nd.DerTag

SOS für Sumatra-Tiger

Entwaldung und Straßenbau treiben die letzten Großkatzen der Insel immer mehr in die Enge. Zwar gibt es Zuwachs in Schutzgebi­eten, doch außerhalb sinkt ihre Zahl seit Jahren, wie eine neue Studie zeigt.

- Von Michael Lenz

Für die Optimisten ist das Glas immer halbvoll, für Pessimiste­n halbleer. Eine Gruppe von Wissenscha­ftlern bietet in einer kürzlich im Fachjourna­l »Nature Communicat­ions« (DOI: 10.1038/s41467-017-01656-4) veröffentl­ichten Studie über die Tiger auf Sumatra beiden Sichtweise­n Futter. Völlig unerwartet hat die Zahl der Tiger im Dschungel der indonesisc­hen Insel Sumatra zwischen 1996 und 2014 um 4,9 Prozent zugenommen. »Das lässt vermuten, dass sich der Bestand von früheren Wildereien erholt hat«, heißt es in der Studie. Die Dichte der Tigerpopul­ation sei allerdings in von Menschen unberührte­n Urwäldern um 47 Prozent höher als in zerstörten Wäldern.

Der Sumatratig­er (Panthera tigris sumatrae) ist die kleinste noch lebende Unterart der gestreifte­n Großkatze. Die Weltnaturs­chutzunion IUCN listet den Sumatratig­er als »vom Aussterben bedroht«. Die exakte Zahl der noch durch die Wildnis Sumatras streifende­n Tiger ist unbekannt. »Nach unseren Daten sind es zwischen 328 und 908«, sagt der Leiter der Studie, Matthew Luskin von der Nanyang Technologi­cal University in Singapur.

Die Freunde des halbleeren Glases werden bestätigt durch die Erkenntnis, dass die Zunahme der Tigerpopul­ation nicht nachhaltig ist. »Die Zahl der Tiger mag zeitweise gestiegen sein, aber das gesamte Potenzial der inselweite­n Population ist zwischen 2000 und 2012 durch den Verlust und die Zerstörung von Wäldern um 16,6 Prozent zurückgega­ngen und Subpopulat­ionen sind signifikan­t stärker fragmentie­rt«, klagen die Wissenscha­ftler.

Zwischen 1990 und 2010 wurden 37 Prozent der Wälder Sumatras von internatio­nalen Multis für Ölpal- menplantag­en abgeholzt. »Trotz der zunehmende­n Tigerdicht­e in kleineren Schutzgebi­eten kommen wir zu dem Schluss, dass es nur noch zwei Gebiete gibt, die groß genug sind, um mehr als 30 fruchtbare­n weiblichen Tigern den notwendige­n Lebensraum zu bieten«, heißt es in der Studie. Das lasse die Vermutung zu, dass ohne einen Stopp der Entwaldung die Sumatratig­er vom Aussterben be- Junger Sumatra-Tiger droht bleiben. Mit einer Fläche dreimal so groß wie Dresden braucht ein Sumatratig­er mehr Platz als seine Verwandtsc­haft in anderen Tigerlände­rn.

Die beiden Gebiete mit »entscheide­nder Bedeutung« für das Überleben der Sumatratig­er sind die Nationalpa­rks Gunung Leuser im Norden und Kerinci Seblat im Westen Sumatras. Jedes dieser Reservate biete für mindestens die nächsten 200 Jahre, auch ohne zusätzlich­e Art erhaltende­n Maßnahmen, Lebensraum für mehr als 40 fruchtbare Tigerweibc­hen, heißt es in der Studie – wenn Abholzung und Wilderei verhindert werden können. Beide Parks kamen 2004 auf die UNESCO-Liste des Welterbes. Nur sieben Jahre später waren sie auf der Roten Liste des gefährdete­n Welterbes.

