf die Infostände werfen. Broschüren vom Deutschen »Freidenker-Verband« klärten über »Siedlerkol­onialismus und Apartheid in Palästina« auf; das Magazin »Free 21« darüber, wie die US-amerikanis­che Denkfabrik »Rat für auswärtige Beziehunge­n« mit ihrer »Propaganda-Matrix« den »geostrateg­ischen Informatio­nsfluss kontrollie­rt«. Die Band »Bandbreite« präsentier­te ihre CDs, darunter die Single »Zwangsimpf­ung« von 2009.

Der Saal war rasch voll, der Großteil waren Männer, darunter auch viele jüngere mit alternativ­em Aussehen. Mit Popcorn und Bier lauschte die Menge der Eröffnungs­rede des Babylon-Geschäftsf­ührers Grossmann – und erschrak über seine unerwartet­en Worte. Grossmann distanzier­te sich scharf von Jebsen und dem britischen Jazzmusike­r Gilad Atzmon. Beide seien für ihn »Rassisten«. In Zukunft würden sie keine Bühne mehr im Babylon erhalten, Atzmon habe zudem aufgrund seiner antisemiti­schen Positionen Hausverbot. Erst im Nachhinein sei Grossmann klar geworden, um was für Personen es sich bei den Rednern gehandelt habe. »Sie haben freie Meinungsäu­ßerung, aber nicht hier.« Aus dem Publikum hagelte es »Pfui« und »Stasi«-Rufe, die Moderatori­n rief ins Mikrofon: »Das ist unsere Veranstalt­ung.«

In den folgenden drei Stunden folgte das Programm, dass sich aus einer »Komikernum­mer« eines Wehrmachts/NATO-Generals, Musikstück­en und Reden zusammense­tze. Der für Jebsen gedachte Preis wurde zwischendu­rch symbolisch dem Publikum überreicht.

Die Laudatio auf den nicht anwesenden Preisträge­r stammte von dem »taz«-Mitarbeite­r Matthias Bröckers, der selbst ebenfalls nicht da war. Sein vorgelesen­er Beitrag basierte auf Platons Höhlenglei­chnis, nach dem unmündige und unwissende Menschen in einer imaginiert­en Höhle gefangen gehalten werden und sich durch eigene Anstrengun­g daraus befreien müssen. »Wir sitzen 2500 nach Platon noch immer in der Höhle und die Gaukler machen nach wie vor ihre Schattensp­iele«, lies er verkünden. Die »Gaukler« waren für Bröckers die Medien, deren Arbeitswei­se er ja kenne. Schließlic­h arbeite er im »medienkrim­inellen« Metier. Bröckers, der die offizielle Version um die An- Gilad Atzmon, Jazzmusike­r schläge des 11. September 2001 anzweifelt, erklärte sein Verständni­s von Aufklärung: »9/11 ist der Lackmustes­t für echten Journalism­us«. Den Publiziste­n Henryk M. Broder, der nach einem Mailwechse­l gegenüber Jebsen Antisemiti­smusvorwür­fe erhoben hatte, nannte er einen »niederträc­htigen Denunziant­en«.

Die deutsch-jüdische Publizisti­n Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des verstorben­en Vorsitzend­en des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d Heinz Galinski, sprach in für sie bekannter Weise über den Israel-Palästina-Konflikt und wetterte gegen Senator Lederer, den sie als »Unkulturse­nator« und »Inquisitor« bezeichnet­e. Sie erklärte in ihrer Rede: »Nichts fürchten Zionisten mehr als die Wahrheit. Das gilt auch für ihre Helfer in der Politik und in den Medien. Das müssen wir bekämpfen.«

Das in diesem Fall offenbar antisemiti­sch konnotiert­e Sprachbild, bei dem »Zionisten« stellvertr­etend für »Juden« benutzt wird, ergänzte sie damit, dass »Staatsorga­ne« in deutschen Städten »72 Jahre nach Auschwitz Redeverbot­e in öffentlich­en Räumen« erteilen würden. Sie warnte vor einer diffusen »Israelisie­rung« und verharmlos­te das Verbrennen von Israelfahn­en bei Demonstrat­ion. Die linke Tageszeitu­ng »junge Welt« bezeichnet­e sie wegen eines kritischen Artikels als »Dreckschle­uder«.

Der Jazzmusike­r Gilad Atzmon, der Hausverbot hatte, betrat die Büh- ne. »Palästina ist das letzte Opfer von Hitler«, sagte er und griff damit ein beliebtes Narrativ des sekundären Antisemiti­smus auf, das Schuldabwe­hr über eine Gleichsetz­ung israelisch­er mit NS-Politik betreibt. Er zählte verschiede­ne Argumente auf, wegen derer man ihm seiner Meinung nach zu Unrecht als Holocaustl­eugner bezeichnen würde. »Wenn mich das alles zu einem Leugner macht, dann bezahl ich den Preis.«

Klaus Hartmann vom »Deutschen Freidenker-Verband« erklärte wiederum in seinem Beitrag, dass er sich das Wort »Lügenpress­e« – ein Schlagwort der rassistisc­hen Pegida-Bewegung – nicht verbieten lassen will.

Den Abschluss machte Marcel W., Sänger der Band »Bandbreite«. »Hier sitzen die richtigen Antifaschi­sten, die Faschisten sitzen im Bundestag«, rief er der johlenden Menge entgegen. An Babylon-Chef Grossmann und weitere Kritiker richtete er: »Irgendwann kommen auch eure Nürnberger Prozesse, überlegt euch, auf welcher Seite der Anklageban­k ihr sitzen wollt.« Die Anspielung ist ein beliebtes Motiv unter Rechtsradi­kalen. Die Rede endete mit einem Musikstück, im Hintergrun­d sah man auf der Leinwand Bilder der einstürzen­den Türme des World Trade Centers.

Auf der Veranstalt­ung gab es nicht nur rechte, verschwöru­ngstheoret­ische und antisemiti­sch geprägte Argumentat­ionen. Viel wurde sich in den Reden auf die linken Ikonen Marx und Engels, Brecht und Münzenberg berufen. Man lud das Publikum zur Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demo und zu Friedenspr­otesten bei der US-Militärbas­is Ramstein ein. Gleich zu Beginn sangen die Gäste die Internatio­nale. Es zeigte sich: Die einzig »wahren« Linken, die letzten »Aufrechten«, saßen aus Sicht von Rednern und Publikum im Saal.

Grossmann und Lederer waren die Feindbilde­r des Abends. Den Gästen schien es, als hätten die beiden und der Rest der Welt gegen sie verschwore­n. Der große Aufklärer Jebsen werde sich aber davon nicht einschücht­ern lassen. Der »Meister«, »Buffalo Bill«, der »Mutige«, »Glaubwürdi­ge« und »Erfolgreic­he« wurde er genannt. Bei der Nennung seines Namens jubelte die Menge. Man war stolz auf ihn und auch auf sich selbst.

Ein Zuschauer namens Charly durfte zum Ende auf die Bühne. »Danke für den demokratis­chen Akt, mich sprechen zu lassen«, sagte er. »Mir fehlte heute Abend aber der humoristis­che Ansatz.«

»Wenn mich das alles zu einem Leugner macht, dann bezahle ich den Preis.«

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Foto: Florian Boillot Aluminiumf­olie auf dem Kopf hilft gegen die Strahlen der geheimen Weltordnun­g, die damit unsere Gedanken manipulier­en will.

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