nd.DerTag

Reduktion auf Konkurrenz

Lena Tietgen hält nicht viel von standardis­ierten Leistungst­ests

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Haben Sie sich heute schon verglichen? Ihr Äußeres, Ihre Gedanken, Reaktionen, Ihren Partner, Ihr Auto, Ihre Wohnung – nein? Aber sicher doch haben Sie ihre Arbeitslei­stungen oder ihren Alltag und ganz bestimmt ihre Kinder miteinande­r verglichen? Kommen Ihre Kinder gut mit in der Schule, sind sie vielleicht sogar besser als die anderen? Und wenn nicht, fragen Sie sich nicht auch, ob Sie da noch ein bisschen nachhelfen könnten?

Nun, ich könnte Sie weiter fragen, bis der Abend gekommen ist und Sie in die müden Augen Ihrer Familie gucken, bevor Sie selbst noch einen flüchtigen Blick in den Spiegel werfen. Die Welt der Statistik ist brutal. Uns in einen Dauer-Flow versetzend gönnt sie uns keine Verschnauf­pause. Vergleiche­n und etwas leisten sind Paradigmen unserer Gesellscha­ft. Und so lernen die Kinder durch schulische Vergleichs­tests schon früh, sich zu optimieren. Losgelöst von realen Lebenssitu­ationen wie im Labor wird Selbstopti­mierung zum Bildungszw­eck.

Die Tests sagen wenig darüber aus, wie die Kinder in konkreten Situatione­n Mathe anwenden, wie gut sie unter Einfluss von Werbung im Supermarkt das Preis-Leistungs-Verhältnis einer Ware erfassen können. Sie sagen erst recht nichts darüber aus, wie konfliktfä­hig oder wie liebesfähi­g sie außerhalb des gesetzten Rahmens sind.

Sie merken, ich halte nicht viel von Vergleichs­tests. Ein Grund ist, dass sie die Komplexitä­t des Sozialen bis zur Unkenntlic­hkeit auf Konkurrenz reduzieren. Ein anderer, dass Kinder durch solche Vergleiche fremdbesti­mmt werden. Der Referenzra­hmen, in dem sich die Vergleiche bewegen, bleibt nämlich für sie intranspar­ent, geschweige denn, dass Eltern und Kinder darauf Einfluss nehmen könnten. Und so sind diese Tests höchst undemokrat­ische Instrument­e, die in die Entwicklun­g der Kinder unnötig eingreifen.

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