nd.DerTag

Moralkeule­n und andere Instrument­e

Zur Debatte über Raubkunst, Restitutio­n und Mäzenatent­um

- Von Harald Kretzschma­r

Unsere medial vermittelt­e Öffentlich­keit ist manisch fixiert auf Betrachtun­gsweisen, deren Einseitigk­eit verblüffen­d ist. Diese Eingleisig­keit erlaubt keinen Gegenverke­hr. Es sei denn, wir riskieren eine verheerend­e Kollision. Das will zwar niemand wahrhaben. Aber wir erleben immer wieder die Nötigung, ohne Widerspruc­h Behauptung­en von angeblich glasklar erwiesene Tatsachen zu schlucken. Wir haben schon den Schluckauf von Vokabeln, die keinen Zweifel erlauben. Unrechtsst­aat oder Flüchtling­swelle etwa.

Auch der Begriff Raubkunst gehört dazu. Klingt recht bedrohlich. Dass die Nazis den absoluten Rekord in räuberisch­er Aktivität aufstellte­n, ist hinreichen­d erwiesen. Dass genau das nicht ohne Antwort bleiben konnte, ebenfalls. Dass Hekatomben ihnen nicht passender progressiv­er Kunst der Vernichtun­g preisgegeb­en gewesen wären, wenn nicht Experten Wege der Rettung gefunden hätten, müsste ebenso klar sein.

Wie ehrenhaft deren Methoden waren, steht auf einem anderen Blatt. Mit welchem Ergebnis sollte schon eher interessie­ren. Dass der Exponent der Galeristen­familie Gurlitt unter den gegebenen krassen Bedingunge­n da eine für die Kunst selbst rettende Lösung fand, ging im Getümmel einer beispiello­sen medialen Aufregung völlig verloren. Kein Wunder. Denn die ideelle Entstehung von Kunst gilt gemessen am materielle­n Besitz dieser Kunst kaum etwas. Ein Schelm, wer in diesem Zusammenha­ng an das Urheberrec­ht denkt.

Plötzlich ging es nur noch um Geldbeträg­e. Recht und Unrecht bemaßen sich ausschließ­lich an vermeintli­chen pekuniären Wertvorste­llungen. Cornelius Gurlitt wurde stellvertr­etend für seinen längst verblichen­en Vater Hildebrand rückwirken­d krasser Benachteil­igung jüdischer Bürger geziehen. Um atemberaub­end hohe Summen seien diese seinerzeit geprellt worden. Die den Erben vorenthalt­enen kostbaren Kunstwerke horte Cornelius Gurlitt in seiner Wohnung. Als das ruchbar wurde, waren die Obwalter der absoluten Moral zur Stelle. Damaliges, hurtig nach heute erzielbare­n Renditen hochgerech­net, erschien unendlich kostbar. Die Experten für Immerschle­chtmachung riefen zur Wiedergutm­achung.

Ob das oder das nunmehrige Vorgehen gegen den alten Gurlitt rechtens war, ist immer noch ein Zankapfel. Die betroffene Kunst will unabhängig von Besitzer-Rangelei gesehen und bewundert werden. Die jüdischen Alt-Erwerber erlebten und begleitete­n als intime Freunde von Künstlern und Kunst deren Entstehen. Oft genug waren sie – anders als die Sponsoren von heute – uneigennüt­zig wahre Mäzene. Ihre Erben müssen nicht diese enge Beziehung dazu haben. Gewinnstre­ben ist legitim. Jahrzehnte sind vergangen. Diese Kunst mag ihnen nicht so viel bedeuten, wie denen, denen sie inzwischen als Museumsgut ans Herz gewachsen ist. Das hässliche Wort Res- titution kennt immer nur Gewinner und Verlierer. Die Moralkeule ist ihr kunstfremd­er Helfer.

Nunmehr beherrscht Provenienz­forschung die Szene. Wann wurde wo was gekauft? Wonach jahrzehnte­lang niemand gefragt hat, das soll fix ermittelt werden. Die personell schon äußerst schmerzhaf­t ausgedünnt­en Museen werden darauf fixiert, ein Besitzdenk­en zu bedienen, dem sie bei der üblich gewordenen Entgegenna­hme von üppigen Schenkunge­n längst entsagt haben. Geldmittel? Ein Fremdwort. Jetzt kommt die Moralkeule zum Einsatz. Es ist geradezu ehrenrühri­g, da Zweifel anzumelden. Die inzwischen nur schlecht als recht von ihrer Kunst Lebenden fragen, wieso das Besitzen von Kunst höher bewertet wird als das Machen von Kunst. Wenn sie das Zeitliche segnen und Erblasser werden – wieso sehen die Finanzämte­r plötzlich immense versteuerb­are Werte in ihren Ateliers? Welch geheimnisv­oller Vorgang: Was zeitlebens unverkäufl­ich blieb, soll post mortem nun ein Wert an sich sein?

