Ein verfassungsrechtlicher Skandal
Das Urteil zum KPD-Verbot 1956 war politisch stark beeinflusst und widerspricht heutigen juristischen Standards
Ein fragwürdiges Urteil mit weitreichenden Folgen: Das Verbot der KPD in der Bundesrepublik 1956 war ein Höhepunkt im Kalten Bürgerkrieg der 50er und 60er Jahre. Am 17. Januar 2017 verkündete das Bundesverfassungsgericht in dem bislang letzten Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD seine Entscheidung. Zwar wurde die NPD als verfassungswidrig eingestuft, der Antrag der Bundesländer auf ein Verbot der Partei jedoch als unbegründet zurück – gewiesen, weil es »an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht« fehle, »die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt«.
Mit dieser Begründung distanzierten sich die Karlsruher Richter ausdrücklich von der abweichenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 im KPDProzess, mit der die KPD anders als die NPD heute verboten wurde. In der wörtlich zitierten Begründung des KPD-Urteils hatten die Richter seinerzeit festgestellt, dass eine Partei auch dann verfassungswidrig sein und präventiv verboten werden könne, »wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können«.
Die jüngste Entscheidung der Verfassungsrichter gegen ein Verbot der NPD ist auch für die historische Bewertung des KPD-Verbots von einiger Bedeutung. Zweifellos hat das verfassungsrechtlich gebotene Verfahren zum Verbot einer Partei als Schutzschild einer »wehrhaften Demokratie« nicht nur an Symbolkraft, sondern auch an tatsächlicher Bedeutung verloren. Die potenziellen Antragsteller Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat oder auch einzelne Bundesländer werden sich in Zukunft einmal mehr überlegen, ob ein erneuter Gang nach Karlsruhe überhaupt noch sinnvoll ist. Das verfassungsrechtliche Schwert eines Parteiverbots ist stumpf geworden. Im Vergleich mit anderen Demokratien ist darin durchaus eine gewisse Normalisierung zu sehen, da nicht alles, was politisch als verfassungswidrig eingeschätzt wird, verfassungsrechtlich gleich verboten werden muss.
Diese Tendenz ist durch die bewusste Distanzierung des 2. Senats von der Begründung des KPD-Urteils des 1. Senats aus dem Jahr 1956 noch verstärkt worden. Zu Recht wies der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle gegenüber der Presse darauf hin, dass das Parteiverbot »kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot«, sondern ein »Organisationsverbot« sei. Damit gehört die Gesinnungsjustiz der 50er Jahre endgültig der Vergangenheit an. Wer jedoch ein präventives Verbot »verfassungswidriger Absichten« ohne reale Realisierungschancen als Verbotsgrund ablehnt, bringt das Kartenhaus des KPD-Verbots endgültig zum Einsturz.
Von den insgesamt fünf Verfahren, die in Sachen Parteiverbote vor dem Verfassungsgericht bislang angestrengt worden sind, sind nur die ersten beiden Verfahren gegen die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) im Sinne der Antragstellerin, der damaligen Bundesregierung, erfolgreich verlaufen. Vier von fünf Verfahren richteten sich gegen rechtsextreme Parteien, nur ein Verfahren gegen eine linksextreme Partei.
Bereits 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht einen Antrag von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat auf ein Verbot der NPD zurückgewiesen, da die nachgewiesene Platzierung von V-Leuten des Bundesverfassungsschutzes auf der Führungsebene ein »nicht behebbares Verfahrenshindernis« sei. Ein weiterer Versuch, eine politische Vereinigung verbieten zu lassen, scheiterte 1993, als der Stadtstaat Hamburg einen Verbotsantrag gegen die rechtsextreme Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP) und die Nationale Liste (NL) stellte. Selbst die Unterstützung des Verfahrens durch die Bundesregierung und den Bundesrat brachte nichts. Beide Bemühungen scheiterten bereits im Vorverfahren. Die Begründung lautete, beide Vereinigungen seien im Rechtssinne keine politischen Parteien, da es ihnen an der »Ernstlichkeit« fehle, »auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen und die Funktionen einer Partei zu erfüllen«.
