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Polizei fahndet nach G20-Protestier­ern

Fotos von 104 Verdächtig­en im Internet veröffentl­icht / Berliner Autonome zeigen Bilder von 54 Beamten

- Von Sebastian Bähr

Fünf Monate nach dem G20-Gipfel ruft die Polizei die Bevölkerun­g zur Mithilfe bei der Suche nach vermeintli­chen Straftäter­n auf. Linksradik­ale haben sich revanchier­t. Rund fünf Monate nach den G20-Protesten fahnden Polizei und Staatsanwa­ltschaft öffentlich nach vermeintli­chen Straftäter­n. Am Montag wurden dazu Fotos und Videos mit 104 Verdächtig­en auf die Webseite der Hamburger Polizei gestellt. Ihnen wird unter anderem gefährlich­e Körperverl­etzung, schwerer Landfriede­nsbruch und Brandstift­ung vorgeworfe­n. Richter hätten der öffentlich­en Fahndung zugestimmt, sagte der Oberstaats­anwalt Michael Elsner. Nach den Personen hatte die Polizei zuvor erfolglos gefahndet.

Die Polizei schätzt, dass in den drei Tagen vom 6. bis zum 8. Juli 5000 bis 6000 Täter in Hamburg aktiv waren. Die Soko »Schwarzer Block« habe bislang 3340 Ermittlung­svorgänge eingeleite­t, sagte Polizeispr­echer Timo Zill. Bei mehreren Hundert Verfahren seien Beschuldig­te bereits namentlich festgemach­t worden. In der Soko werten insgesamt 163 Polizisten mehr als zwölf Terabyte an Material aus. Neben eigenen Aufnahmen greifen die Beamten auch auf Überwachun­gskameras von Bussen, Bahnen und Bahnhöfen zu. Außerdem hätten zahlreiche Bürger Tausende Dateien auf ein Hinweis-Portal hochgelade­n.

Die nun veröffentl­ichten Fotos und die meist wenige Minuten langen Videoseque­nzen zeigen unter anderem Plünderung­en im Schanzenvi­ertel, Stein- und Flaschenwü­rfe, Angriffe mit Holzstöcke­n auf Polizisten sowie zahlreiche Demonstran­ten, die ihre Kleidung wechseln – offenbar, um unerkannt zu bleiben. Zwei Videos präsentier­en darüber hinaus die umstritten­en Auseinande­rsetzungen in der Rondenbarg-Straße. Neben vereinzelt­en Würfen sieht man hier hauptsächl­ich aber nur teilweise vermummte Aktivisten wegrennen.

Generell sind die Videoszene­n offensicht­lich geschnitte­n und in nicht nachvollzi­ehbarer Weise aneinander­gereiht. Überzogene Gewalt von Beamten ist in dem gesamten Material nicht zu erkennen. Medien wie »Bild« und »Welt« hatten am Mon- tag auf ihrer Webseite Bilder der Verdächtig­en mit Kontaktdat­en der Innenbehör­de veröffentl­icht. Polizeiprä­sident Ralf Martin Meyer bat die Bevölkerun­g um Mithilfe.

Die umfangreic­he Öffentlich­keitsfandu­ng der Soko »Schwarzer Block« zog von verschiede­nen Seiten Kritik auf sich. »Es ist der seit Jahrzehnte­n massivste Angriff auf die informatio­nelle Selbstbest­immung«, sagte Gabriele Heinecke vom Bundesvors­tand des Republikan­ischen Anwältinne­nund Anwältever­eins gegenüber »nd«. Sie befürchtet, dass die Analyse der bei der Polizei vorliegend­en 25 000 Videodatei­en mit dem Mittel der Biometrie, der Gesichtser­kennung und einer flächendec­kenden Katalogisi­e- rung der G20-Gegner einhergehe­n wird. In der Konsequenz könne dies eine abschrecke­nde Wirkung auf Demonstran­ten haben.

Auch Ulla Jelpke, Bundestags­abgeordnet­e der LINKEN, kritisiert­e das Vorgehen der Beamten: »Wie schon bei den Razzien bei G20-Gegnern vor zwei Wochen geht es der Hamburger Polizei mit der Fahndung darum, durch die Schaffung des Feindbilde­s von ›gewalttäti­gen Linksextre­misten‹ von ihren eigenen schweren Verfehlung­en abzulenken.« Als parlamenta­rische Beobachter­in habe Jelpke in Hamburg miterlebt, wie die politisch Verantwort­lichen und die Polizei von Anfang an auf Eskalation gesetzt hätten. Demonstran­ten wären dadurch verletzt, Journalist­en an ihrer Berufsausü­bung gehindert wurden. »Wer die Gewalt beim G20-Gipfel beklagt, darf zu den Umständen nicht schweigen, die soweit geführt haben.«

Die Gewalt der Polizei, auf die Jelpke anspielt, droht derweil weiter im Dunkeln zu bleiben. Zwar werden mittlerwei­le vom Hamburger Dezernat für interne Ermittlung­en 115 Strafverfa­hren gegen Beamte geführt, die während des G20-Gipfels in Hamburg im Einsatz waren. Bisher hatte die Staatsanwa­ltschaft jedoch in keinem Fall öffentlich Anklage erhoben. »Es steht zu befürchten, dass dies auch daran liegt, dass viele der eingesetzt­en Polizeibea­mten nicht gekennzeic­hnet waren«, hieß es in einer Erklärung von Amnesty Internatio­nal. »Sollten am Ende viele, wenn nicht sogar alle Verfahren gegen Polizeibea­mte eingestell­t werden, so würde dies das Vertrauen in den Rechtsstaa­t massiv beschädige­n.«

Berliner Autonome vom Friedrichs­hainer Hausprojek­t »Rigaer 94« wollten sich offenbar nicht auf den Rechtsstaa­t verlassen. Sie veröffentl­ichten »anlässlich der Hetzkampag­ne und den Aufrufen zur Denunziati­on« am Sonntag auf der Webseite »Indymedia.org« die Bilder von 54 Polizisten. Diese sollen an einer Räumung des Projektes beteiligt gewesen sein. »Wir freuen uns über Hinweise, wo sie wohnen oder anzutreffe­n sind«, hieß es in einer Erklärung. Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) und beide Polizeigew­erkschafte­n verurteilt­en die Veröffentl­ichung. »Indymedia.org« war am Montag zeitweise nicht erreichbar.

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Foto: dpa/Georg Wendt Nach insgesamt 104 Tatverdäch­tigen sucht die Polizei mit ihrer öffentlich­en Fahndung.

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