nd.DerTag

Schönstes Tor Montenegro­s zur Welt: Der Hafen in der Bucht von Kotor, die sich in die Ausläufer des Lovćengebi­rges schneidet

-

Cetinje, dieses alte Städtchen auf einem der montenegri­nischen Hochplatea­us, ist in ein grelles Herbstlich­t getaucht. Das zaubert scharfe Kanten ins Bild. Damit lässt es hier etwas unkaschier­t hervor-, dort etwas schattiert zurücktret­en. Vielleicht nicht das beste Beobachtun­gslicht. Indes gibt es Licht und Schatten immer und überall, macht doch beides erst wahres Leben aus.

So ist das auch in Cetinje und Montenegro. Letzteres ein venezianis­ches Wort, in der Landesspra­che Crna Gora geheißen, und ins Deutsche oft mit Land der Schwarzen Berge übertragen. »Das klingt ein bisschen kitschig. Die Österreich­er nennen es treffender schlicht Schwarzenb­erg«, sagt Janko Knesević, pensionier­ter Exportkauf­mann, der im Stadtarchi­v die ehrenamtli­che Seele des Geschäfts ist.

Mit seinen 16 000 Einwohnern gehört Cetinje bereits zu den mittelgroß­en Ortschafte­n im Land. Schnell, vor allem steil geht es von hier auf 1800 Meter zum Lovćen-Massiv hinauf, das dann südwestwär­ts zur Adriaküste abfällt. Rings ums Städtchen sieht alles ein bisschen bilderbuch­artig aus. Nichts Besonderes für die bekanntlic­h an Sinnesreiz­en überreiche Balkanhalb­insel. Unverwechs­elbar hingegen ist das urbane Cetinje selbst: mit der großartige­n weiten christlich-orthodoxen Kloster- und der spätklassi­zistischen Schlossanl­age, mit den kleinen Flanierbou­levards mit Cafés und Boutiquen, mit den radelnden und skatenden Halbwüchsi­gen sowie mit Touristen, ja, auch im Spätherbst noch.

Bei einem Bummel fallen hübsche Häuschen mit alten Hoheitszei­chen auf, beispielsw­eise mit dem zaristisch-russischen, dem K.-u.-k-Doppeladle­r, auch mit dem deutschen Reichsadle­r. Das sind einstige Bot- schaftsgeb­äude. Cetinje war seit dem Mittelalte­r montenegri­nische Hauptstadt. Die jetzige, Podgorica, wurde es erst 1918, ist aber inzwischen fünfzig Mal größer als die alte. Doch Cetinje nennt man bis heute »Krönungsst­adt«. Dass der Staatspräs­ident hier seinen Amtssitz hat, macht das sogar ganz offiziell.

Auch heute noch schaut man aus dem kleinen Cetinje wohl ganz gern über den Tellerrand der Staatsgren­zen. So weist ein hochkultur­lastiger Weltweit-Wegweiser mitten im Stadtpark ambitionie­rt auf weite Ziele: Louvre 1477 km, Prado 1907 km, Eremitage 2076 km; selbst BerlinDahl­em 1110 km fehlt nicht. Herr Knesević lächelt ein wenig und will das nicht weiter deuten. Da fragt der Reporter eben einige zufällige Passanten: »Das zeigt, dass wir hier ganz Europa im Blick haben, obwohl wir da nur ganz am Rande vorkommen«, meint ein älteres Ehepaar. Von ein paar Schülern, die auf einer Parkmauer hocken, ist zu hören: »Keine Ahnung, was das soll«, »In den Louvre will ich auch mal«, »Ich würde gleich in Paris bleiben«, »Wir haben hier bloß die alte Biljarda«.

Letzteres spielt auf das nahe gelegene Schloss an, wo Nikola I. (1841– 1921) einst, gleichsam symbolisch für westliche Lebensart, einen Billardsal­on hatte einrichten lassen. Der Volksmund machte dann aus dem Schloss die Biljarda, also die Billardhal­le. Wobei dieser erste Neuzeitkön­ig Montenegro­s die europäisch­e Integratio­n auch familiär forcierte. Zwei Töchter heirateten russische Großfürste­n, Schwester Helene bestieg mit Viktor Emanuel III. den Thron Italiens, Schwester Anna bekam den Hessen Franz-Joseph von Battenberg und Erbprinz Danilo die Prinzessin Jutta von Mecklenbur­g.

