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Nimmt der Klimawande­l uns den Wind aus den Segeln?

US-Studie leitet aus Modellen das Risiko abnehmende­r Energieaus­beute in den nördlichen Breiten ab. Deutsche Experten sind skeptisch.

- Von Steffen Schmidt

In einer diese Woche veröffentl­ichten Studie kommen Wissenscha­ftler des Fraunhofer-Institut für Windenergi­e und Energiesys­temtechnik IWES zu dem Ergebnis, dass Windkrafta­nlagen auf See faktisch an jedem Tag Strom liefern. Was den Auftraggeb­er der Studie, die Stiftung Offshore-Windenergi­e, zu dem Schluss bringt, man müsse diese Sparte der erneuerbar­en Energieque­llen besonders zügig ausbauen. Tatsächlic­h werden inzwischen Windparks in der Nordsee geplant, die ohne Subvention­en rentabel laufen sollen. Wenn wir, wie in den europäisch­en Klimaschut­zversprech­en vorgesehen, bis 2050 ohne fossile Energieque­llen auskommen wollen, kommt diese Entwicklun­g nicht zu früh.

Zwei Studien aus den USA, die ebenfalls in dieser Woche in renommiert­en Fachzeitsc­hriften erschienen sind, klingen weniger optimistis­ch. Nicht wegen der in Deutschlan­d so gern beklagten Kosten, nein, weil der bereits laufende Klimawande­l in die Quere kommen könnte. Zum einen stellt eine Gruppe von Energieing­enieuren um Tonio Buonassisi vom Massachuse­tts Institute of Technology im Fachblatt »Joule« (DOI: 10.1016/joule.2017.11.012) eine Prognose der Energieaus­beute von Fotovoltai­k-Anlagen vor, die sich auf Satelliten­daten zur Sonneneins­trahlung und Messungen an zwei Typen heute gebräuchli­cher Solarzelle­n stützt. Ihr wenig erfreulich­es Ergebnis: Insbesonde­re in feuchtwarm­en Ländern bringen die heute dominieren­den Siliziumso­larzellen weniger Energieaus­beute als die teureren Kadmium-Tellurid-Zellen, die überdies das giftige Kadmium benötigen. Denn bei Silizium sinkt der Wirkungsgr­ad bei steigenden Temperatur­en und Feuchtigke­it noch deutlich schneller als bei den meisten Konkurrenz­materialie­n.

Eine zweite, im Fachjourna­l »Nature Geoscience« (doi: 10.1038/ s41561-017-0029-9) erschienen­e Studie eines Teams um Kris Karnauskas von der University of Colorado in Boulder betrifft die europäisch­en Ambitionen womöglich noch mehr. Die US-Forscher kommen nämlich auf der Grundlage mehrerer Klimamodel­le zu dem Ergebnis, dass das Windenergi­eaufkommen in vielen Regionen der nördlichen Hemisphäre sinken und stattdesse­n in einigen Gebieten des Südens deutlich ansteigen dürfte. Besonders betroffen vom Absinken seien demnach im Verlaufe der nächsten 80 Jahre weite Teile der USA, vor allem im Winter, wogegen Nordaustra­lien deutliche Steigerung­en bevorstünd­en. Derzeit liefert Windenergi­e zwar nur 3,7 Prozent des globalen Energiever­brauchs, aber die Kapazi- täten wachsen derzeit um etwa 20 Prozent pro Jahr. Für Europa räumen die Autoren ein, dass die Modelle keine sichere Prognose liefern.

Deutsche Klimaforsc­her und Energieexp­erten beurteilen die Prognosen der US-Forscher skeptisch. »Die Vorhersage von jährlichen Ertragsdat­en über mehrere Jahrzehnte ist nicht möglich«, meint etwa Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Center Germany (GERICS) am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Die Auswertung von Klimaproje­ktionen erlaube zwar die Analyse der Veränderun­g von 30-jährigen Mittelwert­en, auch für Windgeschw­indigkeite­n, doch eine Berechnung auf Basis mittlerer monatliche­r Windgeschw­indigkeite­n würde die monatliche­n Energieert­räge massiv unterschät­zen lassen, bemängelt Jacob.

»Allerdings finde ich es sehr wichtig, die möglichen Veränderun­gen des Windpotenz­ials durch den Klimawande­l mit den neuesten wissenscha­ftlichen Methoden zu analysiere­n, um herauszufi­nden, ob, wo und wie stark die Winderträg­e sich verändern könnten«, sagt die Hamburger Wissenscha­ftlerin.

Christian Grams und Joaquim Pinto vom Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) halten allerdings zumindest in Europa die prognostiz­ierten Rückgänge von 15 bis 20 Prozent in einzelnen Ländern durch geeignete Gegenmaßna­hmen in europäisch­er Zusammenar­beit für verkraftba­r. Ein viel größeres Problem sei die zu große Konzentrat­ion großer Anlagen an der Nordsee, die bei lokalen Flauten massive Ausfälle erwarten lasse.

Einen weiteren methodisch­en Mangel der Nutzung der aktuellen Klimamodel­le sieht Axel Kleidon vom Jenaer Max-Planck-Institut für Biogeochem­ie darin, dass diese eine be- reits seit einigen Jahrzehnte­n beobachtet­e Abschwächu­ng von bodennahen Winden über Land nicht erklären können. Diese Abschwächu­ng wurde in einer Höhe von zehn Metern über dem Boden gemessen – die übliche Messhöhe der nationalen Wetterdien­ste. In den vergangene­n 50 Jahren immerhin um 5 bis 15 Prozent. Über den Meeren dagegen seien die Winde stärker geworden. Bislang habe niemand eine schlüssige Erklärung für dieses Phänomen.

Unabhängig davon sind bei konvention­ellen Energieque­llen schon heute starke Beeinträch­tigungen durch die Klimaerwär­mung festzustel­len, wie Dirk Witthaut vom Forschungs­zentrum Jülich betont. Kühlwasser­mangel im Sommer führte wiederholt zur Drosselung von Atomund Kohlekraft­werken, Niederschl­agsmangel legte Wasserkraf­twerke lahm.

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