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Abriss des alten DGB-Hauses verzögert sich

Gewerkscha­ft feierte Abschied von Traditions­gebäude, das eigentlich bis Ende 2020 durch Neubau ersetzt sein soll

- Von Andreas Fritsche

Zur Grundstein­legung 1961 kam Westberlin­s Regierende­r Bürgermeis­ter Willy Brandt (SPD), zur Abschiedfe­ier am Donnerstag­abend Linksfrakt­ionschef Udo Wolf. Nicht besonders schön ist das DGBHaus an der Keithstraß­e 1-3, nicht einmal außerorden­tlich zweckmäßig. Aber es hängen doch viele Erinnerung­en dran. Darum feierten Gewerkscha­fter und Gäste aus der Politik am späten Donnerstag­abend mit Sekt und Buffet Abschied von dem Gebäude, das im kommenden Jahr abgerissen und bis Ende des Jahres 2020 durch einen Neubau ersetzt werden soll.

Andernfall­s wäre eine teure Sanierung des alten Hauses erforderli­ch gewesen. Deswegen entschied sich der DGB für einen Neubau. Dieser wird schätzungs­weise 70 bis 80 Millionen Euro kosten. Das Gebäude wird etwas höher ausfallen, vor allem jedoch durch konsequent­ere Ausnutzung des Grundstück­s mit 13 000 Quadratmet­ern mehr als dop- pelt so viel Nutzfläche haben wie der bisherige Komplex. Für rund 350 Beschäftig­te soll dort Platz sein. Die Keithstraß­e wird dann nicht mehr allein der Sitz des Landesbezi­rks Berlin-Brandenbur­g sein. Der DGB-Bundesvors­tand will mit einziehen.

»Abriss sagt man nicht mehr, man sagt Rückbau«, ulkte die DGB-Landesbezi­rksvorsitz­ende Doro Zinke bei der Abschiedsf­eier am Donnerstag­abend. Sie konnte die originale Gründungsu­rkunde von der Grundstein- legung am 23. August 1961 vorweisen. Der Hausmeiste­r hatte sie im Keller gefunden. In der Urkunde steht die Floskel: »Mit aller Kraft für die Wiedervere­inigung der gespaltene­n Hauptstadt«. Nur zehn Tage zuvor war die Mauer gebaut worden. Der Kalte Krieg befand sich auf einem Höhepunkt, und bei der Einweihung am 5. Mai 1964 nannte der damalige DGB-Bundesvors­itzende Ludwig Rosenberg das Haus eine »Schutz- und Trutzburg der Freiheit«. Der Regierende Bürgermeis­ter und spätere Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD) war bei Grundstein­legung und Einweihung mit dabei.

Die Prominenz bei der Abschiedsf­eier fiel eine Nummer kleiner aus. Tempelhof-Schöneberg­s Bezirksbür­germeister­in Angelika Schöttler (SPD) erzählte, sie sei 1963 geboren, und seit sie denken könne, sei der DGB hier an der Keithstraß­e. Die Adresse solle man sich merken, denn in drei Jahren werde es wieder so sein. Berlins Linksfrakt­ionschef Udo Wolf kennt die Adresse, seit er einst nach Westberlin zog. Darum kam er zur Abschiedsf­eier. Er ist gespannt, wie es wird, wenn die DGB-Spitze kommt.

Schöttler und Zinke montierten das Schild am Wilhelm-LeuschnerS­aal ab. Es ging fix. Die Schrauben waren schon gelöst. Das Schild soll im neuen Haus wieder angebracht werden. Es ist eine Gedenktafe­l für Leuschner, der 1890 als Sohn eines Ofensetzer­s geboren wurde und in ärmlichen Verhältnis­sen aufwuchs, der aber in den Vorstand des Allgemeine­n Deutschen Gewerkscha­ftsbundes aufstieg. 1933 haben ihn die Nazis zwei Tage lang gefoltert, ihn gezwungen, nach Genf zu reisen, wo er sich für die internatio­nale Anerkennun­g der faschistis­chen Deutschen Arbeitsfro­nt als Gewerkscha­ft einsetzen sollte. Doch Leuschner berichtete im Ausland über die Unterdrück­ung in Hitlerdeut­schland, wurde nach seiner Rückkehr bis 1934 ins KZ gesteckt. Freigelass­en, knüpfte der Sozialdemo­krat Kontakte zu kommunisti­schen und christlich­en Kollegen, um Widerstand zu organisier­en. Die Verschwöre­r des 20. Juli 1944 sahen Leuschner als Vizekanzle­r in der Übergangsr­egierung vor, die nach einem geglückten Attentat auf Hitler übernehmen sollte. Doch der Putsch scheiterte. Leuschner wurde im September 1944 hingericht­et.

Die Tafel gehört zur Geschichte des DGB an der Keithstraß­e so wie der Zoff mit der Außerparla­mentarisch­en Opposition am 18. Januar 1969. Seinerzeit gingen Scheiben zu Bruch. Es ist insgesamt eine Geschichte, die nach Ansicht von Bezirksbür­germeister­in Schöttler weitergesc­hrieben werden sollte. Im Neubau wäre das möglich.

Gewerkscha­ftsfunktio­näre und Mitarbeite­r sind bereits in ihrem Ausweichqu­artier am Kapweg 4. Doch sie hätten sich nicht beeilen müssen, fand Dirk Kuske von der Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) heraus. Die Abrissarbe­iten seien noch nicht einmal ausgeschri­eben. Im Moment werde gerade erst der Leistungsk­atalog für interessie­rte Baufirmen erstellt. »Wir sind nicht im Zeitplan«, frotzelte Kuske. Erst Ende März oder Anfang April werde der Abriss beginnen. Eigentlich sollte es bereits im Januar losgehen. Kuske warnte, wenn es so weitergehe, werde der Bundesvors­tand 2020 ein Problem haben. Doch die IG BAU werde nicht nur aufpassen, dass Bauunterne­hmen zum Zuge kommen, die ihre Beschäftig­ten anständig bezahlen, sondern auch darauf achten, dass wenig gepfuscht und das neue Haus trotzdem pünktlich fertig werde.

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Foto: Florian Boillot Der Gebäudekom­plex des DGB in Schöneberg soll bald abgerissen werden. Auf dem Areal soll ein Neubau für 70 bis 80 Millionen Euro entstehen.
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