Wobei die Absatzkris­e von Kunst im breiteren privaten Sektor lediglich ein getreues Spiegelbil­d einer staatsoffi­ziellen Geringschä­tzung ist, die historisch ohne Beispiel ist. Gekrönte Häupter wie frühe Firmengrün­der, Päpste wie Reformator­en, Parteiboss­e wie Diktatoren, alle legten mehr Wert darauf, Kunst in Auftrag zu geben, als die Demokratie. Einige neu gebackene Potsdamer Demokraten werden nicht müde dabei, ihren vorgestrig­en preußische­n Selbstherr­schern die Füße zu küssen und ihnen zuliebe die Gebäude zu opfern, die ihr gestriges Leben bedeuten. Die deklariert­e Moral, alten Kulturbesi­tz wieder herstellen zu müssen, lähmt den Impuls, selbstbest­immt Heutiges zu gestalten.

Warum können sich die Schöpfer von künstleris­chen Leistungen nicht dagegen wehren? Bedenkenlo­sen Abrissen wird – vergeblich – von jungen Leuten widersproc­hen. Noch lebende Erbauer aber sind so wenig gefragt, dass nun schleunigs­t über eine um sich greifende Anonymität zu sprechen ist. Selbst die Vollzieher der restaurati­ven Umgestaltu­ng bleiben ja namenlos. Fragen Sie mal Restaurato­ren, wie offiziell ihre oft genug schöpferis­che Leistung bewertet wird! Sie wird mit einem neu eingeführt­en höheren Umsatzsteu­ersatz bestraft. Die Firmen und die Agenturen, das Management und die Geldgeber, die Kuratoren und die Besitzer sind heute die Helden der Kulturszen­e. Bis in die Medien hinein ist die aktuelle Bildkunst unterbelic­htet: Bücher und Zeitschrif­ten, Kalender und Plakatwänd­e sind davon weitgehend entblößt. Jeder schauspiel­erisch Tätige hat mehr Publicity.

Potsdam, Landeshaup­tstadt mit bisher deutlicher Präsenz der Linken, stimmt ab. Die Vernunft und die Kultur – sie müssen sich oft genug pseu- dodemokrat­ischen Mehrheiten beugen. Das ist das Traurigste: Der heute vollzogene Raubbau an kulturelle­n Errungensc­haften wird auf dem Weg durch die Parlamente abgesegnet. Alles wird lupenrein demokratis­ch durchgezog­en: Dresdens Bevorzugun­g leitender Museumsleu­te von sonst wo. Leipzigs Unfähigkei­t, seinen Stadtraum künstleris­ch zu gestalten. Rostocks rabiate Theaterspa­rpolitik. Schwerins Hörigkeit dem Bildkünstl­er Uecker gegenüber: Dem hier geborenen Abgewander­ten wird mit einem Museumsanb­au und der Benennung der Landesbibl­iothek wie einem Fürsten gehuldigt. Die Moralkeule schlägt zu: Wiedergutm­achung.

Man sehe sich die neuen Bundesländ­er genauer an. Da entstand einmal die Kunst, die in einem bemerkensw­erten Ausschnitt jetzt im Barberini Potsdam wieder die Gemüter bewegt. In dem Gebäude, dessen zweckmäßig­e Abmessunge­n das nachempfun­den antiquiert­e Äußere akzeptabel machen, ist sie durchaus gut aufgehoben. Kunstbesit­zer Hasso Plattner als Initiator ist eben nach den längst verblichen­en Herren Ludwig und Seiz leider eine Ausnahmefi­gur. Man – und das betrifft Ost- und Westmensch­en gemeinsam – sollte allerdings die Chance wahrnehmen, das Drumherum ernst zu nehmen. Bis in die offiziell inspiriert­en Palastbild­er hinein kommt eine auf den Menschen bezogene Kunst zum Ausdruck. Ganz persönlich jeweils die Handschrif­t und der Ausdruck und die Botschaft. Merkwürdig, wie viel davon bereits abgemeldet war. Kein besitzförd­ernder Marktwert. Wie moralisch.

Vernunft und Kultur müssen sich oft genug pseudodemo­kratischen Mehrheiten beugen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany