Erst Fußball, dann Schule
Ein libanesischer Fußballklub hilft Geflüchteten. Mit ihrer Hilfe will er nun aufsteigen
Der libanesische Fußball-Zweitligist Nasser Bar Elias ist sozial sehr aktiv. So nutzen auch Geflüchtete aus Syrien die Sportanlagen. Jetzt hofft der Verein auf ein Trainingslager mit einem deutschen Profiklub. Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Mit einem Mercedes fährt Fayez Salloum auf das Gelände des Nasser FC in Bar Elias vor. Nur ein paar Schritte entfernt haben ein paar Jungs aus ihren Jacken provisorische Tore gebaut und spielen Fußball. Die Kinder kommen aus der Nachbarschaft, doch ihre Eltern sind keineswegs alle Libanesen. Manche Jungen sind Palästinenser, deren Familien teils seit Jahrzehnten hier leben, andere junge Syrer, die als Bürgerkriegsflüchtlinge in der Stadt oder den nahen Camps untergekommen sind. Fußball wollen sie aber alle hier spielen, bei Nasser Bar Elias.
Fayez Salloum ist Präsident des Vereins. Dass er im Mercedes kommt, liegt daran, dass er und seine Brüder hier in der Stadt einen Reparaturbetrieb für die Luxusmarke aus Stuttgart betreiben. Die Geschäfte laufen so gut, dass Salloum vor Kurzem die Flutlichtanlage auf dem Trainingsgelände aus eigener Tasche bezahlte. Einer dieser Typen, die sich einen Fußballklub als Hobby halten, ist Salloum aber nicht. Der Verein ist von unten gewachsen.
»Wir haben hier alle Hand angelegt, das Stadion und das Vereinshaus gebaut«, erzählt Roudaina Hoshaimi, Assistentin des Präsidenten, stolz. »Wir machen regelmäßig Aufräumaktionen in der Stadt, haben mit unseren Mitgliedern den Park wieder hergerichtet. Wir organisieren Kampagnen gegen die Verschmutzung des nahen Litani-Flusses und haben dafür gesorgt, dass Bar Elias seine erste Oberschule bekam«, erzählt die junge Frau gegenüber »nd«. Und sie fügt etwas hinzu, das in diesem von religiösem und ethnischem Zwist zerrissenen Land nicht selbstverständlich ist: »Bei uns sind alle willkommen, egal ob Muslime oder Christen, Libanesen, Palästinenser oder Syrer.« Präsident Salloum scheint ebenfalls von diesem Geist erfüllt. Er lässt die Kids seelenruhig in der Nähe seiner noblen Karosse bolzen. Der Verein hat seine gesamte Infrastruktur für die Jungen geöffnet. Es gibt sogar eine Kleinfeldanlage mit Flutlicht nur für sie.
Bar Elias liegt in der Bekaa-Ebene. Nur etwa 15 Kilometer sind es vom Vereinsgelände zur syrischen Grenze. Das Gebiet ist voller Flüchtlingssiedlungen. Manche bestehen aus wie mit dem Lineal gezogenen Zeltreihen und sind umzäunt. Andere wirken informeller; alles, was an Materialien greifbar war, wurde verbaut. Andere Geflüchtete sind in festen Häusern untergekommen. »Insgesamt leben etwa 200 000 syrische Refugees in und um Bar Elias. Hinzu kommen etwa 7000 Palästinenser, die teils seit Jahrzehnten hier sind. Die libanesische Bevölkerung selbst zählt in dieser Region etwa 50 000 Menschen«, erzählt Firas Khalaf dem »nd«. Er ist regionaler Organisator der Nichtregierungsorganisation (NGO) ANERA, die Bildungszentren in den Camps betreibt und Sportkurse anbietet.
Manche davon finden auch beim Nasser statt. »Der Sport ist vor allem viel Fußball. Für die Mädchen sind auch Basketball und Aerobic ein Anreiz. Das dient darum, dass die Kinder und Jugendlichen überhaupt unsere Bildungsangebote wahrnehmen«, gibt Khalaf offen zu. »Viele von ihnen haben seit Jahren keine Schule mehr besucht. Es ist nicht einfach, sie zurückzugewinnen«, meint er.
Khalaf, ein Libanese, arbeitete vor einigen Jahren noch in der EU-Vertretung in Beirut. Als die syrischen Flüchtlinge kamen, ging der Profi in Sachen internationaler Politik dorthin, wo die Not am größten war: in die Bekaa-Ebene, nach Bar Elias. Dort sind die ohnehin extremen demografischen Verhältnisse Libanons noch gravierender. Kommt im ganzen Land auf jeden vierten Einwoh- ner ein Geflüchteter – 6 Millionen Libanesen beherbergen etwa 1,5 Millionen Geflüchtete –, so kehrt sich das Verhältnis hier um: Auf jeden Libanesen kommen in Bar Elias vier Kriegsflüchtlinge aus Syrien.
Als die ersten 2011 Bar Elias erreichten, war noch keine NGO vor Ort. Der Nasser FC aber schon. Der heutige Fußball-Zweitligist war 1970 im Andenken an den früheren ägyptischen Präsidenten Nasser gegründet worden und betrieb schnell jede Menge sozialer Aktivitäten. Und auch »als die Flüchtlinge kamen, haben wir unsere Häuser für sie geöffnet. Wir verteilten Lebensmittel und Kleidung. Und als die Hilfsorganisationen kamen, stellten wir ihnen unsere Vereinsräume als Lager zu Verfügung«, erzählt Salloum in seinem mit Trophäen voll gestellten Büro.
Inzwischen haben die NGOs eigene Räumlichkeiten. Das heißt aber nicht, dass der Nasser FC sein sozialen Engagement herunterfährt. Roudaina Hoshaimi führt in einen großen Saal. »Hier laden wir Theatergruppen ein, damit sie vor Schulklassen spielen können. Und wir geben den Raum auch syrischen Refugees, wenn sie hier ihre Hochzeit feiern wollen.« Von der letzten Party in der Nacht zuvor steht noch der große Thron auf der Bühne, auf dem das Hochzeitspaar Platz nahm.
Draußen macht sich Mohamed Nasr warm. Er ist Syrer, hat in seinem Heimatland in der U21-Natio- nalmannschaft gekickt. Vom Alter her hätte er auch an der nur knapp gescheiterten WM-Qualifikation für Russland teilnehmen können. Aber das Land, dessen Mannschaft von der FIFA zugelassen ist, ist nicht mehr seins. »Ich hoffe, eines Tages nach Syrien zurückzukommen. Aber unter den gegenwärtigen Umständen geht das nicht. Mein Vater und mein Bruder werden vermisst, seit sie ins Gefängnis kamen«, erzählt er – und auf einmal wird Fußball wieder zur unwichtigsten Sache.
Kicken und sportliche Ziele haben, obwohl seit Jahren Nachrichten von Vater und Bruder fehlen? Irgendwie geht das trotzdem. Auch für Mohamed Nasr, der jetzt in der Zweitligamannschaft des Vereins spielt. Der Sport, die Kameradschaft, das bis an die körperlichen Grenzen gehen: All das lenkt auch ab vom Leid und schafft die Basis für ein neues Leben. »Wir wollen in die erste Liga aufsteigen«, sagt Nasr. Und die Betreuer und Manager der Mannschaft rings um ihn nicken bekräftigend.
Zain Trad, ein früherer Spieler, der das Team heute als Ehrenamtlicher trainiert, hat noch einen anderen Traum: »Aufzusteigen und dann oben zu bleiben ist nicht einfach. Wir brauchen dafür ein gutes Trainerteam aus dem Ausland. Wir brauchen auch bessere Spieler, libanesische Spieler ebenso wie ausländische. Und wenn wir mal gegen ein ausländisches Team spielen könnten, ein deutsches Team, dann würde uns das sehr helfen. Es muss ja nicht gleich die Bundesliga sein, zweite oder dritte Liga wären ja auch gut«, sagt Trad.
Das wäre sogar eine auf gewisse Weise logische Entwicklung. Denn ein deutsches Team war bereits in Bar Elias, das der deutschen Botschaft in Beirut. »Wir haben von den Aktivitäten des Nasser FC erfahren und davon, dass sie Mittel für einen neuen Trainingsplatz brauchen. Wir haben dann etwas Geld aufgetrieben und sind mit dem Bus zu einem Freundschaftsspiel nach Bar Elias gefahren«, erzählt Botschaftsmitarbeiter Christian Kirchen in Beirut. »Ich muss zugeben: Die haben uns haushoch besiegt, obwohl wir uns noch verstärkt hatten und deren beste Spieler wegen Verletzung gar nicht dabei waren«, sagt Kirchen.
Die Diplomaten sind besiegt, jetzt hofft man beim Nasser FC auf stärkere Gegner – nein: Mitspieler aus Deutschland. Statt eines Wintertrainingslagers in den von ausgebeuteten Arbeitsmigranten errichteten Luxusanlagen in Katar einfach mal eins in Libanon, bei einem Verein, der sportlichen Ehrgeiz mit sozialer Basisarbeit verbindet – das wäre mal eine interessante Abwechslung.