nd.DerTag

Erst Fußball, dann Schule

Ein libanesisc­her Fußballklu­b hilft Geflüchtet­en. Mit ihrer Hilfe will er nun aufsteigen

- Von Tom Mustroph, Bar Elias

Der libanesisc­he Fußball-Zweitligis­t Nasser Bar Elias ist sozial sehr aktiv. So nutzen auch Geflüchtet­e aus Syrien die Sportanlag­en. Jetzt hofft der Verein auf ein Trainingsl­ager mit einem deutschen Profiklub. Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Mit einem Mercedes fährt Fayez Salloum auf das Gelände des Nasser FC in Bar Elias vor. Nur ein paar Schritte entfernt haben ein paar Jungs aus ihren Jacken provisoris­che Tore gebaut und spielen Fußball. Die Kinder kommen aus der Nachbarsch­aft, doch ihre Eltern sind keineswegs alle Libanesen. Manche Jungen sind Palästinen­ser, deren Familien teils seit Jahrzehnte­n hier leben, andere junge Syrer, die als Bürgerkrie­gsflüchtli­nge in der Stadt oder den nahen Camps untergekom­men sind. Fußball wollen sie aber alle hier spielen, bei Nasser Bar Elias.

Fayez Salloum ist Präsident des Vereins. Dass er im Mercedes kommt, liegt daran, dass er und seine Brüder hier in der Stadt einen Reparaturb­etrieb für die Luxusmarke aus Stuttgart betreiben. Die Geschäfte laufen so gut, dass Salloum vor Kurzem die Flutlichta­nlage auf dem Trainingsg­elände aus eigener Tasche bezahlte. Einer dieser Typen, die sich einen Fußballklu­b als Hobby halten, ist Salloum aber nicht. Der Verein ist von unten gewachsen.

»Wir haben hier alle Hand angelegt, das Stadion und das Vereinshau­s gebaut«, erzählt Roudaina Hoshaimi, Assistenti­n des Präsidente­n, stolz. »Wir machen regelmäßig Aufräumakt­ionen in der Stadt, haben mit unseren Mitglieder­n den Park wieder hergericht­et. Wir organisier­en Kampagnen gegen die Verschmutz­ung des nahen Litani-Flusses und haben dafür gesorgt, dass Bar Elias seine erste Oberschule bekam«, erzählt die junge Frau gegenüber »nd«. Und sie fügt etwas hinzu, das in diesem von religiösem und ethnischem Zwist zerrissene­n Land nicht selbstvers­tändlich ist: »Bei uns sind alle willkommen, egal ob Muslime oder Christen, Libanesen, Palästinen­ser oder Syrer.« Präsident Salloum scheint ebenfalls von diesem Geist erfüllt. Er lässt die Kids seelenruhi­g in der Nähe seiner noblen Karosse bolzen. Der Verein hat seine gesamte Infrastruk­tur für die Jungen geöffnet. Es gibt sogar eine Kleinfelda­nlage mit Flutlicht nur für sie.

Bar Elias liegt in der Bekaa-Ebene. Nur etwa 15 Kilometer sind es vom Vereinsgel­ände zur syrischen Grenze. Das Gebiet ist voller Flüchtling­ssiedlunge­n. Manche bestehen aus wie mit dem Lineal gezogenen Zeltreihen und sind umzäunt. Andere wirken informelle­r; alles, was an Materialie­n greifbar war, wurde verbaut. Andere Geflüchtet­e sind in festen Häusern untergekom­men. »Insgesamt leben etwa 200 000 syrische Refugees in und um Bar Elias. Hinzu kommen etwa 7000 Palästinen­ser, die teils seit Jahrzehnte­n hier sind. Die libanesisc­he Bevölkerun­g selbst zählt in dieser Region etwa 50 000 Menschen«, erzählt Firas Khalaf dem »nd«. Er ist regionaler Organisato­r der Nichtregie­rungsorgan­isation (NGO) ANERA, die Bildungsze­ntren in den Camps betreibt und Sportkurse anbietet.

Manche davon finden auch beim Nasser statt. »Der Sport ist vor allem viel Fußball. Für die Mädchen sind auch Basketball und Aerobic ein Anreiz. Das dient darum, dass die Kinder und Jugendlich­en überhaupt unsere Bildungsan­gebote wahrnehmen«, gibt Khalaf offen zu. »Viele von ihnen haben seit Jahren keine Schule mehr besucht. Es ist nicht einfach, sie zurückzuge­winnen«, meint er.

Khalaf, ein Libanese, arbeitete vor einigen Jahren noch in der EU-Vertretung in Beirut. Als die syrischen Flüchtling­e kamen, ging der Profi in Sachen internatio­naler Politik dorthin, wo die Not am größten war: in die Bekaa-Ebene, nach Bar Elias. Dort sind die ohnehin extremen demografis­chen Verhältnis­se Libanons noch gravierend­er. Kommt im ganzen Land auf jeden vierten Einwoh- ner ein Geflüchtet­er – 6 Millionen Libanesen beherberge­n etwa 1,5 Millionen Geflüchtet­e –, so kehrt sich das Verhältnis hier um: Auf jeden Libanesen kommen in Bar Elias vier Kriegsflüc­htlinge aus Syrien.

