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»Piñera wäre ein Risiko für Chile«

Beatriz Sánchez von der Frente Amplio über die Gründe ihres Überraschu­ngserfolgs und die Stichwahl am Sonntag

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Sie und ihre Partei, die linke Frente Amplio haben sich mit einem Paukenschl­ag in der Politiklan­dschaft Chiles etabliert. Sie bekamen im ersten Wahlgang zur Präsidents­chaftswahl im November 2017 20,3 Prozent der Stimmen und verfehlten nur knapp die Stichwahl. Auf Anhieb erlangte die FA 20 Parlaments­sitze. Worin liegen die Gründe für dieses überrasche­nd gute Wahlergebn­is?

Das ist eine gute Frage, aber ich weiß nicht, ob man sie anhand der Wahlen erklären kann. Es gibt in Chile einen relevanten Teil der Bevölkerun­g, der Alternativ­en zu den beiden großen Koalitione­n sucht. Die denken, dass Chile grundlegen­de strukturel­le Veränderun­gen braucht. Vor allem seit der Studierend­enbewegung 2011 wird der offizielle Diskurs hinterfrag­t. Nicht nur die Frage, warum Bildung so teuer ist, sondern auch: Warum muss ich mich verschulde­n? Warum ist die Rente meiner Eltern so niedrig? Dass das Wirtschaft­swachstum das Wichtigste sei. Dass wir die Jaguare Lateinamer­ikas seien. Die FA taucht als Antwort auf diese Entwicklun­gen in Chile auf. Wir haben es geschafft, das aufzunehme­n, was in Chile passiert und diesen Gedanken Ausdruck zu geben.

Die FA strebt an, Politik anders zu machen, weder links noch rechts. Das klingt fast schon nach europäisch­em Rechtspopu­lismus.

Wir beschreibe­n uns selber nicht als weder links, noch rechts. Denn es ist doch überall so, dass wenn Leute behaupten sie seien weder links noch rechts, dann sind sie eher rechts (lacht). Wir sagen, dass die Logik von rechts und links ein bisschen überwunden ist. Wobei ich mich als Kandidatin immer als linke Demokratin positionie­rt habe. Wir haben uns auf Punkte geeinigt, die unabdingba­r sind: die Trennung zwischen Geschäft und Politik, eine Verfassung­gebende Versammlun­g, die Menschenre­chte.

Die FA hat für den zweiten Wahlgang keine Wahlempfeh­lung für Alejandro Guillier vom Mitte-linksBündn­is Nueva Mayoría herausgege­ben. Warum? Der rechte Sebastián Piñera ist doch ein wesentlich größeres Übel.

Wir als FA werden den Leuten niemals sagen, was sie wählen sollen. Die Leute wissen, für was sie stimmen wollen und wir werden nicht unsere Positionen aufdrängen. Die Wählerstim­men haben keinen Eigentümer. Die Wahl ist uns aber nicht egal. Mir ist es nicht egal, ob Sebastián Piñera oder Alejandro Guillier gewinnt. Sebastián Piñera wäre ein Unheil für das Land. Guillier auf der anderen Seite war zweideutig. Er hat zwar gesagt, dass ihm bestimmte Ideen des FA gefallen würden. Er muss aber ein Signal senden. Nicht an mich, nicht an die FA, sondern an die Leute, die für uns gestimmt haben. Ich selber werde für Guillier stimmen, das heißt aber nicht, dass wir dazu aufrufen.

Sebastián Piñera hat behauptet, es habe im ersten Wahlgang Wahlfälsch­ung gegeben.

Ich glaube, die Rechte ist verzweifel­t wie noch nie. Indem er den Wahlprozes­s infrage gestellt hat, hat er eine

Beatriz Sanchez (46) war Kandidatin der Frente Amplio für die chilenisch­en Präsidents­chaftswahl­en. Bevor sie in die Politik gegangen ist, hat sie jahrelang als Fernseh- und Radiojourn­alistin bei den wichtigste­n Radiosende­rn Chiles gearbeitet. Über die Gründe des Erfolgs der FA, die kommende Stichwahl und was eine feministis­che Regierung ausmacht sprach mit Sánchez für »nd« David Rojas-Kienzle. Grenze überschrit­ten, die er nicht hätte überschrei­ten dürfen. Und das nur, um gewählt zu werden! Ein Präsident wie er wäre ein Risiko für Chile!

Wie wird die politische Arbeit der FA in den nächsten vier Jahren aussehen?

Wir werden so oder so Opposition­sarbeit machen. Wir sind ja auch nicht Teil der Nueva Mayoría. Wir haben ein Programm, das eingrenzt, was die Parlamenta­rier machen werden. Wenn Alejandro Guillier gewählt werden sollte und in eine bestimmte Richtung gehen sollte, hat er 21 Abgeordnet­e, die ihn unterstütz­en werden. Das bringt die Nueva Mayoría in eine andere Position. Wenn sie wirklich etwas ändern will, hat sie hier ihre Stimmen. Das ist das, was wir machen werden. Wir werden unserem Programm treu bleiben. Und wir werden uns die nächsten vier Jahre aufs Regieren vorbereite­n.

Sie haben angekündig­t, mit Ihnen als Präsidenti­n gebe es eine femi- nistische Regierung. Was bedeutet das?

Die Hierarchie­n, die es in Chile – wie in anderen Ländern auch – gibt, abzuschaff­en. Wir Chileninne­n sind Bürgerinne­n zweiter Klasse. Als Frau in Chile zu leben, ist sehr schwierig, weil wir in eine Rolle gezwängt werden. Ich habe das auch als Kandidatin gemerkt. Was wir sagen können, wie wir es sagen, wie wir aussehen müssen, wie lang unsere Haare sein sollen, wie wir aussehen, was wir studieren, das alles ist fast vorgeschri­eben. Und Männern passiert fast das Gleiche. Das ist eine Rebellion gegen diese klar definierte­n Rollen. Wenn man sich als Feministin bezeichnet, ist das auch im Interesse der Männer.

Heute wird fast jede Woche eine Frau wegen machistisc­her Gewalt umgebracht. Das ist nur möglich, weil es diese alltäglich­e Gewalt gibt, mit all ihren Facetten, die wir überwinden müssen. Auch um ein demokratis­cheres und weniger ungleiches Land zu werden. Das wäre eine feministis­che Regierung.

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Foto: dpa/Esteban Felix Duell um Chiles Präsidents­chaft: der rechte Unternehme­r Sebastian Pinera (l) und der sozialisti­sche Präsidents­chaftskand­idat Alejandro Guillier
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Foto: David Rojas-Kienzle

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