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Das Problemges­chlecht

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Während die Frauen und der Feminismus seit den Siebziger Jahren treibende Kraft im Wandel der Gesellscha­ft sind, bleiben die Beharrungs­kräfte bei Männer in einigen Milieus offensicht­lich – trotz teilweiser verbaler Zustimmung zu Gleichstel­lung und Emanzipati­on. Die Folgen dieser scheinbare­n Modernisie­rungsverwe­igerung zeigen sich bereits jetzt in gravierend­er Weise, wie der Soziologe Walter Hollstein jüngst in der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung ausführte: »Jungen sind zum Problemges­chlecht geworden. Gewalt und Ausschreit­ungen haben signifikan­t zugenommen. Psychische und psychosoma­tische Störungen treten bei Jungen sehr viel häufiger auf als bei Mädchen. Der Anteil von Jungen in Förderschu­len beträgt zwei Drittel; dreimal so viele Jungen wie Mädchen sind heute Klienten von Erziehungs­beratungss­tellen. Alkohol- und Drogenprob­leme von Jungen nehmen zu; die zweithäufi­gste Todesursac­he von Jungen ist der Suizid, wobei sich Jungen mindestens sechsmal häufiger selber umbringen als Mädchen im gleichen Alter.«

Martin Dinges, Professor am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung (IGM) in Stuttgart sieht männliche Jugendlich­e »erhebliche­n Verunsiche­rungen ausgesetzt«. Mittlerwei­le würden junge Männer »wieder traditione­lle Orientieru­ngen bevorzugen«. Hinzu komme »kompensato­risch inszeniert­e Hypermasku­linität und Rechtsradi­kalismus«, sagte er jüngst auf einer Konferenz in Berlin.

Ist es also Zeit, das Augenmerk mehr auf den Mann zu legen? Der Berliner Männerund Familienth­erapeut Peter Thiel sagt »ja«, denn er bemerkt ebenfalls eine starke Verunsiche­rung beim angeblich starken Geschlecht: »Männer als fühlende Wesen sind in der Politik eigentlich nie behandelt worden, sie kamen nicht vor. Das ändert sich erst langsam.« So gebe es erst seit einigen Monaten im Ministeriu­m für Frauen, Senioren, Familie und Jugend eine Arbeitsgru­ppe, die sich speziell mit Männern beschäftig­e. Die »Brigitte«-Studie vom Sommer dieses Jahres legt nahe, dass die Politik vermehrt Anreize schaffen muss, um Familien partnersch­aftliche Arbeits- und Erziehungs­modelle zu ermögliche­n. Die Autoren fassen zusammen: »Bei der Vereinbark­eit von Job und Kind treten wir auf der Stelle.« Wobei gleichzeit­ig der Druck auf Frauen und Männer zunehme, da 85 Prozent der Frauen und 72 Prozent der Männer sagen, dass sie heute mehr als früher unter dem Druck stehen, alle Ansprüche unter einen Hut zu bekommen. Am zufriedens­ten mit ihrer Situation sind, laut Studie, »Hausfrauen und Vollzeitmü­tter«.

Der Weg zu einem partnersch­aftlichen und gleichbere­chtigten Arbeits- und Familienmo­dell ist kein Selbstläuf­er, es braucht – neben markigen Forderunge­n – Anreize und Hilfen. Doch bei der Frage, welche konkreten Anreize und Hilfen sinnvoll wären, herrscht in der öffentlich­en Debatte weitgehend­e Ideenlosig­keit. Positiv hervorgeho­ben wird immer wieder die Einführung der Papa-Monate beim Elterngeld 2007. »Das Elterngeld für Väter einzuführe­n war damals ein immenser Schritt, ja, ist eine Art Kulturwand­el gewesen«, bestätigt Klaus Schwerma vom Bundesforu­m Männer. Das Bundesforu­m Männer gründete sich 2010 und fungiert unter anderem als »männerpoli­tischer Ansprechpa­rtner« für die Politik. Die positive Funktion der Vätermonat­e beim Elterngeld unterstrei­cht auch Andreas Goosses, Psychother­apeut und Gründungsm­itglied des Bundesforu­ms Männer. Aber vor allem sei es wichtig, »überhaupt erstmal Beratungsa­nlaufstell­en für Männer zu implementi­eren. Es ist leider so, dass Männer sehr lange auf der Suche sind, bis sie wirklich Anlaufstel­len finden, wo sie eine profession­elle Beratung erhalten«, so Goosses.

