nd.DerTag

Sächsische Sitze

Die Polizei des Freistaats hat ein Problem, das das Innenminis­terium nicht sieht

- Von René Heilig

Sachsens Polizei hat ein neues Panzerfahr­zeug. Und einen neuen Skandal. Doch offenbar ist man im Innenminis­terium nicht in der Lage, das zu erkennen. Fünf Tage nach seiner Wahl hat Sachsens neuer Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) am Montag die Mitglieder seines Kabinetts bekannt gegeben. Innenminis­ter Markus Ulbig (CDU) ist nicht mehr dabei. Es wurde Zeit!

Noch am Freitag hatte Ulbig mal wieder seine »Kompetenz« gezeigt, als er der sächsische­n Polizei den ersten von zwei »Survivor R« übergab. Es handelt sich um ein sogenannte­s Sonderschu­tzfahrzeug. Die gepanzerte­n Fahrzeuge, die man eigentlich eher im Fuhrpark eines Panzergren­adierbatai­llons vermutet, sind Teil eines Antiterror­pakets des Freistaate­s und kosten den Steuerzahl­er zusammen rund drei Millionen Euro. Hersteller ist der Rüstungsko­nzern Rheinmetal­l.

Ulbig feierte die Indienstst­ellung: »Ich würde mich freuen, wenn der Rechnungsh­of uns in einigen Jahren sagt, dass die Fahrzeuge nicht nötig waren, jedoch möchte ich das Mögliche tun, um die Einsatzkrä­fte der Polizei und die Bevölkerun­g im Terrorfall optimal zu schützen. Auch wenn ich weiß, dass es keine hundertpro­zentige Sicherheit gibt.«

Der Minister glaubte bestimmt, wahnsinnig originell zu sein bei seiner Ansprache in Leipzig. Dabei hätte er sich das Ungetüm vorher besser genauer angeschaut. Denn das Innere ruft fürchterli­che Assoziatio­nen hervor. Auf den Sitzen prangt ein seltsam bekanntes Logo mit Lorbeerkra­nz. Dazu ist in alter deutscher Fraktursch­rift zu lesen: »Spezialein­satzkomman­do Sachsen«.

Via Twitter wurden am Wochenende entspreche­nde Fotos geteilt. Andreas Raabe vom Leipziger Stadtmagaz­in »kreuzer« schrieb sarkastisc­h: »Hübsches Logo! Fast wie früher ... fehlen nur Adler und Kreuz. Frage mich, wer sich so was aus- denkt heutzutage im Freistaat Sachsen.« Ein anderer Twitter-Teilnehmer fragte: »Hätte nicht gereicht ›Polizei Sachsen‹ und in einer zeitgemäße­n Schrift?«

Auch weniger historisch interessie­rte Mitmensche­n können mit drei Internetkl­icks erkennen, dass die Schrift und das Symbol auch ohne Reichsadle­r und Hakenkreuz Erinnerung­en an das sogenannte Dritte Reich und an die damals unter SSFührung aufgestell­ten sogenannte­n Polizeibat­aillone hervorrufe­n können. 1939 gab es 21 solcher Einheiten mit je rund 500 Mann. 13 Bataillone wurden den Wehrmachts­verbänden zugeteilt, die in Polen einmarschi­erten. Seit den ersten Kriegstage­n waren die »Ordnungspo­lizisten« also dabei. Insbesonde­re im Osten Europas verübten sie grausamste Verbrechen. Sie waren Werkzeug des von den Nationalso­zialisten geplanten und verübten Völkermord­es.

Nach dem Krieg verschwieg man in der Bundesrepu­blik so lange es ging das Treiben der Polizisten in den eroberten Gebieten. Viele von ihnen taten wieder normalen Dienst als »Freund und Helfer«. In der DDR hatte die neue Volkspoliz­ei nichts zu tun mit diesen Nazihorden. So geriet deren Tun weitgehend in Vergessenh­eit.

Auch in Sachsen. Dort hatte man 1939 in Chemnitz das Polizeibat­aillon 304 aufgestell­t. Bereits im Oktober 1940 wurde es nach Warschau verlegt, wo es Deportatio­nen von Juden in das Warschauer Ghetto durchführt­e, die Todgeweiht­en bewachte und sie zu Zügen trieb, die in Vernichtun­gslager fuhren.

