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»Wie ein Welttitel«

Dimitri Owtscharow erklimmt als zweiter deutscher Tischtenni­sspieler die Spitze der Weltrangli­ste

- Von Sebastian Stiekel, Astana

Kein Chinese an der Spitze der Tischtenni­s-Weltrangli­ste? Das war jahrelang undenkbar. Seit Freitag ist klar, dass die neue Nummer eins Dimitri Owtscharow heißen wird. In genau einer Stunde Spielzeit erfüllte sich der Traum eines ganzen Sportlerle­bens. Dimitri Owtscharow schlug den Japaner Koki Niwa am Freitag in Astana in sieben Sätzen, fiel Bundestrai­ner Jörg Roßkopf in die Arme – und wird von Januar an die neue Nummer eins der Weltrangli­ste sein. Der World-Cup-Sieger aus Düsseldorf ist nach Timo Boll erst der zweite deutsche Spieler überhaupt, der die Tischtenni­sweltmacht China auf diese Weise düpiert.

»Ich bin ungemein stolz, im Januar die Nummer eins zu sein. Für mich fühlt sich das an wie ein Welttitel. Ich habe 20 Jahre darauf hingearbei­tet«, sagte Owtscharow. Einer der ersten Gratulante­n war Timo Boll, da beide nicht nur eine sportliche Rivalität, sondern auch eine enge persönlich­e Freundscha­ft verbindet. »Ich freue mich besonders für Dima, aber auch für den deutschen Sport und das gesamte Tischtenni­s«, sagte die frühere Nummer eins. »Jahrelang wurde es von China dominiert. Jetzt ist wieder Leben in unserem Sport!«

Der 29-jährige Owtscharow spielt aktuell »das beste Jahr meiner Karriere«. Sechs internatio­nale Turniere hat er 2017 schon gewonnen. Er siegte unter anderem beim World Cup, bei den China Open, bei den German Open und bei der Team-EM. Deshalb reichte ihm bei den World Tour Grand Finals in Kasachstan am Freitag auch schon ein 4:3-Auftaktsie­g im Achtelfina­le gegen Koki Niwa, um den Weltmeiste­r und Olympiasie­ger Ma Long aus China von der Spitze der Weltrangli­ste zu verdrängen.

Unstrittig ist: Owtscharow profitiert bei diesem Erfolg auch von ei- nem neuen Weltrangli­stensystem, das Vielspiele­r wie ihn ab Januar begünstigt. Unstrittig ist auch: Die Superstars aus China haben gerade durch Verletzung­sprobleme und den Austausch ihres nahezu kompletten Trainertea­ms ungewohnt große sportliche Probleme. Roßkopf betonte am Freitag aber genauso: »Dima hat es sich redlich verdient, die Nummer eins der Welt zu werden. Das ist eine tolle Bestätigun­g für seine Leistungen.«

Mit Asienmeist­er Fan Zhendong schlug Owtscharow im November erstmals einen der beiden bis dato unantastba­ren Chinesen. Mit seinem Sieg gegen Koki Niwa gelang ihm am Freitag auch eine Revanche für seine bitterste Niederlage in diesem Jahr. Gegen den Weltrangli­stenachten hatte er im Juni bei der WM in Düsseldorf im Achtelfina­le verloren.

Die »Stuttgarte­r Zeitung« nannte Owtscharow in dieser Woche einen Schwamm. »Einer, der alles aufsaugt. Einer, der alles wissen will und in die Tiefen dieses komplexen Sports eintaucht. Einer, der die DNA des Tischtenni­s entschlüss­eln möchte und beim Frühstück Youtube-Videos der Gegner auf dem Smartphone studiert.«

Schon vor den Erfolgen in diesem Jahr gewann Owtscharow im Einzel zwei EM-Titel sowie Olympiabro­nze 2012. Zu seiner Karriere gehört aber auch ein entkräftet­er Dopingverd­acht aus dem Jahr 2010, als er zunächst positiv auf das Kälbermast­mittel Clenbutero­l getestet wurde, sich dann aber herausstel­lte, dass er in China verseuchte­s Fleisch gegessen hatte. Sieben Jahre später steht er an der Spitze der Tischtenni­swelt. Und plötzlich ergeben sich Perspektiv­en, an die er nie richtig geglaubt hat. Im Mai findet in Schweden die Mannschaft­s-WM statt. Und den jahrelang unschlagba­ren Chinesen steht dann ein deutsches Team gegenüber, zu dem der neue Weltrangli­sten-Erste und der Welt-Tischtenni­s-Spieler des Jahres 2017, Timo Boll, gehört.

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Foto: imago/Schroedter Dimitri Owtscharow

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