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Im Banne des Vergangene­n

Die Dresdner Semperoper landet mit Erich Wolfgang Korngolds Oper »Die Tote Stadt« einen Coup

- Von Roberto Becker

In Dresden steht die Vergangenh­eit hoch im Kurs, was verschiede­ne Gesichter hat und heutzutage nicht immer das pure Wohlbehage­n erzeugt. In der Semperoper gehört der Blick zurück aber zum Sinn und Zweck des Hauses. Dazu zählen Wiederbege­gnungen ebenso wie jetzt die späte Rückkehr von Erich Wolfgang Korngolds Oper »Die tote Stadt«, einem schwelgeri­schen Werk mit zwei unverwüstl­ichen Ohrwürmern: »Glück, das mir verblieb …« und »Mein Sehnen, mein Wähnen, …«. Dazu ein musikalisc­hes Drumherum aus dem Graben und auf der Bühne, das ohne Weiteres mit den großen Opern von Richard Strauss oder Puccini mithalten kann.

Als diese Oper 1920 parallel in Köln und Hamburg uraufgefüh­rt wurde, war der Komponist gerade mal 23 Jahre alt. Allerdings stand Korngold längst unter Genieverda­cht und war als Wunderkind etabliert. Seine Karriere endete in Deutschlan­d mit dem zur Staatsdokt­rin gewordenen Rassenwahn der Nazis. Der jüdische Komponist ging in die USA nahm sich der Entwicklun­g der Film- musik in Hollywood an. Mit der metaphoris­chen »toten Stadt« ist das reale Brügge gemeint – oder auch dessen symbolisti­sche Überhöhung in Georges Rodenbachs Roman »Bruges-la-Morte«, aus dem Korngolds Vater unter Pseudonym das Libretto geschöpft hat.

Paul kommt nicht über den Tod seiner Ehefrau Marie hinweg. Er hat sich im morbiden Brügge eine »Kirche des Gewesenen« eingericht­et, ihr Bild und eine Haarsträhn­e zum Altar gemacht, die Fenster zugezogen. So düster gruftig, wie das klingt, so sieht die Bühne bei Patrick Bannwart auch aus. Der Name Marie ist an die Wand eines riesigen Raumes gesprayt, manchmal taucht ihr Bild als Negativvid­eo an der Wand auf. Dort ist auch die musikalisc­h aufgedonne­rte Prozession als Schattensp­iel zu sehen. Paul lebt in den Ruinen seines Lebens. Er wird von blonden Zombies heimgesuch­t und einmal füllen sage und schreibe 128 Kilometer blonde Haare den ganzen Bühnenraum.

Als ihm die lebenslust­ige Marietta über den Weg läuft, die der Toten ähnelt, wird für Paul daraus eine Art Wiedergäng­erin. Die junge Tänzerin, die hier einbricht, kann natürlich dem Vergleich mit der Toten nicht standhalte­n. Es geht so weit, dass Paul sie erwürgt – was sich allerdings als ein Tagtraum herausstel­lt. Denn in der letzten Szene sieht wieder alles aus wie zu Beginn. Samt der Haushälter­in Brigitta, die den Besuch jener jungen Frau ankündigt, von der man zwischendu­rch mal befürchten musste, dass sie die Begegnung mit Paul nicht überlebt hat. Sie hat. Sie könnte seine Rückfahrka­rte ins Leben sein. Bei Regisseur David Bösch, der sich recht unverstell­t an die Vorlage hält, wird sie es nicht. Als alles vorbei ist und Paul von seinem Freund aufgeforde­rt wird, mit ihm gemeinsam abzureisen, findet er unter dem Teppich doch noch eine Haarsträhn­e und bleibt mit damit am Boden liegen.

Musikalisc­h ist diese Produktion ein Wurf! Das gilt für die Sächsische Staatskape­lle, die Korngolds schwelgeri­scher Musik unter Leitung von Dmitri Jurowski ihre unbestritt­ene Kompetenz als Strauss-Orchester borgt. Dazu kommt eine Besetzung, die mit Burkhard Fritz als standfeste­m, aber auch zur Melancholi­e fähigem Paul und mit Manuela Uhl als lebenslust­iger Marietta die beiden Hauptparti­en exzellent ausstattet. Glücksfäll­e sind Christa Meyer als Haushälter­in Brigitta und Christoph Pohl in der Doppelroll­e als Pauls Freund Frank und als Mariettas Künstlerko­llege Fritz.

Einhellige­r Jubel für eine grandiose Premiere.

Musikalisc­h ist diese Produktion ein Wurf!

Nächste Vorstellun­g am 20.12.

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Foto: David Baltzer/bildbuehne.de Manuela Uhl als Marietta, Burkhard Fritz als Paul

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