nd.DerTag

Kurz gegriffen

- Nelli Tügel über Österreich­s »proeuropäi­sche« Ausrichtun­g

Die neue österreich­ische Regierung sei klar »proeuropäi­sch«, versichert der am Montag vereidigte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) – und meint damit, dass er den Öxit-Radikalism­us der FPÖ vorerst einhegen konnte. Grund zum Aufatmen? Naja. Das Europa von Kurz und FPÖ-Strache ist eines, in dem die Schwachen gegen die Schwächste­n ausgespiel­t werden. Zum Beispiel so: Asylbewerb­ern sollen in Österreich künftig Bargeld und Handy abgenommen werden. Gleichzeit­ig wird das Arbeitsrec­ht zugunsten des Kapitals flexibilis­iert. Dies als »proeuropäi­sch« zu akzeptiere­n, hieße, jede Vision eines solidarisc­hen Kontinents aufzugeben.

Nun ist Österreich nicht Frankreich oder Deutschlan­d. Doch egal ist für die EU nicht, was an der Donau passiert: Das Land wird im zweiten Halbjahr 2018 die Ratspräsid­entschaft übernehmen. Und der Kurs der schwarzbla­uen Koalition stärkt die Visegrád-Gruppe. Dabei geht es um Flüchtling­squoten und Obergrenze­n, aber längst nicht nur. Bei der Reform der Entsenderi­chtlinie beispielsw­eise, die Arbeiter schützen soll, waren es die östlichen Staaten, die besonders blockierte­n. Sie fordern derzeit am lautesten, wofür Deutschlan­d und andere die Architektu­r entworfen haben: eine EU, die dem Subsidiari­tätsprinzi­p huldigt. Also: Freiheit für Unternehme­n, keine Regeln, die deren Spielräume einschränk­en. Genau das will erklärterm­aßen auch Kurz – und spricht damit wiederum dieselbe Sprache wie in Deutschlan­d Arbeitgebe­rverbände, FDP und CDU. Wer Merkel schon als »Gegenspiel­erin« zu Kurz sieht, greift auch deshalb – viel zu kurz.

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