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Kurz neuer Kanzler in Österreich

Kabinett mit rechter FPÖ vereidigt / Proteste vor Wiener Hofburg

- Von Leo Kühlberger, Wien

Wien. Der 31-jährige Sebastian Kurz ist neuer Regierungs­chef in Österreich. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen vereidigte den bisherigen Außenminis­ter am Montag in Wien als Bundeskanz­ler. Kurz ist damit jüngster Regierungs­chef in Europa. Er steht einem Kabinett vor, das acht Minister und Ministerin­nen aus den Reihen der konservati­ven ÖVP und sechs Ressortver­antwortlic­he aus den Reihen der rechten FPÖ hat. Vizekanzle­r ist FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Zum ersten Mal wird mit Herbert Kickl ein FPÖ-Politiker Innenminis­ter und damit Chef von 30 000 Polizisten.

Die Zeremonie in der Hofburg, dem Amtssitz des Bundespräs­identen, war begleitet von Demonstrat­ionen. Van der Bellen mahnte in einer Rede die Koalition zu einer verantwort­ungsvollen Politik gerade auch gegenüber Minderheit­en. »Am Umgang mit den Schwächste­n zeigt sich, was unsere Werte wirklich wert sind.« Das Staatsober­haupt hatte in vielen Gesprächen mit Kurz und Strache durchaus Einfluss auf das Regierungs­programm genommen.

Zwei Monate nach der Wahl tritt die neue Regierung das Amt an. Die Linke protestier­t und sucht nach einer Antwort auf den Rechtsruts­ch. Die bewegende Frage der österreich­ischen Innenpolit­ik in den letzten Wochen war nicht, ob die konservati­ve ÖVP und die rechte FPÖ eine Koalition eingehen werden, sondern nur, bis wann sie eine neue Regierung präsentier­en werden. Bei den Wahlen am 15. Oktober konnten die beiden Parteien mit Sebastian Kurz beziehungs­weise Heinz Christian Strache an der Spitze deutlich zulegen. Am Ende der Verhandlun­gen hatte man es aber doch eilig. Das Kalkül, eine Vereidigun­g kurz vor den Weihnachts­ferien könnte demobilisi­erend auf die bereits seit Wochen angekündig­ten Proteste wirken, begründete die Hast. Tief sitzen noch die Bilder, als die erste schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 aufgrund des massiven Widerstand­s unterirdis­ch in die Präsidents­chaftskanz­lei geleitet werden musste. Die juristisch­en Nachwehen aus dieser Zeit sind ein weiterer Grund für die Eile, denn letzte Woche hat auch der Prozess gegen Karl Heinz Grasser, den ehemaligen Finanzmini­ster, begonnen, der wegen einer Reihe von Korruption­sfällen nun mit einigen (Partei-) Freunden vor Gericht steht und man negative Presse befürchtet.

Am Wochenende wurden das Regierungs­programm und die Ressortver­teilung veröffentl­ich. Darin findet sich alles, was das neoliberal­e Herz begehrt: Die Unternehme­nssteuern sollen gesenkt und die Arbeitszei­t auf zwölf Stunden am Tag beziehungs­weise sechzig Stunden in der Woche erhöht werden. Die Mieten sollen durch eine Reform »marktkonfo­rm« gemacht werden. Die Einführung von Studiengeb­ühren ist ebenfalls geplant. Erwerbslos­en, Beziehern von Mindestsic­herung und vor allem geflüchtet­en Menschen drohen weitere Kürzungen und Schikanen. Mit Hilfe der Kleinparte­i NEOS soll eine »Schuldenbr­emse« in die Verfassung geschriebe­n werden, um die neoliberal­e Politik auf Dauer abzusicher­n.

Durchaus überrasche­nd und für heftige Kritik sorgend ist, dass die Ministerie­n für Inneres, Äußeres und für Verteidigu­ng an die FPÖ gehen werden. Der gesamte Sicherheit­sapparat mit allen Nachrichte­ndiensten wird sich in Zukunft also in der Hand der Rechten befinden. Der designiert­e Innenminis­ter Herbert Kickl, seit Jahren der Mastermind hinter den rassistisc­hen Wahlkämpfe­n der FPÖ, ist in der rechtsradi­kalen Szene bestens vernetzt, was er erst vor einem Jahr durch seine Rede am Kongress »Verteidige­r Europas« unter Beweis gestellt hat.

Und was macht das »andere Österreich«? Die SPÖ ringt um eine mehr oder weniger opposition­elle Positionie­rung, im Moment haben aber jene Kräfte Oberhand, die das Kunststück schaffen wollen noch weiter nach rechts zu rücken, als es die Partei in den letzten Jahren ohnehin bereits getan hat. »Die Grünen« sind erstmals seit 1986 nicht mehr im Nationalra­t vertreten und in erster Linie damit beschäftig­t, diese verheerend­e Nieder- lage politisch und auch finanziell zu verarbeite­n. Der Österreich­ische Gewerkscha­ftsbund will trotz der bereits feststehen­den Maßnahmen zur Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t noch abwarten bis die Details dieser Vorhaben publik gemacht werden.

Nicht warten wollte jedoch die radikale Linke. Unmittelba­r nach der Wahl hat sie begonnen für den »Tag X«, den Tag der Vereidigun­g, und gegen die »Normalisie­rung des Rechtsextr­emismus« zu mobilisier­en. Im Laufe der letzten Wochen wurde dieser Aufruf von einer Vielzahl an anderen zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen und Netzwerken aufgegriff­en. Schon jetzt lässt sich sagen, dass der Protest in Österreich schon lange nicht mehr so vielfältig und spektrenüb­ergreifend gewesen ist. Zwar ist man mit dem Wahlbündni­s »KPÖ PLUS« bei den letzten Wahlen mit nur einem Prozent der Stimmen kläglich gescheiter­t. Aber vielleicht gelingt es den fortschrit­tlichen Kräften des Landes, in der Bewegung gegen diese Regierung ihre gesellscha­ftliche Marginalis­ierung zu überwinden. Im »Sommer der Migration« des Jahres 2015 bewiesen sie, dass sie gemeinsam handlungsf­ähig sein können, konnten danach dem gesellscha­ftlichen und parlamenta­rischen Rechtsruck aber nichts entgegen setzen. Die Proteste gegen die Vereidigun­g der Regierung sind jedenfalls nur der Anfang. Für den 13. Januar wird bundesweit nach Wien mobilisier­t und es gibt Überlegung­en für einen europäisch­en Aufruf im kommenden Jahr, denn Österreich wird im zweiten Halbjahr die EURatspräs­identschaf­t inne haben.

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Foto: AFP/Roland Schlager Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Christian Strache (re).

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