Fata Morgana im Treibhaus
Kohlendioxid: Wird der Klimakiller zum Rohstoff?
Keine gasförmige Substanz ist derzeit präsenter in den Medien vertreten als das Kohlendioxid. Das hängt mit der Rolle zusammen, die es als Treibhausgas für die Klimaerwärmung spielt. Vielfach wird ausgeblendet, dass es ohne Kohlendioxid kein Leben auf der Erde geben würde. Heute würde man gerne möglichst viel davon wieder los werden. Nicht alle Konzepte dafür finden Zuspruch: Die Idee einer CO2-Deponie unter Tage etwa verursacht bei manchem Zeitgenossen Unwohlsein. Denn das Gas bleibt je nach Speichergestein zu großen Teilen unverändert. Ist die Einlagerung dort tatsächlich dauerhaft sicher? Könnte sich das Gas stattdessen nicht vorteilhafter als Rohstoff nutzen lassen?
Von Kohlendioxid ist eine überschaubare Zahl wichtiger chemischer Umsetzungen bekannt: Reagiert es etwa mit Ammoniak, erhält man nach Dehydratisierung des Reaktionsprodukts Harnstoff, Düngemittel und Grundstoff in der Kunststoffindustrie. Mit Kohlenmonoxid und Wasserstoff reagiert es zu Methanol. Mit Natriumphenolat lässt sich daraus eine Vorstufe zu Aspirin herstellen.
Bereits im 18. Jahrhundert fragten sich Naturforscher, ob sich nicht Luft, deren Qualität zum Beispiel durch Verbrennungs- oder Gärprozesse stark in Mitleidenschaft gezogen war – durch ein Übermaß an Kohlendioxid, wie wir heute wissen –, wieder in annehmbare Atemluft zurückverwandeln ließe. Ein Graf von Saluce etwa schlug zu diesem Zwecke vor, die verbrauchte Luft entweder abzukühlen oder ihr durch Zusammenpressen in einer Schweinsblase neues Leben einzuwalken. Dem Prediger und Naturforscher Joseph Priestley wollten diese und andere Versuche jedoch nicht gelingen, sodass er eigene Experimente ersann. In einem Glasgefäß, mit so schlechter Luft befüllt, dass darin brennende Kerzen erloschen, beobachtete er zunächst die Entwicklung eines Stängels Minze, dem Wasser beigegeben war. Die Minze gedieh prächtig und produzierte dabei Atemluft. Weitere Versuche zeigten, dass auch weniger wohlriechende Pflanzen dazu in der Lage waren. Priestley hatte entdeckt, dass sich Pflanzen offensichtlich von der verdorbenen Luft ernährten.
Auch 250 Jahre später ist diese Einsicht noch brandaktuell. Erst im Mai 2017 hat das Start-up-Unternehmen Climeworks im schweizerischen Hinwil eine kommerzielle Anlage in Betrieb genommen, die Kohlendioxid direkt aus der Luft filtert. Im Rahmen des 23-Millionen-US-Dollar-Projekts wird es im Anschluss an ein Treibhaus weitergeleitet, wo es das Wachstum von Gurken und Tomaten fördern soll. Eine nahe gelegene Müllverbrennungsanlage liefert die nötige Wärme zur Entladung der Filter. Derzeit kostet es rund 600 US-Dollar, eine Tonne Kohlendioxid aus der Luft zu holen, und bei voller Auslastung wird die Anlage gerade einmal 900 Tonnen pro Jahr schaffen. Für Kritiker ist das Herausfiltern des in der Umgebungsluft mit 0,04 Prozent nur stark verdünnt vorliegenden Gases viel zu teuer. Sie plädieren stattdessen für ein Abtrennen direkt an den Brennpunkten seiner Entstehung, etwa in Kohlekraftwerken, deren Rauchgase zwischen 10 und 18 Prozent enthalten, oder noch besser die Vermeidung von CO2-Emissionen.
Bei Climeworks glaubt man dennoch an eine globale Zukunft: Bis 2025 soll der Preis auf 100 US-Dollar pro Tonne sinken. Dann will man ein Prozent der weltweiten anthropogenen CO2-Emissionen wegfiltern.
Woanders wird über die Umwandlung des Kohlendioxids in Grundchemikalien nachgedacht. Zum Beispiel in Jülich. Hier arbeiten Wissenschaftler an einem Solar-Reformer, der aus Kohlendioxid und Erdgas Methanol herstellen soll. Der Reformer wird dabei mit solar bestrahlter Luft als Wärmeträgermedium indirekt beheizt, durch optische Manipulierung des Strahlengangs im Solarturm sollen die erforderlichen hohen Temperaturen bis 1000 °C erreicht werden.