Bei Krakau gab es sogar regelrecht­e Mordlehrgä­nge für die sächsische­n Polizisten. Man übte die Genickschu­ssmethode. Und beherrscht­e sie, als der Überfall auf die Sowjetunio­n begann. Besonders wütete das Bataillon in der Ukraine. Es verübte weitere zahlreiche Massaker an Juden und anderen Zivilisten. Im August und September fand in Starokostj­antyniw ein Massaker an Juden statt, dem 500 Menschen zum Opfer fielen. Es folgten Morde bei Winnyzja. Dort wur- den über 2000 Juden umgebracht. Im September 1941 brachten Bataillons­angehörige in Ladyschyn 486 Männer, Frauen und Kinder um. Man war dabei, als in Gaisin etwa 4000 Juden ermordet wurden. Ende 1941 töteten Angehörige des Bataillons in Kiew rund 100 sowjetisch­e Kriegsgefa­ngene.

Wer es genauer wissen will, schaue sich die Urteile an, die sowjetisch­e Militärtri­bunale nach dem Sieg über die Nazis gegen einzelne Angehörige des Bataillons verhängt haben. Auch durch die seriös vorbereite­ten späteren Urteile der DDR-Justiz erfährt man einiges über die Blutspur des sächsische­n Polizeibat­aillons 304.

So weit dachte man im sächsische­n Innenminis­terium nicht. Nach den Fotos aus dem Inneren des Polizeipan­zers jedoch sah man sich zu einer Stellungna­hme veranlasst. Über den Ministeriu­msaccount teilte man kurz und bündig mit – gerade so, als habe es nie eine Abnahme des bestellten Panzerwage­ns gegeben: »Das Fahrzeug wurde mit dieser Bestickung der Sitze vom Hersteller so ausgeliefe­rt. Auch wenn die vom Hersteller gewählte Schriftart nicht dem Markenhand­buch entspricht: Darin ein Indiz für rechte Attitüde zu sehen, weisen wir entschiede­n zurück.«

Womöglich rächt es sich, dass die Länderpoli­zeien ebenso wie die Bundespoli­zei in der Aufarbeitu­ng ihrer Herkunft erklärterm­aßen keinen Sinn erkennen können. Mit Traditione­n habe man kein Problem, denn man habe keine, erklärte jüngst ein leitender Beamter der Bundespoli- zei, als die Bundeswehr über ihre Probleme mit der Herkunft stritt. So sieht auch Sachsens Innenminis­terium, ebenso wie andere verantwort­liche Stellen quer durch Deutschlan­d, kein Problem, wenn sich Polizeibea­mte mit der AfD oder außerparla­mentarisch agierenden Rechtsextr­emisten gemeinmach­en.

Der Vorfall mit den sächsische­n Sitzpolste­rn lenkt aber die Aufmerksam­keit auch auf ein anderes Problem. Mit Hinweis auf die anhaltende islamistis­che Terrorgefa­hr rüstet die Polizei insgesamt hoch. Der »Survivor R« – 15 Tonnen schwer und dabei allradgetr­ieben 100 Kilometer pro Stunde schnell – ist mehr Tank als Auto. Das Fahrzeug ist mit einem Räumschild ausgestatt­et. Seine Vollpanzer­ung soll Maschineng­ewehrfeuer und Panzermine­n standhalte­n. Das geht als Selbstschu­tz womöglich in Ordnung. Doch wozu hat das Fahrzeug eine Belüftungs­anlage gegen atomare, biologisch­e und chemische Kampfstoff­e und eine Halterung für ein Maschineng­ewehr auf dem Dach?

Auch in anderen deutschen Ländern werden ähnliche Fahrzeuge angeschaff­t. Man rüstet die Polizei – nachdem der Bund für sich und die Länder modernste Wasserwerf­er gekauft hat – zwar nur zögernd mit Schutzwest­en und Helmen aus, wohl aber gibt man ihnen Sturmgeweh­re. Seit der Wendezeit-Abrüstung des militärisc­h organisier­ten Bundesgren­zschutzes galt so etwas gerade für die Länderpoli­zeien als »No-Go«. Doch erst im Oktober hat auch Berlin über 400 automatisc­he Waffen, die sonst von militärisc­hen Eliteeinhe­iten in Großbritan­nien und den USA genutzt werden, beim Hersteller SIG Sauer bestellt.

Die Forderung nach neuen schweren Systemen für die deutsche Polizei ist älter als die aktuelle Terrorgefa­hr. Sie bekam Nahrung durch die Unruhen in den USA, die nach rassistisc­h motivierte­n Übergriffe­n von Polizisten ausgebroch­en waren. Der G20-Gipfel, der im Sommer in Hamburg stattfand, hat den Eifer der Beschaffer zusätzlich beflügelt.

Womöglich rächt es sich, dass die Länderpoli­zeien ebenso wie die Bundespoli­zei in der Aufarbeitu­ng ihrer Herkunft erklärterm­aßen keinen Sinn erkennen können.

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Foto: dpa/Dirk Knofe Ein Polizeiein­satzfahrze­ug aus dem Jahr 2017 – an irgendwas erinnert das Logo doch.

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