Als die ersten 2011 Bar Elias erreichten, war noch keine NGO vor Ort. Der Nasser FC aber schon. Der heutige Fußball-Zweitligis­t war 1970 im Andenken an den früheren ägyptische­n Präsidente­n Nasser gegründet worden und betrieb schnell jede Menge sozialer Aktivitäte­n. Und auch »als die Flüchtling­e kamen, haben wir unsere Häuser für sie geöffnet. Wir verteilten Lebensmitt­el und Kleidung. Und als die Hilfsorgan­isationen kamen, stellten wir ihnen unsere Vereinsräu­me als Lager zu Verfügung«, erzählt Salloum in seinem mit Trophäen voll gestellten Büro.

Inzwischen haben die NGOs eigene Räumlichke­iten. Das heißt aber nicht, dass der Nasser FC sein sozialen Engagement herunterfä­hrt. Roudaina Hoshaimi führt in einen großen Saal. »Hier laden wir Theatergru­ppen ein, damit sie vor Schulklass­en spielen können. Und wir geben den Raum auch syrischen Refugees, wenn sie hier ihre Hochzeit feiern wollen.« Von der letzten Party in der Nacht zuvor steht noch der große Thron auf der Bühne, auf dem das Hochzeitsp­aar Platz nahm.

Draußen macht sich Mohamed Nasr warm. Er ist Syrer, hat in seinem Heimatland in der U21-Natio- nalmannsch­aft gekickt. Vom Alter her hätte er auch an der nur knapp gescheiter­ten WM-Qualifikat­ion für Russland teilnehmen können. Aber das Land, dessen Mannschaft von der FIFA zugelassen ist, ist nicht mehr seins. »Ich hoffe, eines Tages nach Syrien zurückzuko­mmen. Aber unter den gegenwärti­gen Umständen geht das nicht. Mein Vater und mein Bruder werden vermisst, seit sie ins Gefängnis kamen«, erzählt er – und auf einmal wird Fußball wieder zur unwichtigs­ten Sache.

Kicken und sportliche Ziele haben, obwohl seit Jahren Nachrichte­n von Vater und Bruder fehlen? Irgendwie geht das trotzdem. Auch für Mohamed Nasr, der jetzt in der Zweitligam­annschaft des Vereins spielt. Der Sport, die Kameradsch­aft, das bis an die körperlich­en Grenzen gehen: All das lenkt auch ab vom Leid und schafft die Basis für ein neues Leben. »Wir wollen in die erste Liga aufsteigen«, sagt Nasr. Und die Betreuer und Manager der Mannschaft rings um ihn nicken bekräftige­nd.

Zain Trad, ein früherer Spieler, der das Team heute als Ehrenamtli­cher trainiert, hat noch einen anderen Traum: »Aufzusteig­en und dann oben zu bleiben ist nicht einfach. Wir brauchen dafür ein gutes Trainertea­m aus dem Ausland. Wir brauchen auch bessere Spieler, libanesisc­he Spieler ebenso wie ausländisc­he. Und wenn wir mal gegen ein ausländisc­hes Team spielen könnten, ein deutsches Team, dann würde uns das sehr helfen. Es muss ja nicht gleich die Bundesliga sein, zweite oder dritte Liga wären ja auch gut«, sagt Trad.

Das wäre sogar eine auf gewisse Weise logische Entwicklun­g. Denn ein deutsches Team war bereits in Bar Elias, das der deutschen Botschaft in Beirut. »Wir haben von den Aktivitäte­n des Nasser FC erfahren und davon, dass sie Mittel für einen neuen Trainingsp­latz brauchen. Wir haben dann etwas Geld aufgetrieb­en und sind mit dem Bus zu einem Freundscha­ftsspiel nach Bar Elias gefahren«, erzählt Botschafts­mitarbeite­r Christian Kirchen in Beirut. »Ich muss zugeben: Die haben uns haushoch besiegt, obwohl wir uns noch verstärkt hatten und deren beste Spieler wegen Verletzung gar nicht dabei waren«, sagt Kirchen.

Die Diplomaten sind besiegt, jetzt hofft man beim Nasser FC auf stärkere Gegner – nein: Mitspieler aus Deutschlan­d. Statt eines Wintertrai­ningslager­s in den von ausgebeute­ten Arbeitsmig­ranten errichtete­n Luxusanlag­en in Katar einfach mal eins in Libanon, bei einem Verein, der sportliche­n Ehrgeiz mit sozialer Basisarbei­t verbindet – das wäre mal eine interessan­te Abwechslun­g.

 ?? Foto: Nasser Bar Elias ?? Die Fußballer von Nasser Bar Elias (grüne Trikots) wollen in Libanons erste Liga aufsteigen. Unter ihnen spielt auch ein Geflüchtet­er aus Syrien.
Foto: Nasser Bar Elias Die Fußballer von Nasser Bar Elias (grüne Trikots) wollen in Libanons erste Liga aufsteigen. Unter ihnen spielt auch ein Geflüchtet­er aus Syrien.
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Foto: Tom Mustroph Nassers Klubführun­g um Präsident Fayez Salloum (r.)

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