Methanol und seinen Folgeprodukten wird neben den bereits etab- lierten Anwendungen das größte noch erschließbare Mengenpotenzial beim Reduzieren des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre bescheinigt. Daraus lassen sich gefragte Chemikalien wie Formaldehyd, Methylmethacrylat, Melamin-Formaldehydharze herstellen, außerdem Ameisensäure und Dimethylkarbonat. Doch die harschen Reaktionsbedingungen im Solar-Reformer deuten bereits die Nachteile an, die Kohlendioxid als Synthesebaustein mit sich bringt. Es ist außerordentlich stabil. Um es zu Reaktionen zu bewegen, muss viel Energie zugeführt werden, die meist von energiereichen Reaktionspartnern mitgebracht wird.
Die Natur hat eigene, elegante Lösungen parat. Spezielle Mikroorganismen beispielsweise können aus zwei Kohlendioxid-Molekülen Essigsäure bauen. Oder Pflanzen, die aus dem Klimagas per Fotosynthese Zucker machen. Und das alles unter Normalbedingungen. Solche Kabinettstückchen des Lebens hätte der Mensch ebenfalls gern im Repertoire. Das Universalwerkzeug zum Gelingen sind Katalysatoren. Auf diesem Gebiet der Grundlagenforschung werden beträchtliche Anstrengungen unternommen, um das Kohlendioxid auch zu anderen, maßgeschneiderten Reaktionen zu bewegen.
Im Labor gelingt es Chemikern bereits, Kohlendioxid katalytisch zu Oxalaten zu reduzieren, aus denen wiederum längerkettige Kohlenstoffketten zusammengesetzt werden können. Um aus solchen Experimenten allerdings industrielle Prozesse zu machen, sind stabilere und preiswertere Katalysatoren vonnöten.
Andere Ansätze versuchen sich gleich an einer Imitation von Teilen der Fotosynthese. Zum Beispiel im Nachbau des Sauerstoff erzeugenden Komplexes des Photosystems II, bei dem Wasser in Sauerstoff, Protonen und Elektronen zerlegt wird, mit denen dann gebundenes Kohlendioxid in organisches Kohlenhydrat verwandelt wird. Doch auch bei diesen Laborerfolgen hat der eingesetzte Katalysator einen Schönheitsfehler: Die enthaltenen Metalle Ruthenium und Iridium sind recht selten und teuer.
Die direkte elektrochemische Reduktion von Kohlendioxid ist heute eine in der Entwicklung befindliche Technologie, die im Erfolgsfall die Lieferung synthetischer Kraftstoffe und Grundchemikalien verspricht. Die dafür nötige Elektrizität soll möglichst aus erneuerbaren Quellen stammen, damit nicht noch mehr CO2 entsteht. Auch bei diesem Verfahren sind noch verschiedene Schwachstellen zu beseitigen, wie etwa die noch zu geringe Energieeffizienz oder die mangelnde Produkt-Selektivität. Und auch hier sucht man noch nach geeigneten und vor allem preiswerten Katalysatoren. Alle katalytischen Verfahren haben zudem noch ein zusätzliches Problem: die Reinheit des Kohlendioxids, denn manche Verunreinigungen »vergiften« den Katalysator. Das erschwert die Nutzung von Kohlendioxid aus Rauchgasen.
Von biologischen Vorbildern inspirierte Katalysatoren setzen auf Porphyrine. Der rote Blutfarbstoff Hämoglobin und das an der Fotosynthese beteiligte Chlorophyll zählen zu dieser Substanzgruppe. Das aktive Zentrum des Hämoglobins enthält ein komplex gebundenes Eisen-Atom, an dem zum Beispiel Sauerstoff reduziert wird. Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich diese Architektur auch eignet, um aus Kohlendioxid selektiv Kohlenmonoxid zu machen. Wie effektiv das gelingt, ist maßgeblich von der Auswahl des Metalls im Zentrum des Katalysators abhängig. Frühe Studien hatten gezeigt, dass sich Kohlendioxid an Kupferelektroden in Kohlenwasserstoffe umwandeln lässt. Eine Reduktion, die sich mit der Kohlenmonoxid-Stufe begnügt, ist energetisch vorteilhafter zu bewerkstelligen. In jüngsten Versuchen zeigten sich Nickel-Komplexe am selektivsten, sie übertreffen darin auch die bisher bekannten teuren Edelmetall-Katalysatoren.
Interessenten für ein funktionierendes Verfahren haben sich bereits gemeldet: Die Hersteller von Polyurethan und Polykarbonat benötigen große Mengen Kohlenmonoxid für ihre Produktion. Passende Katalysa- toren werden bereits im Grammbereich hergestellt und befinden sich in einer Testanlage des Chemiekonzerns Covestro in der technischen Erprobung. Das Unternehmen aus Leverkusen baut auf diesem Wege Kohlendioxid in den Schaumstoff von Matratzen und Polstermöbel ein und entzieht es so dem globalen Kohlenstoffkreis auf Jahre.