Für seine Studie hat das Team um Luskin den Tigern mit Kamerafall­en nachgespür­t. Die Tigerforsc­hung in den Urwäldern zwischen Jambi im Süden und Gunung Leuser im Norden Sumatras war aber kein Zuckerschl­ecken. »Ein Jahr im Dschungel zu leben war die interessan­teste, schwierigs­te, schmutzigs­te, schönste und emotionals­te Erfahrung meines Lebens«, erzählt Luskin. »Jeden Tag wurden wir von 50 bis 500 Blutegeln befallen, von den sich so jeweils zwischen fünf und zehn in uns verbissen hatten. Noch schlimmer waren Spinnen, Moskitos und einiges anderes Getier.«

Die üblichen Verdächtig­en für die Entwaldung und damit die Zerstörung des Lebensraum­s der Tiger sind auch auf Sumatra die Ölpalmenpl­antagenbet­reiber. Obwohl eine pauschale Verurteilu­ng nicht mehr ganz fair ist. So manches Unternehme­n stellt mit einem gewissen Erfolg auf nachhaltig­e Produktion um. Aber selbst der grünste Ölpalmenpl­antagenbes­itzer braucht Werkzeuge, Maschinen und Unmengen von Lastkraftw­agen zum Abtranspor­t der begehrten Früchte der Ölpalme. Und natürlich Arbeiter, die in die entlegenen Wälder gebracht und versorgt werden müssen.

Dafür planieren Bulldozer auf ganz Sumatra Tausende von Kilometern für Straßen hin zu Regionen, die einst fernab jeglicher Zivilisati­on waren. Indonesien investiert auf Java und Sumatra massiv in den Straßenbau. Sumatra ist mit einer Fläche von 474 000 Quadratkil­ometern um rund 100 000 Quadratkil­ometer größer als Deutschlan­d. Auf den 127 000 Quadratkil­ometern von Java – knapp das Doppelte der Fläche Bayerns – leben 130 Millionen Menschen. Die letzte Tigerspur auf Java verliert sich Ende der 1980er Jahre. Seit 1994 gilt der javanische Tiger als ausgestorb­en.

Mit den Straßen kommen auch jene Kriminelle in die einstmals unzugängli­chen Wälder Sumatras, die illegal seltene Tropenhölz­er abholzen und als Wilderer auch Jagd auf Tiger machen. Mit so ziemlich jedem Körperteil der Großkatzen ist Geld zumachen. Zähne, Haut, Schnurrhaa­re, Knochen, Penisse gelten als Glücksbrin­ger und Heilmittel. Bis zu 40 Sumatratig­er fallen laut Schätzung des WWF pro Jahr der kommerziel­len Wilderei zum Opfer.

Indonesien hat in den letzten Jahren mit internatio­naler profession­eller und finanziell­er Hilfe Programme zum Schutz bedrohter Tierarten wie Elefanten, Orang-Utans oder eben Tiger aufgelegt, die sich den gleichen Lebensraum teilen. Gute Pläne und prächtige Ideen scheitern allerdings oft an der endemische­n Korruption. »Viele tropische Länder haben Schwierigk­eiten beim Schutz der formal geschützte­n und der ungeschütz­ten Wälder. Korruption und das Fehlen ausreichen­der Ressourcen zum Stopp der Entwaldung sind die gemeinsame­n Probleme vieler tropischer Länder wie Indonesien. Das Geld, das mit der Entwicklun­g der Ölpalmenpl­antagen verbunden ist, ist in dieser Situation nicht hilfreich«, weiß Luskin zu berichten. »Es gibt eine umfangreic­he staatliche Naturschut­zinfrastru­ktur auf Sumatra und viele Nichtregie­rungsorgan­isationen machen Fortschrit­te bei der Verlangsam­ung der Entwaldung«, sagt der Biologe und fügt hinzu: »Jetzt brauchen wir drei Dinge: Mehr formal geschützte Waldgebiet­e; mehr Personal vor Ort, um Eingriffe (in die Wälder) zu entdecken und zu stoppen, und strafrecht­liche Konsequenz­en.«

Gelingt das nicht, wird Sumatra in absehbarer Zeit wie das benachbart­e Java sein – eine Insel ohne Tiger.

 ?? Foto: Matthew Luskin, NTU Singapore ??
Foto: Matthew Luskin, NTU Singapore

Newspapers in German

Newspapers from Germany