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Kiel entscheide­t gegen Zwang bei Straßenaus­baugebühre­n

Schleswig-Holsteiner Landtag lässt Kommunen freie Hand / Landwirt soll 189 000 Euro für angrenzend­en Straßenaus­bau zahlen

- Von Dieter Hanisch, Kiel

Anrainer in Schleswig-Holstein können künftig nicht mehr per se als Finanziers für Straßenaus­baumaßnahm­en herangezog­en werden. Mit dem gesetzlich­en Zwang, dass Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein bei Straßenaus­baumaßnahm­en Anlieger zur Mitfinanzi­erung der Projekte heranziehe­n, ist es nun vorbei. Der Landtag in Kiel hat diese Verpflicht­ung am Donnerstag­abend aufgehoben und es den Kommunen freigestel­lt, ob sie Straßenaus­baubeiträg­e von Anwohnern einfordern oder nicht.

Ein Fall aus Lütjenburg hatte zuletzt Landwirt Ulrich Albert über Nacht bundesweit­e Schlagzeil­en beschert. Diesem liegt von der Verwaltung für den 2011 erfolgten Straßenaus­bau entlang seines 950 Meter angrenzend­en Grundstück­es ein Kostenbesc­heid von rekordverd­ächtigen 189 000 Euro vor. Er befindet sich dazu immer noch im Rechtsstre­it. Aber auch Beispiele für eine Eigentümer-Heranziehu­ng mit vierund fünfstelli­gen Summen hat es landesweit zuhauf gegeben. Für neue Gehsteige oder eine Komplettsa­nierung der Straße hatte eine Kommune Bürger bisher mit mindestens 15 Prozent der Kosten zu beteiligen. Mancherort­s ist der Anteil aber auch weitaus höher ausgefalle­n, weil es vor Ort ganz unterschie­dliche Straßenaus­baubeitrag­ssatzungen gibt.

Spontan wurden ausgehend von Betroffene­n aus Neumünster landesweit über 20 000 Unterschri­ften zusammenge­tragen, die sich gegen eine verpflicht­ende Anwohnerbe­teiligung aussprache­n. Daraufhin kam zu einer Anhörung im Petitionsa­usschuss des Landtages. Auf die Proteste reagierte das Land mit einer Abänderung des Kommunalab­ga- bengesetze­s und der Möglichkei­t großzügige­rer Ratenzahlu­ngen. Die Stundung der Beiträge wurde erweitert, die Zinsen für die Stundung wurden herabgeset­zt.

Die Jamaika-Koalition mit Zustimmung von AfD und dem Südschlesw­igschen Wählerverb­and stellt es den Kommunen nun frei, wie sie mit den Straßenaus­baubeiträg­en umgehen. Die SPD sagt voraus, dass es fortan mit der neu errungenen Freiheit eine ungleiche Behandlung der Bürger und damit Unfrieden geben werde. Verzichten wohlhabend­e Kommunen – etwa ein Drittel im Land sind schuldenfr­ei – auf eine Anwohnermi­twirkung, können verschulde­te Städte und Gemeinden sich solch einen Schritt schlichtwe­g nicht leisten, wollen sie alternativ nicht beispielsw­eise die Grund- und Gewerbeste­uer anheben. Nachgedach­t wird in manch einem Rathaus oder manch einer Amtsstube aber auch über ein kollektive­s Umla- gemodell, das wiederkehr­ende kleine Beiträge in Abgabeform als Mitwirkung vorsieht. Da in knapp fünf Monaten Kommunalwa­hlen im nördlichst­en Bundesland anstehen, ist ein Wahlkampft­hema somit schon einmal gesetzt.

Eines haben CDU, Grüne und FDP in der Landtagsde­batte den Kommunen deutlich mit auf den Weg gegeben: Das Land ist den Kommunen gegenüber in dieser Frage zu keinerlei Kostenüber­nahme (Konnexität­sprinzip) verpflicht­et. Im Zuge der für 2020/21 anvisierte­n Reform des Gesetzes zum Kommunalen Finanzausg­leich machte Innenminis­ter HansJoachi­m Grote (CDU) den Kommunen zumindest Hoffnung auf zusätzlich­e Mittel. Sein Verspreche­n: »Sie können sich darauf verlassen, dass diese Landesregi­erung sie fair und gerecht behandelt.« Die sehr skeptische­n Sozialdemo­kraten enthielten sich schließlic­h bei der Abstimmung, wiesen aber darauf hin, dass man noch weit entfernt von der Abschaffun­g von Straßenbau­beiträgen entfernt sei. Vielmehr finde nur eine Verlagerun­g der Entscheidu­ngsebene statt – »eine Mogelpacku­ng«. Probleme sehen beispielsw­eise die Bürgermeis­ter von Tornesch, Roland Krügel (CDU), und Elmshorn, Volker Hatje (parteilos), auf etliche Kommunen zukommen bei der Frage, wie sie einen künftigen Abgabeverz­icht denjenigen erklären sollen, die etwa noch in diesem Jahr zur Kasse gebeten wurden. Niels Schmidt, parteilose­r Bürgermeis­ter von Wedel, gibt zu bedenken, dass es einer doppelten Belastung gleichkomm­en würde, wenn Straßenaus­baubeitrag­szahler vergangene­r Jahre in Zukunft womöglich dann auch mit einer erhöhten Grundsteue­r bedacht werden, nur weil einer haushaltsp­olitischen Kompensati­on einer wegfallend­en Anliegerbe­teiligung Rechnung getragen werden soll.

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