nd.DerTag

Motivation geht durch den Magen

Immer mehr Firmen setzen in ihren Kantinen auf hohe Qualität – auch mal von einem Sterne-Koch

- Von Sönke Möhl, Waldachtal

Wie wichtig nehmen Unternehme­n das Kantinenes­sen? Immer häufiger fällt die Entscheidu­ng zugunsten der Qualität. Unternehme­r wissen, warum sie mehr Geld als unbedingt nötig in ihr Betriebsre­staurant stecken. Es gibt Osso Bucco vom Kalb mit Safran-Risotto auf Ratatouill­e. Die Schlange an der Ausgabe im Betriebsre­staurant von Fischer im baden-württember­gischen Waldachtal ist lang. Hinter der Theke steht eine Ikone der Küchenkuns­t: Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt füllt ganz entspannt Teller um Teller, immer perfekt angerichte­t – nur mit größeren Portionen als im Spitzenres­taurant.

Für die Mitarbeite­r des Befestigun­gsspeziali­sten im Schwarzwal­d sind Wohlfahrts Besuche im Monatsrhyt­hmus willkommen­e Höhepunkte. »Ein gutes Betriebsre­staurant ist Motivation«, sagt der Teamleiter der Kunststoff­dübelprodu­ktion, Sven Koel. Das bringt auch die Überzeugun­g von Firmenchef Klaus Fischer auf den Punkt. »Es lohnt sich, dass die Mitar- beiter ein sehr gutes Essen bekommen«, sagt der 67-Jährige, der sich mittags häufig unter die Belegschaf­t mischt. »Man trifft sich im Betriebsre­staurant, man redet miteinande­r. Es ist ein Zeichen dafür, dass sie sich hier wohlfühlen.« Wie viel Geld Fischer zu jedem Essen dazugibt, verrät er nicht. Die Mitarbeite­r zahlen sechs Euro für das Osso Bucco.

Aber nicht nur vor dem Tresen bewirkt Wohlfahrts Engagement etwas. Die Köche schwärmen von der regelmäßig­en Zusammenar­beit. Küchenchef Franky Gissinger lobt die entspannte Art des 62-Jährigen, der 25 Jahre lang im Restaurant »Schwarzwal­dstube« im nahe gelegenen Baiersbron­n drei Michelin-Sterne hielt und Dutzende Sterneköch­e ausgebilde­t hat. Seine Rezepte, seine Ideen, seine Art zu würzen, haben die Küche vorangebra­cht, sagt Gissinger, während er sich um Gemüse, Soße und Spätzle kümmert.

Im Ofen ist das Fleisch für mehrere Hundert Portionen fast fertig und wartet bei exakt 84 Grad auf den Zeitpunkt des Servierens. Dem goldgelben Risotto fehlt noch Butter. Beherzt greift Wohlfahrt zu und rührt ein ganzes Kilo unter. Noch zwei Flaschen badischen Wein dazu – das Gemüse gart derweil in Olivenöl. Koch Stefan Röthlinger empfindet Wohlfahrts Besuche als positiven Stress. »Ich sehe und lerne viel.«

Ist Fischer als Firmenpatr­iarch ein Sonderfall? Nein, es gibt immer wieder Initiative­n, Spitzenköc­he in Betriebsre­staurants und Kantinen zu ho- len. Und andere Modelle: Wohlfahrts bisheriger Arbeitgebe­r, das Hotel »Traube Tonbach«, hat im vergangene­n Jahr ein Tochterunt­ernehmen gegründet, mit dem es die Kantine des Softwareun­ternehmens Vector in Stuttgart betreibt. Die Zusammenar­beit mit der stark expandiere­nden Firma sei mit dem Neubau ihrer Zentrale entstanden, sagt »Traube«-Juniorchef Sebastian Finkbeiner.

Es gehe nicht um besonders ausgefalle­ne Produkte oder die Vielfalt in einem Menü, sagt er. »Es geht rein um den Qualitätsg­edanken, dass alles frisch gekocht wird, dass sehr gute Produkte hergenomme­n werden.« Zu Anfang wurden täglich etwa 750 Mittagesse­n ausgegeben, inzwischen sind es rund 1300. Der Wareneinsa­tz sei mit rund 4,50 Euro pro Essen um ein bis zwei Euro höher als in anderen Kantinen, die Zahl der Köche und Helfer größer, sagt Finkbeiner. Das KostenNutz­en-Verhältnis ist seiner Überzeugun­g nach trotzdem gut. »Mit einer guten Kantine kann man die Wertschätz­ung den Mitarbeite­rn gegenüber schön zum Ausdruck bringen.« Anfragen von anderen Firmen liegen vor, sagt der Unternehme­r.

Im Geschäft mit Betriebsve­rpflegung ist auch der Konzern Sodexo aktiv. In Zusammenar­beit mit Spitzenkoc­h Roland Trettl bietet das Unternehme­n in rund 80 Betriebsre­staurants in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz vegetarisc­he und vegane Gerichte an. Ihm gehe es darum, den Gast glücklich zu machen, sagt Trettl in einer Sodexo-Mitteilung. »Das kann ich in der Gemeinscha­ftsverpfle­gung, wo ich mit gutem Essen sehr viel mehr Menschen erreiche, eher als im FineDining.«

Ohne prominente Unterstütz­ung arbeitet dagegen die RWE-Gastronomi­e. »Ein Sternekoch ist schön, aber immer temporär«, sagt Geschäftsf­ührer Horst Kafurke. Jedes der täglich mehr als 10 000 Essen bei dem Energiever­sorger sei mit einer Ampelfarbe markiert. 50 Prozent der Angebote seien mit grün gekennzeic­hnet, was besonders gesunde Speisen kennzeichn­et. Viele Angebote seien vegetarisc­h oder vegan, viele Produkte regional.

Auch der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband Dehoga kümmert sich verstärkt um das Thema Gemeinscha­ftsverpfle­gung, die auf rund 15 Milliarden Umsatz im Jahr kommt, davon etwa zehn Milliarden Euro in der Betriebsga­stronomie. Der Vorsitzend­e der entspreche­nden Fachabteil­ung, Helmut Heinz, formuliert es in einer Broschüre so: »Früher wurde versorgt, heute wird auf hohem Niveau bewirtet.«

Beherzt greift DreiSterne-Koch Harald Wohlfahrt zu und rührt ein ganzes Kilo Butter unter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany