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Das zerstört die Hoffnung auf Europa

Khadija Ismayilova deckte als Journalist­in die Steuerhint­erziehung der Präsidente­nfamilie in Aserbaidsc­han auf

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Welche sind derzeit die schlimmste­n Menschenre­chtsverlet­zungen in Aserbaidsc­han?

Das drängendst­e Problem ist die Anzahl politische­r Gefangener, von denen es über 100 gibt, mindestens neun davon Journalist­en. Die brauchen die Aufmerksam­keit, zum Beispiel mein Kollege Afqan Muxtarli, der immer noch im Gefängnis sitzt und dessen Fall wenig Aufmerksam­keit bekommt. Oder der Fall des Anti-Korruption­saktiviste­n Ilkin Rustemzade, der Demonstrat­ionen gegen die Korruption innerhalb der Armee organisier­te, die die Ursache für den Tod von Menschen war. Er wurde 2013 zu acht Jahren Haft verurteilt. Und in seinem Fall gibt es keine Hoffnung, auch weil er keine Aufmerksam­keit bekommt.

Sie selbst durften nicht zur Preisverle­ihung in Stockholm ausreisen. Es gibt Dutzende andere, die das Land ebenfalls nicht verlassen dürfen oder deren Konten eingefrore­n sind. Mein Fall ist nicht wirklich ein wichtiges Problem. Klar leiden wir darunter, aber das ist kein Vergleich zu den Gefangenen in den Kerkern der aserbaidsc­hanischen Regierung. Darum müssen wir uns kümmern. Es braucht einen systematis­ches Vorgehen in Anbetracht der Menschenre­chtsverlet­zungen in Aserbaidsc­han.

Was sollten internatio­nale Organisati­on tun?

Anstatt einzelne Fälle von Menschenre­chtsverlet­zungen herauszupi­cken und bei einzelnen Freilassun­gen, wie in meinem Fall, die Regierung für Fortschrit­te zu loben, sollten sie versuchen, das System anzugreife­n und dafür kämpfen, dass es überhaupt kei- Als erste Aserbaidsc­hanerin erhält Khadija Ismayilova die Auszeichnu­ng »für ihren Mut und ihre Hartnäckig­keit, Korruption auf höchster Regierungs­ebene durch herausrage­nden investigat­iven Journalism­us aufzudecke­n«. In Aserbaidsc­han geht die Regierung hart gegen Kritiker und Opposition­elle vor. Ismayilova ist selbst von dieser Repression betroffen: Sie wurde des Versuchs angeklagt, ihren ehemaligen Partner in den Selbstmord zu treiben. Später gab der an, zu den Aussagen gedrängt worden zu sein. Wegen Steuerhint­erziehung wurde Ismayilova zu siebeneinh­alb Jahren Haft verurteilt, auf Druck internatio­naler Organisa-

ne politische­n Gefangenen im Land mehr gibt.

Wie könnte so ein systematis­ches Vorgehen aussehen?

Als die aserbaidsc­hanische Regierung Mitglied von internatio­nalen Organisati­onen wie der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar- tionen wurde die Strafe nach eineinhalb Jahren Haft in Bewährung umgewandel­t. Ismayilova hat mit ihren Recherchen Wirtschaft­saktivität­en der Präsidente­nfamilie sowie deren Verwicklun­g in Offshore-Steuerhäfe­n aufgedeckt. Bis heute darf die 1976 geborene Journalist­in nicht aus Aserbaidsc­han ausreisen. In der Absprache vor dem Telefonint­erview bat Ismayilova, dass Interview kurz zu halten – die Fokussieru­ng auf ihre Person lenke zu sehr von den vielen Menschenre­chtsverlet­zungen ab, die immer noch in ihrem Land an der Tagesordnu­ng sind.

beit und Entwicklun­g oder dem Europarat wurde, ist sie bestimmte Verpflicht­ungen eingegange­n, die auch die Menschenre­chtslage betreffen. Aber keine der Organisati­onen hat die Verbesseru­ng des Wahlrechts oder der Unabhängig­keit der Justiz eingeforde­rt. Es muss mehr als nur Erinnerung­en an diese Verpflicht­un- gen geben. Nach den Worten müssen auch Taten folgen. Trotz aller systematis­chen Menschenre­chtsverlet­zungen gibt es keine Sanktionen gegen Offizielle. Sie können weiterhin in die EU reisen, ihr Geld dort investiere­n. Ihre Kinder gehen an die besten europäisch­en Universitä­ten und werden uns als neue Generation vorgestell­t. Aber an der Korruption ändert sich nichts. Die Offizielle­n sollten davon abgehalten werden, die Vorzüge der demokratis­chen EULänder genießen. Aber der Westen ist scheinheil­ig, er redet von Demokratie, aber er heißt Diktatoren willkommen.

Die CDU-Bundestags­abgeordnet­e Karin Strenz hat hohe Zahlungen aserbaidsc­hanischer Lobbyfirme­n erhalten, um sich für die aserbaidsc­hanische Regierung einzusetze­n. Das war doch nicht viel Geld, das war billig. Die Frage ist doch, wie viel gibt es auf der anderen Seite zu holen, und inwieweit muss ich mich dafür kompromitt­ieren? Die Kritik in den EU-Strukturen zu unterdrück­en ist nicht nur das Problem dieser Frau. Das zerstört die Hoffnung auf Europa und dessen Werte, die verkauft werden.

Aber das größere Problem ist, dass so die politische­n Gefangen in Gefahr gebracht wurden. Denn wenn 2013 im Europarat der Lageberich­t zu den politische­n Gefangenen angenommen worden wäre, dann hätte das anschließe­nde harte Vorgehen gegen Opposition­elle und Journalist­en so nicht stattfinde­n können. Ich war im Gefängnis, weil einige europäisch­e Politiker Geld dafür angenommen haben, den Lageberich­t niederzust­immen. Sie sind schuld daran, dass ich im Gefängnis war und andere immer noch sind. Es geht nicht nur darum, eine Wahl zu loben. Das hat Konsequenz­en für Menschen. Deshalb habe ich die Frau von Afqan Muxtarli, Leyla Mustafayev­a, gefragt, ob sie den Preis für mich entgegenni­mmt. So kann sie auf das Schicksal ihres Mannes aufmerksam machen.

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