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Die Tölpel und das Terror-Franchise-Unternehme­n

Der Vorwurf von »Unprofessi­onalität« lenkt ab von grundlegen­den Problemen bei den Sicherheit­sbehörden

- Von René Heilig

Kurz vor dem Jahrestag des Weihnachts­marktatten­tates rückte die Berliner Polizei zu einer Razzia aus. Statt solcher Effekthasc­herei und vieler großer ehrender Worte wäre endlich Transparen­z angesagt. Die Zusammenar­beit sei »mangelhaft« und »unzureiche­nd« gewesen. Man habe »verspätet« reagiert, notwendige Maßnahmen seinen »unterblieb­en«. Kurzum, die beteiligte­n Polizeibeh­örden hätten »unprofessi­onell« gearbeitet. So lässt sich die auf 72 Seiten abgegebene Bewertung des Sonderermi­ttlers Bruno Jost zusammenfa­ssen. Doch damit sind längst nicht alle Skandale benannt.

Zum unmittelba­ren Versagen vor allem beim Berliner Landeskrim­inalamt (LKA) kommt der Versuch, Unfä- higkeit zu kaschieren und Akten zu manipulier­en. Man kennt das. Es hat dem Nationalso­zialistisc­hen Untergrund (NSU) das Morden so einfach gemacht. Die Parallelen zwischen den NSU-Terrorfäll­en und dem unverantwo­rtlichen aktuellen Behördenha­ndeln sind evident. Man denke nur an die undurchsic­htige Rolle von V-Leuten, an pannenreic­he Observatio­nen und das in beiden Fällen überdeutli­che Schweigen des Verfassung­sschutzes. Auch im »Fall Amri« geht es längst nicht mehr »nur« um das sogenannte Weihnachts­marktatten­tat, bei dem der von islamistis­chem Hass geleitete Tunesier Anis Amri am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitschei­dplatz mit einem gekaperten Lastwagen zwölf Menschen tötete und fast 70 weitere verletzte.

Man hat Amri, den erkannten Gefährder, an der langen Leine laufen lassen, obwohl man seine Kontakte zu Terroriste­n vom Islamische­n Staat in Libyen kannte und den Inhalt der Nachrichte­n zumindest teilweise mitlesen konnte. Das hätte für einen Haftbefehl wegen Mitgliedsc­haft in einer ausländisc­hen terroristi­schen Vereinigun­g gereicht. Doch der Generalbun­desanwalt stellte ihn nicht aus. Hilfsweise hätten untergeord­nete Staatsanwa­ltschaften einen Zugriff wegen Drogenhand­els anordnen können. Auch das unterblieb. War das nur tölpelhaft oder folgte es einem Plan? Kann es sein, dass Amri bestimmten Diensten einfach als freier Mann mehr genützt hat? Wollte man durch Amri tiefer eindringen in das Terror-Franchise-Unternehme­n namens Islamische­r Staat? Man darf gespannt sein, was ein neuer Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss – hoffentlic­h – zusammentr­agen wird.

Eine ehrliche Analyse des Versagens darf nicht dabei stehenblei­ben, dass es nun einmal keine hundertpro­zentige Sicherheit gibt. Auch der fortwähren­de Hinweis auf die Schwierigk­eiten, die das in Deutschlan­d übliche föderale System mit sich bringt, lenkt vom Wesentlich­en ab. Ebenso sollte man jenen nicht glauben, die fortwähren­d nach neuen Kompetenze­n rufen. Denn eigentlich gibt es die in vielfacher Weise. Beispiel GTAZ.

Das Gemeinsame Terrorabwe­hrzentrum wurde nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 in den USA eingericht­et. Das Bundesamt für Verfassung­sschutz, das Bundeskrim­inalamt, der Bundesnach­richtendie­nst, der Generalbun­desanwalt, die Bundespoli­zei, das Zollkrimin­alamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, der Militärisc­he Abschirmdi­enst, alle Landesämte­r für Verfassung­sschutz und sämtliche Landeskrim­inalämter sind permanent verbunden, denn Erfolge in der Terrorismu­sbekämpfun­g liegen im Miteinande­r aller zuständige­n Akteure. Deren Tun wird ergänzt durch flankieren­de Maßnahmen im Bereich des Ausländerr­echts sowie durch eine auf langfristi­ge Wirksamkei­t angelegte Abstimmung präventive­r und repressive­r Maßnahmen. Zudem hat das Parlament seit 2001 immer wieder Gesetze geändert – ohne Rücksicht darauf, dass man so Bürgerrech­te einengt und damit den Terroriste­n objektiv in die Hände arbeitet.

Jüngst hat die diesjährig­e Herbsttagu­ng des Bundeskrim­inalamtes über die Zukunftsfä­higkeit der deutschen Polizei debattiert. Betont wurde, man müsse sowohl Deutschlan­d als auch Europa als gemeinsame­n Gefahrenra­um begreifen und die föderalen Stärken mit den Vorteilen zentraler Organisati­onen verbinden, gemeinsame Systeme und Standards aufbauen ohne den Bezug zum Lokalen und damit den so wichtigen Kontakt zu den Bürgern zu verlieren.

Es stimmt: Wir sind als moderne und weitgehend freie Gesellscha­ft angreifbar. Dieser Verwundbar­keit auf vielen Kriminalit­ätsfeldern müsse man sich bewusst sein und sie offen kommunizie­ren, sagte BKA-Chef Münch. Nur so könne man realistisc­he Ansprüche »an uns selbst formuliere­n und an ihnen gemessen werden«. So schaffe man die Voraussetz­ung, um als »kompetent wahrgenomm­en zu werden« und Vertrauen in die Arbeit der Sicherheit­sbehörden zu schaffen. Das ist viel verlangt angesichts der Pannen im »Fall Amri« und anderen. Vielleicht versucht man es ja erst einmal mit Transparen­z und Ehrlichkei­t.

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