Das bereits erwähnte Unternehmen Climeworks hat neben der Lebensmittel- und Getränkeindustrie sowie der Landwirtschaft weitere Abnehmer für sein abgetrenntes Klimagas im Boot. Zum Beispiel den Autohersteller Audi – hier träumt man von CO2-neutralen Kraftstoffen: von den »Audi e-fuels« im Allgemeinen und vom »Audi e-diesel« im Besonderen. Der Treibstoff wird aus Kohlendioxid, Wasser mithilfe von Elektrizität aus erneuerbaren Quellen hergestellt. Hierzu wird zunächst Wasser mittels Elektrolyse in seine Bestandteile zerlegt. Anschließend bilden der dabei entstandene Wasserstoff und das vorher gefilterte Kohlendioxid Synthesegas, das Kohlenmonoxid und Wasserstoff enthält und im FischerTropsch-Prozess schließlich zum sogenannten Blue Crude reagiert, von der Branche als grüner und nachhaltiger Ölersatz gepriesen. Die Palette der erhaltenen Reaktionsprodukte reicht vom Methan bis hin zu Wachsen. Blue Crude kann anschließend zu »e-diesel« raffiniert werden, der frei von Schwefel und Aromaten ist.
Die Fischer-Tropsch-Synthese brachte es im Laufe der Geschichte zu strategischer Bedeutung: Mit ihr wurden aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid aus der Vergasung von Kohle und Koks längerkettige Kohlenwasserstoffe aufgebaut – eine Va- Wie aus CO2 erneuerbarer Kraftstoff werden soll riante der Benzinsynthese für Länder ohne Zugang zu Erdöl.
Heute ist sie wieder im Gespräch, zum Beispiel bei der Nutzung der Reaktionsprodukte aus der Totalvergasung von Biomasse. Und eben auch als Teilschritt beim Kohlendioxid-Recycling zu synthetischen Kraftstoffen. Ab 2020 soll eine Anlage im norwegischen Industriepark Herøya jährlich 8000 Tonnen Blue Crude herstellen. Der Strom für den Elektrolyseschritt des von Sunfire entwickelten Power-to-Liquid-Verfahrens (PtL) wird durch Wasserkraft erzeugt. Climeworks ist als einer der Kohlendioxid-Lieferanten vorgesehen. Der Großteil des Gases wird jedoch vermutlich vom Düngemittelhersteller Yara kommen. Erst kürzlich hat Sunfire drei Tonnen Blue Crude im Dauerbetrieb auf einer Demonstrationsanlage in Dresden erzeugt.
Zur Einordnung der mitunter euphorisch beworbenen und mit üppigen Fördergeldern gesegneten Betriebsamkeit ist ein Blick auf den gegenwärtigen Zustand hilfreich: Der größte Teil des heute genutzten Kohlendioxids stammt als Nebenprodukt aus der industriellen Herstellung von Ammoniak und Wasserstoff. Dort fällt weit mehr an, als für eine weitere Nutzung benötigt wird. Insgesamt werden bisher überhaupt nur 50 Prozent der bei diesen Prozessen anfallenden Kohlendioxidmengen entnommen. Wiederum die Hälfte davon geht in die Herstellung von kommerziell wichtigen Grundchemikalien. Insgesamt werden jährlich 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid als Industriegas und 110 Millionen Tonnen als chemischer Rohstoff eingesetzt – angesichts einer jährlichen menschengemachten Emission von mehr als 36 Milliarden Tonnen ein Tropfen auf den heißen Stein. Der maximale weltweite Kohlendioxid-Bedarf als Rohstoff wird mit 180 Millionen Tonnen angenommen. Das Mengenpotenzial zur Kraftstoffherstellung liegt zwar zehnmal höher, doch nur wenn die dafür benötigte Energie aus regenerativen Quellen kommt.
Daraus folgt die ernüchternde Erkenntnis, dass aus der rohstofflichen Nutzung von Kohlendioxid keine bedeutende Entlastung der Atmosphäre zu erwarten ist. Die Beteiligten können ihren Anstrengungen dennoch eine positive Seite abgewinnen: Sie versprechen sich von der weiteren Etablierung des Kohlendioxids als Synthesebaustein neue Produkte mit hoher Wertschöpfung, die eine Nutzung des Klimakillers als Rohstoff insgesamt wirtschaftlicher werden lassen. Die Dresdner Pilotanlage von Sunfire zur Produktion von synthetischem Rohöl aus CO2 und Wasser