Mit der jüngsten Entscheidung in Sachen NPD-Verbot hat sich das Bundesverfassungsgericht in die Reihe der Kritiker des KPD-Verbots aus dem eigenen Hause eingereiht, jetzt auch als Institution und Verfassungsorgan. Schon bei der Verkündung des KPDVerbots hatte der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Josef Wintrich, jede Verantwortung für die politischen Folgen dieses hochpolitischen Urteils abgelehnt und die politische Verantwortung ausschließlich der Bundesregierung zugeschoben. Wenige Jahre nach dem KPDVerbot räumte Verfassungsrichter Herbert Scholtissek, der selbst am KPD-Urteil mitgewirkt hatte, in einer Fernsehsendung freimütig ein, dass der Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD »gar nicht so schlüssig begründet gewesen sei und unter heutigen Verhältnissen keinerlei Aussicht mehr auf Erfolg hätte«. Auch die Verfassungsrichter Konrad Zweigert und Martin Draht äußerten sich Ende der 1960er Jahre kritisch zu dem eigenen Urteil und beklagten die fehlende Revisionsmöglichkeit.
Selbst Bundesverfassungsrichter und Berichterstatter im KPD-Prozess Erwin Stein räumte 1968 gegenüber einem führenden Kommunisten ein, das Bundesverfassungsgericht habe bis zum Schluss des Verfahrens der Bundesregierung immer wieder angeboten, den Antrag doch zurückzuziehen. 1996 erklärte die damalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, in einem Zeitungsinterview, »dass sie nach heutigen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die KPD nicht verbieten würde«.
Wenn selbst die Verfassungsrichter von der historisch bedeutsamsten Entscheidung in einem Parteiverbotsverfahren abrücken, ist das ein weiteres Argument, die alte Frage neu zu stellen, die schon während des Verfahrens mehrfach gestellt worden und bis heute nicht verstummt ist: War der KPD-Prozess verfassungswidrig? Diese Frage im Kontext einer Geschichte des KPD-Verbots im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg von den Anfängen der beiden deutschen Staaten (1949) bis zu deren gegenseitiger Anerkennung (1972) zu stellen, geht deutlich über eine verfahrensrechtliche Prüfung des Prozesses gegen die KPD hinaus.
Was immer Jutta Limbach mit ihrer relativierenden Äußerung zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gemeint haben mag, steckt dahinter doch die genuin historische Frage: War das, was in den 50er und 60er Jahren praktiziert wurde, überhaupt ein rechtsstaatliches Verfahren? Wie war es in der jungen Bundesrepublik um die Achtung und Einhaltung der grundlegenden Prinzipien und Normen der Rechtsstaatlichkeit bestellt, wie um die Verfassungsstaatlichkeit, die Höchstrangigkeit der Verfassung, wie um die Einhaltung der Grundrechte, die Achtung der Menschenwürde, die Rechtsgleichheit, die Gleichstellung vor dem Gesetz, wie um die Gewaltenteilung, die absolute Trennung, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Gewalten, wie um die Gesetzlichkeit, die Rechtsbindung, den Gesetzesvorrang, den Gesetzesvorbehalt, wie um die Rechtssicherheit, das Bestimmtheitsgebot, die Verhältnismäßigkeit oder das Beratungsgeheimnis? Wie rechtsstaatlich war die Bundesrepublik in der Zeit des Kalten Bürgerkriegs in Deutschland?
Den Maßstab für die rechtliche Beurteilung des KPD-Verfahrens haben die Richter in ihrer KPD-Entscheidung selber gesetzt. Es liegt nahe, diesen Maßstab auch für die historische Beurteilung des größten und bedeutendsten Parteiverbotsverfahrens in der Geschichte der Bundesrepublik zu verwenden: »Das Bundesverfassungsgericht lässt sich in seiner richterlichen Entscheidung durch keinerlei Einwirkung von außen – von wem auch immer sie kommen möge – beeinflussen. Das Bundesverfassungsgericht ist lediglich dem Gesetz unterworfen und entscheidet nur nach Gesetz und Recht.«
Gemessen an diesem Anspruch ist das hier erstmals veröffentlichte Ergebnis intensiver historischer Forschungen geradezu ein Skandal. Das Verfahren des Bundesverfassungsgerichts zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD, das am 24. Januar 1952 begann und mit dem Verbot der Partei und aller ihrer Nebenorganisationen am 17. August 1956 endete, war ein durch und durch verfassungswidriges Verfahren. Der gesamte Prozess ist von Anfang an zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht inhaltlich und taktisch zu Lasten der anderen Prozesspartei, der KPD, abgestimmt worden.
Es gab in diesem Verfahren keine getrennten Gewalten mehr, sondern nur noch einen Staat, der unter dem Druck der Bundesregierung darauf bestand, dass die KPD verboten wurde. Die grundgesetzlich geforderte Unabhängigkeit des Gerichts war nicht gegeben. Bis zum Ende des Verfahrens hat das Gericht immer wieder die Bundesregierung gebeten, den Antrag zurückzuziehen, die das jedoch konstant verweigerte. Jetzt hatte das Gericht nur noch die Möglichkeit, das zu tun, was die Bundesregierung von Anfang an erwartete, nämlich die Verfassungswidrigkeit der KPD festzustellen und die Partei zu verbieten. (...)
Für die Bundesrepublik wurde der Kampf gegen die KPD und den Kommunismus zum einigenden und sinnstiftenden Band für die Neujustierung der Gesellschaft. Die Grenzen, die nicht überschritten werden durften, wurden einerseits weit rechts außen gezogen, etwa gegen die, die den Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder den Völkermord an den Juden in Frage stellten oder sich offen zum Nationalsozialismus und zum »Führer« bekannten. Die Arme zur Integration ehemaliger NSDAP-Mitglieder, NS-Eliten und NS-Täter wurden weit geöffnet.
Die Grenze nach links wurde dagegen bis in die Mitte der Gesellschaft vorgeschoben. Integration und Ausgrenzung bedingten einander. Wie ein Phönix aus der Asche konnten in dieser »antitotalitären« Konstellation die Wähler der bürgerlichen Mitte, die die NS-Diktatur mit ermöglicht und mitgetragen hatten, zu neuen Ämtern aufsteigen und am Aufbau eines antikommunistisch positionierten Weststaates aktiv mitwirken. Ziel war, wie Thomas Dehler es formulierte, »das Bürgertum zu mobilisieren«, gegen die Kommunisten und für die Integration des westdeutschen Teilstaates in den Westen. (...)
Mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD durch das Bundesverfassungsgericht am 10. August 1956 war der Kalte Bürgerkrieg in Deutschland keineswegs beendet, im Gegenteil, die politische Verfolgung von Kommunisten mit rechtlichen Mitteln kam jetzt erst wieder richtig in Gang. Die politischen Strafkammern an den Landgerichten bekamen wieder alle Hände voll zu tun. Ruhende Verfahren mussten entschieden, auf die lange Bank geschobene Verfahren wieder aufgenommen und neue Verfahren eingeleitet werden. Eine Fülle von Ermittlungsverfahren musste abgeschlossen und, was in einem Rechtsstaat nicht vorkommen dürfte, es musste rückwirkend Anklage erhoben werden. Dies betraf vor allem die Führungskader der KPD, deren Tätigkeiten für die Partei als »Rädelsführerschaft« erst verfolgt werden konnten, nachdem die KPD für verfassungswidrig erklärt worden war.
Für die Bundesrepublik wurde der Kampf gegen die KPD und den Kommunismus zum einigenden und sinnstiftenden Band für die Neujustierung der Gesellschaft. Die Grenzen, die nicht überschritten werden durften, wurden einerseits weit rechts außen gezogen. Die Grenze nach links wurde dagegen bis in die Mitte der Gesellschaft vorgeschoben.