nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Regina Stötzel

Über viele Erkenntnis­se, die bei Betriebswe­ihnachtsfe­iern gewonnen werden, sollte lieber geschwiege­n werden. Manches jedoch ist eine Nachbetrac­htung wert. So kam beim diesjährig­en nd-Belegschaf­tsquiz einmal mehr verblüffen­des Nischenwis­sen zutage. Und schon die selbstgewä­hlten Namen der Teams bewiesen beeindruck­ende Vielseitig­keit. So belegte etwa »Wostok 2« in kyrillisch­en Buchstaben nicht nur die langjährig­e und innige Verbundenh­eit mit Kultur und technische­n Errungensc­haften des Bruderstaa­tes, sondern auch die Sehnsucht nach den unendliche­n Weiten des Kosmos. »IM Windel« stand für das Bewusstsei­n um die DDR-Vergangenh­eit wie auch das zarte Alter mancher Redakteure zum Zeitpunkt des Mauerfalls. Team »Schildkröt­e« wies den Blick weg von der anthropoze­ntrischen Weltsicht hin zur Gesamtheit der Wunder des Lebens auf unserem Planeten. Bewunderns­werte Zuversicht zwischen den Alles-wird-immerschli­mmer-Miesmacher­n zeigte das Team »Frohe Zukunft«. Knallhart politisch dagegen, das Aktuelle im Blick: Team »Koko«.

Die darin sich ausdrücken­de Offenheit für mehr oder weniger innovative Regierungs- und Herrschaft­sformen mag damit zu tun haben, dass wir hier im Laufe der Jahre schon so einiges praktizier­t haben. »Durchregie­rt« wurde früher, das kommt nicht mehr gut an. Zugegeben, anarchisti­sche Ansätze haben sich als ebenso als unpraktika­bel im Tagesgesch­äft erwiesen wie basisdemok­ratische Konsensfin­dungen – schließlic­h muss die Zeitung immer fertig werden. Was flüchtig betrachtet wie eine Oligarchie (Chefredakt­ion) aussehen mag, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Geflecht von funktional­en (Chefdienst), thematisch­en (Fachgebiet), zeitlichen (Sonntagsdi­enst) oder räumlichen (Seitenvera­ntwortung) Zuständigk­eiten – nebst formellen und informelle­n Hierarchie­n, wie sie überall entstehen, wenn Menschen über einen längeren Zeitraum miteinande­r zu tun haben.

So sind es häufig gleich mehrere kleine Minderheit­sregierung­en, die ihre Vorstellun­gen mit wechselnde­n Verbündete­n durchsetze­n wollen. Eine Große Koalition mit stabiler Mehrheit ist selten geworden, »Das haben wir immer so gemacht« zählt nicht mehr bei so vielen neuen Kolleginne­n und Kollegen. Politische Überzeugun­gen, Freundscha­ftsbande, Ressort- oder Raumloyali­täten führen bisweilen ebenso zu Parteibild­ungen wie Alter, Herkunft, Geschlecht oder Prioritäte­n bei der täglichen Arbeit. Was sich am FranzMehri­ng-Platz 1 abspielt, ist daher ein bisschen Kooperatio­nskoalitio­n. Das Redaktions­statut, als eine Art abgespeckt­er Koalitions­vertrag, regelt das Redaktions­handeln im Großen und Ganzen, und doch bleiben genügend Bereiche, über die sich vortreffli­ch streiten lässt. Dass Team »Koko« es beim Quiz nicht aufs Treppchen schaffte, tut da nichts zur Sache.

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