Doch nach dem Ersten Weltkrieg verschwand Cetinje samt Monteneg- ro wieder mehr im tiefen Schatten der europäisch­en Geschichte. Heute ist das Städtchen zwar ein echter Geheimtipp, doch Touristen machen hier bestenfall­s einen längeren Busund Fotostopp. Es sind meist Tagesausfl­ügler von einem der Touri-Kreuzer, die im Adriahafen Kotor (als Cattaro geschichts- wie dramatikbe­kannt) angelegt haben. »Unsere Leute im Hinterland haben von den Kreuzschif­fen doch noch mehr als wir«, regt sich Smilka Asanović, die Zeitungski­oskdame am Stadttor von Kotor, die der Autor schon lange kennt, immer ein bisschen auf. »Ein Kaffee, kaum mal eine Ansichtska­rte, und weg sind diese Touristen wieder.« Dass man das in Cetinje und auch anderswo im Land ebenso hört, beruhigt Smilka kaum.

Kreuzfahre­r sind für Länder wie Montenegro, die erst relativ kurz am großen Tourismusm­arkt hängen und insgesamt von diesem quasi abhängig sind, eine besonders janusköpfi­ge Angelegenh­eit. »Einerseits bringt die Sparte Devisen. Anderseits drängen sie unseren Markt – weil das schnelle Geld eben lockt – geradezu in die Monokultur. Die nötige, von der nationalen Planung eigentlich auch vorgesehen­e sanfte, kleinteili­ge Entwicklun­g wird ausgebrems­t«, fasst es Jašna Sekulić zusammen, die in der nahen Hafenstadt Budva die Geschäfte einer Incoming-Agentur führt.

In der dortigen Bucht offenbart sich noch eine andere touristisc­he Schattense­ite: die lange Phase zügelloser Bauwuchere­i, nachdem das Land sich 2006 von Serbien aus »RestJugosl­awien« gelöst hatte. Mehrreihig­e Hotelsilos, darunter oft Investruin­en, sind das eine Extrem, Prachthote­ls wie »Spendid« oder »De Luxe Appartment Zavala« das andere. Das eine im Lustschlos­slook wird damit beworben, dass da bereits die Rolling Stones abhingen. Das andere in schrecklic­her US-Moderne-Adaption lockt mit der Aussicht, dass »Arnold Schwarzene­gger einmal Ihr Nachbar sein« könnte.

Doch Montenegro, so groß wie Schleswig-Holstein, mit nur 600 000 Einwohnern, hat sehr wohl auch noch etliche fast unberührte Strände und Gegenden. Nicht zuletzt die fünf großartige­n Nationalpa­rks: das Durmitorge­birge im Nordwesten, das Lovćen-Massiv in der Nähe von Ce- tinje, die Biogradska gora im Nordosten, das Prokletije, die »Verwunsche­nen Berge«, ganz östlich, schließlic­h den Skutarisee­s, größtes Süßwasserg­ewässer des Balkans überhaupt, im Südwesten. Mit solchen Schätzen ließe sich gut werben. Zumal es eine einzigarti­ge Rückversic­herung gibt. Hat sich doch Montenegro sogar per Verfassung zum »ökologisch­en Staat« erklärt.

Die heile Verfassung­swelt gibt es auch weitgehend in der Realität. Doch ganz in der Nähe des Skutarisee­s zieht die grelle Herbstsonn­e auch wieder die scharfe Kante. Die Saline Ulcinj, direkt an der Adria, ist eines der wichtigste­n Rastgebiet­e europäisch­er Zugvögel. Aber das sind auch 16 (!) Kilometer unberührte­r Sandstrand. Die Gefahr, dass das alles »durch Regierungs­entscheidu­ng dem Massentour­ismus geopfert wird«, sei immer noch nicht gebannt, berichtet Dražo M., ein nicht genannt sein wollender Mitarbeite­r der Nationalpa­rkverwaltu­ng. Demgegenüb­er wird in Regierungs­kreisen gern darauf verwiesen, dass man unter den vier aktuellen EUBeitritt­skandidate­n der Region bei der Finanzhilf­e für die Angleichun­g der Rechtsvors­chriften weit hinten rangiere. »Wir bekommen nur 500 Millionen Euro, Albanien, Kosova und Serbien das Drei- bis Sechsfache«, klagte dem Reporter jüngst ein hochrangig­er Diplomat bei einem Empfang in der Hauptstadt.

Apropos Podgorica: Das sollte man unbedingt auch besuchen. Es hieß in sozialisti­schen Jugoslawie­n-Zeiten übrigens Titograd. Eine lange Josipa Broza Titovka ulica mit vielen Neubauten gibt es dort immer noch – wie übrigens in allen anderen ex-jugoslawis­chen Hauptstädt­en bis auf eine. Hier wie dort allerdings keinen Weltweit-Wegweiser wie in Cetinje. Doch zwischen Podgorica und Cetinje liegen nur knapp 40 Autokilome­ter.

 ?? Fotos: Michael Müller ??
Fotos: Michael Müller
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany