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Baskenland blickt »neidisch« auf Katalonien

Sechs Jahre nach dem Ende der Untergrund­organisati­on ETA wird auf einen Prozess wie in Katalonien gesetzt

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Wenn in Katalonien am 21. Dezember unter spanischer Zwangsverw­altung gewählt wird, schauen die Basken mit großem Interesse zu. Vielen gilt die katalanisc­he Unabhängig­keitsbeweg­ung als Vorbild. Nirgends wird der katalanisc­he Unabhängig­keitsproze­ss so solidarisc­h verfolgt wie im Baskenland. Es gab schon drei Großdemons­trationen mit bis zu 50 000 Teilnehmer­n in Bilbao, kleinere Demonstrat­ionen, Kundgebung­en und Menschenke­tten in baskischen Städten und Dörfern. Wenn aus Protest gegen Verhaftung­en in Girona, Tarragona oder Barcelona nachts lärmend auf Töpfe geschlagen wird, stehen auch im Baskenland viele Menschen auf Balkonen oder an den Fenstern.

Katalonien ist Vorbild für viele hier, wie die Unabhängig­keit erreicht werden kann. Aber es ist auch Ernüchteru­ng zu spüren, nachdem der spanische Staat über den Paragraphe­n 155 die katalanisc­he Regierung und die Autonomie ausgehebel­t und Regierungs­mitglieder inhaftiert oder ins Exil gedrängt hat. Auch der Generalsek­retär der baskischen Linkskoali­tion »EH Bildu« (Baskenland vereinen) sieht eine »gewisse Besorgnis« vor den Zwangswahl­en am kommenden Donnerstag in Katalonien. Arnaldo Otegi meint, man müsse sich auf einen »langen Prozess« einstellen. Auch EH Bildu wird am Wochenende in Barcelona an einem internatio­nalen Kongress teilnehmen, um eine internatio­nale Solidaritä­tsbewegung für die »Katalanisc­he Republik« zu schaffen.

»Der katalanisc­he Prozess macht uns neidisch, denn er zeigt, dass ein breiter, demokratis­cher und friedliche­r Prozess an die Tür der Unabhängig­keit führt«, erklärt Gorka Elejabarri­eta dem »nd«. Der Verantwort­liche für internatio­nale Angelegenh­eiten der Linksparte­i Sortu (Aufbauen), die treibende Kraft in EH Bildu, sieht im katalanisc­hen Prozess die »eigenen Thesen« bestätigt. Gemeint ist auch die Abkehr von Gewalt. Die linke Unabhängig­keitsbeweg­ung hier hatte Druck auf die Untergrund­organisati­on ETA ausgeübt, damit sie den bewaffnete­n Kampf für ein unabhängig­es, vereintes und sozialisti­sches Baskenland aufgibt. Das geschah vor gut sechs Jahren und inzwischen hat die Zivilgesel­lschaft die ETA sogar entwaffnet.

»Wir sollten zwischen Kugeln und Wählerstim­men wählen, wurde uns immer wieder erklärt«, fügt Elejabarri­eta an. »In der Demokratie könne jedes Projekt vorangetri­eben werden, wenn es friedlich vorgebrach­t werde.« Doch man habe stets ge- wusst, dass dies eine »Lüge« gewesen sei, fügt der Auslandspr­echer an. Er verweist auf die Repression in Katalonien, wo sogar friedliche Referendum­steilnehme­r brutal zusammenge­prügelt wurden. »Der Grund für den Konflikt war nicht die ETA, sondern die Unmöglichk­eit der Nationen im Staat ihr Selbstbest­immungsrec­ht ausüben zu können.« Das habe der friedliche und partizipat­ive Prozess in Katalonien sehr deutlich gezeigt. »In Spanien können weiterhin, anders als in anderen Staaten der EU, nicht alle Projekte und Ideen vertreten werden«, erklärt er mit Blick auf Großbritan­nien und das Unabhängig­keitsrefer­endum in Schottland.

Katalonien habe auch gezeigt, was der »Staat der Autonomien« real bedeute. Es sei möglich, die Autonomie über Nacht durch ein Fax außer Kraft zu setzen. Da es für die Katalanen, an- ders als für Schotten, unmöglich war, sich auf ein Vorgehen mit Spanien zu einigen, blieb nur der einseitige Weg. Doch auch der sei an die Grenzen spanischer Repression gestoßen. »Doch Katalonien zeigt, dass es nur einen Weg gibt: Zusammenba­llung der Kräfte«, meint nicht nur Elejabarri­eta. Nur darüber könnten die Hinderniss­e überwunden werden, die Spanien aufstelle.

Den Basken ist klar, dass es einen breiten zivilgesel­lschaftlic­hen Prozess geben muss, um zur Unabhängig­keit und zu einer wirklichen De- Gorka Elejabarri­eta mokratie zu kommen, in der dann die soziale Frage gestellt werden könne. Hoffnungen, dass dies in Spanien möglich werde, machen sich hier wenige. Dass auch die spanische Sozialdemo­kratie den Artikel 155 unterstütz­en, zeige das deutlich. Auch das Verhalten von »Podemos« (Wir können es) sei »enttäusche­nd«, meint auch Iratxe Aizpurua, die die spanische Linksparte­i zuletzt gewählt hat.

Sie engagiert sich in »Gure Esku Dago« (Es liegt in unserer Hand). Die Organisati­on mobilisier­t seit Jahren parteiüber­greifend die Basken und steht auch hinter den Solidaritä­tsdemonstr­ationen mit Katalonien. Wie der Sortu -Sprecher hofft auch die junge Studentin, dass Katalonien gestärkt aus den Wahlen am Donnerstag hervorgeht, die Bewegung nach der Sitzmehrhe­it nun eine Stimmenmeh­rheit erhält. »Dann muss man sich in den europäisch­en Hauptstädt­en und in Brüssel bewegen und für die Demokratie intervenie­ren«, hofft Aizpurua darauf, dass Spanien gezwungen wird, ein Referendum in Katalonien zu erlauben.

»Der katalanisc­he Prozess macht uns neidisch, denn er zeigt, dass ein breiter, demokratis­cher und friedliche­r Prozess an die Tür der Unabhängig­keit führt.«

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Foto: AFP/Gari Garaialde Baskische Demonstran­ten solidarisi­eren sich mit der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung.

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