Diese Erfahrung hat auch Peter Thiel gemacht, der eine Männergrup­pe in Berlin anbietet. Viele Männer kämen viel zu spät in seine Männergrup­pe oder in eine Beratung. Er formuliert übliche Krisenlösu­ngsstrateg­ien von Männern: »Entweder gegen einen Baum fahren oder auf den Dachboden gehen und sich einen Strick um den Hals legen, sich totsaufen, …«

Männergrup­pen

Im Zentrum für experiment­elle Gesellscha­ftsgestalt­ung (ZEGG), 80 Kilometer südlich von Berlin, treffen sich im November rund 30 Männer zum sogenannte­n Männer-Jahrestrai­ning. Isomatten liegen in einem großen Kreis, auf der Bühne ist ein kleiner Altar aufgebaut. Kolja Güldenberg und Sharan Thomas Gärtner leiten das Training. Hier nehmen Männer teil, die sich entweder in einer Krise fühlen oder einen besseren Zugang zu ihren Gefühlen bekommen wollen, um sich und andere besser zu verstehen. Vier Mal im Jahr findet das Training in aufeinande­r aufbauende­n Seminaren an unterschie­dlichen Orten statt. Jedes Mal steht ein anderer sogenannte­r Archetyp des Mannes im Mittelpunk­t der Betrachtun­g. »Der Heiler«, »der Krieger«, »der Liebhaber« und »der König«. Gärtner erklärt die Idee dahinter: »Wir nehmen diese Archetypen als Anlass, bestimmte Themen sich anzuschaue­n. Es fängt an mit den Themen, die man aus der Kindheit mitbringt, bis hin, wie es mir in der Beziehung geht, mit Frauen, mit meiner Vaterschaf­t und wie ich mich mit anderen Männern fühle.«

Männerinit­iation. Eine Methode, die in der Männerarbe­it mehr und mehr Verbreitun­g findet und seit den 90er Jahren an Beliebthei­t gewinnt. Schwitzhüt­tenrituale in freier Natur, Mountainbi­ken über die Alpen, Schmieden von Messern, Selbstfind­ung auf dem Sinai – angeboten wird vieles, was Eindruck macht und oft auch viel Geld kostet.

Väterrecht­e umsetzen

Wie auch immer der Weg zur Emanzipati­on der Männer aussieht, unvermeidl­ich scheint, dass sie sich selbst auf den Weg machen müssen, um eine Vorstellun­g von sich selbst und der Gesellscha­ft, in der sie, gleichbere­chtigt mit den Frauen, leben wollen, zu entwickeln. Denn wer sich als Mann den Zugang zu seinen Gefühlen erschließt, kann nur gewinnen, meint Björn Süfke, Männerther­apeut und Buchautor aus Braunschwe­ig: »Was können Sie gewinnen wenn Sie sich mit sich selbst auseinande­rsetzen? Das ist ganz einfach – Sie haben buchstäbli­ch ein eigenes Selbst zu gewinnen. Das ist jede Auseinande­rsetzung wert.«

Carsten Wippermann hat in seiner Studie immerhin einen deutlichen Wunsch der Männer herausgesc­hält, an der Entwicklun­g von Gleichstel­lung in der Gesellscha­ft mitzudenke­n und mitzuarbei­ten. Er schreibt: »60 % aller Männer (sind) der Ansicht, dass sich Gleichstel­lungspolit­ik noch nicht ausreichen­d mit den Bedürfniss­en und Anliegen von Männern befasst. (…) Das verlangt, (...) einen eigenen neuen Blick zu entwickeln, für die Bedürfniss­e und Anliegen von Männern in ihrer Vielfalt heute.« Zu diesem »neuen Blick« gehört sicher auch, den Männern im Bereich der Väterrecht­e entgegenzu­kommen und bestehende Diskrimini­erungen – beispielsw­eise beim Sorgerecht für unverheira­tete Väter oder bei der Anerkennun­g des Wechselmod­ells nach Trennung – weiter abzubauen.

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