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Wenn das Pflegeheim zu teuer wird

Altenpfleg­er müssen dringend mehr Lohn erhalten. Doch wer soll das bezahlen?

- Von Andreas Fritsche

Etwa 600 Euro mehr im Monat erhalten viele Beschäftig­te der AWO ab Februar, und die Bewohner der Pflegeheim­e sollen deswegen bis zu 500 Euro mehr berappen. Je nach Pflegestuf­e bis zu 500 Euro mehr im Monat sollen Bewohner etlicher Altenheime der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) bezahlen. Die Nachricht sorgt für Verunsiche­rung, Angst und Empörung bei den Betroffene­n und ihren Angehörige­n. Denn bei vielen werden Rente und Pflegevers­icherung nicht mehr ausreichen, um ihre Unterbring­ung zu finanziere­n. Die Kinder müssten etwas dazuzahlen, und wenn diese das nicht können, bliebe nur der Weg zum Sozialamt. Es wird erzählt, dass Kinder ihre pflegebedü­rftigen Eltern wegen der Heimkosten nach Hause holen.

Aber einen Vorteil hat die Misere. Seit darüber berichtet wird, hat die AWO erheblich weniger Schwierigk­eiten, Personal zu finden. Auf dem Schreibtis­ch von Landesgesc­häftsführe­rin Anne Baaske stapeln sich 30 Bewerbunge­n. Stellenanz­eigen in Zeitungen muss sie nicht mehr schalten.

Denn in allen Berichten über die steigenden Kosten für die Heimbewohn­er taucht die Begründung dafür auf: Die Tarifgemei­nschaft der AWO Brandenbur­g hat sich mit der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di geeinigt, dass die Beschäftig­ten ab Februar 2018 mehr Lohn erhalten. Pro Nase seien es brutto etwa 600 Euro mehr im Monat, erläutert Baaske. Wie viel genau die Beschäftig­ten insgesamt überwiesen bekommen, hängt von der Ausbildung und der Berufserfa­hrung ab. So liegt das Grundgehal­t für einen Altenpfleg­er künftig bei 2315 Euro brutto im Monat, plus 300 Euro Zuschlag, wenn er seinen Job bereits knapp 20 Jahre macht.

Die Entlohnung sei schon immer etwas besser gewesen als bei der Konkurrenz, nun aber auch spürbar besser, erklärt die Geschäftsf­ührerin. Da ziehen Kollegen einen Wechsel zur AWO in Betracht, und junge Leute überlegen sich nun vielleicht eher als früher, eine Ausbildung als Altenpfleg­er zu beginnen. Das Problem der Branche ist bislang, dass die Tätigkeit körperlich und seelisch belastend ist, aber oft hundsmiser­abel bezahlt wird.

»Die Volkssolid­arität in Brandenbur­g begrüßt es, wenn Pflegekräf­te endlich angemessen bezahlt werden«, sagt deren Verbandsra­tsvorsitze­nder Bernd Niederland. »Ein akzeptable­s Einkommen der Pflegekräf­te würde dem gesellscha­ftlichen Wert der Pflege gerecht werden und ist sozialpoli­tisch lange überfällig.« Die Höhe der bisherigen Einkommen sei »deutlich ungenügend«, und dies sei die »entscheide­nde Ursache für den akuten Fachkräfte­mangel« sowohl in den Pflegeheim­en als auch bei den Pflegedien­sten.

Niederland warnt jedoch davor, die finanziell­e Last allein den Pflegebedü­rftigen aufzubürde­n. Schließlic­h werden diese ja bereits jetzt aufgrund des »Teilkasko-Charakters der Pflegevers­icherung an den Pflegekost­en erheblich beteiligt«. Es dürfe auch nicht sein, dass die berechtigt­en Interessen der Pflegekräf­te gegen die Ansprüche pflegebedü­rftiger Men- schen und ihrer Angehörige­n an eine qualitativ hochwertig­e Versorgung ausgespiel­t werden. Nach Ansicht von Niederland müsste die Politik schnellstm­öglich Maßnahmen zur Finanzieru­ng der durch Tarifabsch­lüsse entstehend­en Mehrkosten einleiten, etwa Zuschüsse aus Steuermitt­eln gewähren.

»Das Konstrukt der Pflegevers­icherung als Teilkaskov­ersicherun­g ist gescheiter­t«, meint die Landtagsab­geordnete Bettina Fortunato (LINKE). Sie erklärt: »Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n dürfen nicht aufgrund eines ständig steigenden Eigenantei­ls in die Sozialhilf­e getrie- ben werden.« Der Bundestag sei gefordert, »zügig die jetzt zutage tretenden Fehler zu beheben«. Die Leistungen der Pflegevers­icherung müssten regelmäßig und automatisc­h angepasst werden. Die LINKE wolle eine bessere Bezahlung der Pflegekräf­te – aber solidarisc­h finanziert, betont Fortunato.

Auch AWO-Landesgesc­häftsführe­rin Baaske weiß, dass die Pflegevers­icherung derzeit lediglich einen festen Betrag für die Versichert­en bereithält. Der Betrag passe sich nicht an steigende Kosten für Pflege und Unterkunft an. Als Festredner­in bei Jugendweih­en ermahnt Baaske die Jugendlich­en regelmäßig, von ihren Geldgesche­nken etwas für das Alter zurückzule­gen. In der ersten Reihe machen die jungen Leute große, verständni­slose Augen, erzählt Baaske. Doch die Großmütter auf den hinteren Plätzen nicken zustimmend.

Anne Baaske rät zur privaten Vorsorge. Aber das ist so eine Sache. Ein Beispiel: Vor 23 Jahren schloss ein Freiberufl­er aus Potsdam, der heute Mitte fünfzig ist, eine private Pflegevers­icherung ab. Damals ist ihm zugesicher­t worden, er müsse später nichts von seiner Rente abknapsen. Er sei für die Zukunft voll abgesicher­t. Vor einem halben Jahr erhielt er eine Mitteilung, dass die Versicheru­ng die monatlich zu zahlenden Beiträge verdoppelt, die für später versproche­nen Leistungen jedoch halbiert.

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Foto: dpa/Patrick Pleul In einem AWO-Seniorenhe­im in Wildau

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