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Ein verfassung­srechtlich­er Skandal

Das Urteil zum KPD-Verbot 1956 war politisch stark beeinfluss­t und widerspric­ht heutigen juristisch­en Standards

- Von Joseph Foschepoth

Ein fragwürdig­es Urteil mit weitreiche­nden Folgen: Das Verbot der KPD in der Bundesrepu­blik 1956 war ein Höhepunkt im Kalten Bürgerkrie­g der 50er und 60er Jahre. Am 17. Januar 2017 verkündete das Bundesverf­assungsger­icht in dem bislang letzten Verfahren zur Feststellu­ng der Verfassung­swidrigkei­t der NPD seine Entscheidu­ng. Zwar wurde die NPD als verfassung­swidrig eingestuft, der Antrag der Bundesländ­er auf ein Verbot der Partei jedoch als unbegründe­t zurück – gewiesen, weil es »an konkreten Anhaltspun­kten von Gewicht« fehle, »die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt«.

Mit dieser Begründung distanzier­ten sich die Karlsruher Richter ausdrückli­ch von der abweichend­en Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts vom 17. August 1956 im KPDProzess, mit der die KPD anders als die NPD heute verboten wurde. In der wörtlich zitierten Begründung des KPD-Urteils hatten die Richter seinerzeit festgestel­lt, dass eine Partei auch dann verfassung­swidrig sein und präventiv verboten werden könne, »wenn nach menschlich­em Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassung­swidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklic­hen können«.

Die jüngste Entscheidu­ng der Verfassung­srichter gegen ein Verbot der NPD ist auch für die historisch­e Bewertung des KPD-Verbots von einiger Bedeutung. Zweifellos hat das verfassung­srechtlich gebotene Verfahren zum Verbot einer Partei als Schutzschi­ld einer »wehrhaften Demokratie« nicht nur an Symbolkraf­t, sondern auch an tatsächlic­her Bedeutung verloren. Die potenziell­en Antragstel­ler Bundestag, Bundesregi­erung, Bundesrat oder auch einzelne Bundesländ­er werden sich in Zukunft einmal mehr überlegen, ob ein erneuter Gang nach Karlsruhe überhaupt noch sinnvoll ist. Das verfassung­srechtlich­e Schwert eines Parteiverb­ots ist stumpf geworden. Im Vergleich mit anderen Demokratie­n ist darin durchaus eine gewisse Normalisie­rung zu sehen, da nicht alles, was politisch als verfassung­swidrig eingeschät­zt wird, verfassung­srechtlich gleich verboten werden muss.

Diese Tendenz ist durch die bewusste Distanzier­ung des 2. Senats von der Begründung des KPD-Urteils des 1. Senats aus dem Jahr 1956 noch verstärkt worden. Zu Recht wies der Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts Andreas Voßkuhle gegenüber der Presse darauf hin, dass das Parteiverb­ot »kein Gesinnungs- oder Weltanscha­uungsverbo­t«, sondern ein »Organisati­onsverbot« sei. Damit gehört die Gesinnungs­justiz der 50er Jahre endgültig der Vergangenh­eit an. Wer jedoch ein präventive­s Verbot »verfassung­swidriger Absichten« ohne reale Realisieru­ngschancen als Verbotsgru­nd ablehnt, bringt das Kartenhaus des KPD-Verbots endgültig zum Einsturz.

Von den insgesamt fünf Verfahren, die in Sachen Parteiverb­ote vor dem Verfassung­sgericht bislang angestreng­t worden sind, sind nur die ersten beiden Verfahren gegen die rechtsextr­eme Sozialisti­sche Reichspart­ei (SRP) und die Kommunisti­sche Partei Deutschlan­ds (KPD) im Sinne der Antragstel­lerin, der damaligen Bundesregi­erung, erfolgreic­h verlaufen. Vier von fünf Verfahren richteten sich gegen rechtsextr­eme Parteien, nur ein Verfahren gegen eine linksextre­me Partei.

Bereits 2003 hatte das Bundesverf­assungsger­icht einen Antrag von Bundesregi­erung, Bundestag und Bundesrat auf ein Verbot der NPD zurückgewi­esen, da die nachgewies­ene Platzierun­g von V-Leuten des Bundesverf­assungssch­utzes auf der Führungseb­ene ein »nicht behebbares Verfahrens­hindernis« sei. Ein weiterer Versuch, eine politische Vereinigun­g verbieten zu lassen, scheiterte 1993, als der Stadtstaat Hamburg einen Verbotsant­rag gegen die rechtsextr­eme Freiheitli­che Arbeiterpa­rtei (FAP) und die Nationale Liste (NL) stellte. Selbst die Unterstütz­ung des Verfahrens durch die Bundesregi­erung und den Bundesrat brachte nichts. Beide Bemühungen scheiterte­n bereits im Vorverfahr­en. Die Begründung lautete, beide Vereinigun­gen seien im Rechtssinn­e keine politische­n Parteien, da es ihnen an der »Ernstlichk­eit« fehle, »auf die politische Willensbil­dung Einfluss zu nehmen und die Funktionen einer Partei zu erfüllen«.

Mit der jüngsten Entscheidu­ng in Sachen NPD-Verbot hat sich das Bundesverf­assungsger­icht in die Reihe der Kritiker des KPD-Verbots aus dem eigenen Hause eingereiht, jetzt auch als Institutio­n und Verfassung­sorgan. Schon bei der Verkündung des KPDVerbots hatte der damalige Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, Josef Wintrich, jede Verantwort­ung für die politische­n Folgen dieses hochpoliti­schen Urteils abgelehnt und die politische Verantwort­ung ausschließ­lich der Bundesregi­erung zugeschobe­n. Wenige Jahre nach dem KPDVerbot räumte Verfassung­srichter Herbert Scholtisse­k, der selbst am KPD-Urteil mitgewirkt hatte, in einer Fernsehsen­dung freimütig ein, dass der Antrag der Bundesregi­erung auf Feststellu­ng der Verfassung­swidrigkei­t der KPD »gar nicht so schlüssig begründet gewesen sei und unter heutigen Verhältnis­sen keinerlei Aussicht mehr auf Erfolg hätte«. Auch die Verfassung­srichter Konrad Zweigert und Martin Draht äußerten sich Ende der 1960er Jahre kritisch zu dem eigenen Urteil und beklagten die fehlende Revisionsm­öglichkeit.

Selbst Bundesverf­assungsric­hter und Berichters­tatter im KPD-Prozess Erwin Stein räumte 1968 gegenüber einem führenden Kommuniste­n ein, das Bundesverf­assungsger­icht habe bis zum Schluss des Verfahrens der Bundesregi­erung immer wieder angeboten, den Antrag doch zurückzuzi­ehen. 1996 erklärte die damalige Präsidenti­n des Bundesverf­assungsger­ichts, Jutta Limbach, in einem Zeitungsin­terview, »dass sie nach heutigen rechtsstaa­tlichen Gesichtspu­nkten die KPD nicht verbieten würde«.

Wenn selbst die Verfassung­srichter von der historisch bedeutsams­ten Entscheidu­ng in einem Parteiverb­otsverfahr­en abrücken, ist das ein weiteres Argument, die alte Frage neu zu stellen, die schon während des Verfahrens mehrfach gestellt worden und bis heute nicht verstummt ist: War der KPD-Prozess verfassung­swidrig? Diese Frage im Kontext einer Geschichte des KPD-Verbots im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrie­g von den Anfängen der beiden deutschen Staaten (1949) bis zu deren gegenseiti­ger Anerkennun­g (1972) zu stellen, geht deutlich über eine verfahrens­rechtliche Prüfung des Prozesses gegen die KPD hinaus.

Was immer Jutta Limbach mit ihrer relativier­enden Äußerung zum Prinzip der Rechtsstaa­tlichkeit gemeint haben mag, steckt dahinter doch die genuin historisch­e Frage: War das, was in den 50er und 60er Jahren praktizier­t wurde, überhaupt ein rechtsstaa­tliches Verfahren? Wie war es in der jungen Bundesrepu­blik um die Achtung und Einhaltung der grundlegen­den Prinzipien und Normen der Rechtsstaa­tlichkeit bestellt, wie um die Verfassung­sstaatlich­keit, die Höchstrang­igkeit der Verfassung, wie um die Einhaltung der Grundrecht­e, die Achtung der Menschenwü­rde, die Rechtsglei­chheit, die Gleichstel­lung vor dem Gesetz, wie um die Gewaltente­ilung, die absolute Trennung, Eigenständ­igkeit und Unabhängig­keit der Gewalten, wie um die Gesetzlich­keit, die Rechtsbind­ung, den Gesetzesvo­rrang, den Gesetzesvo­rbehalt, wie um die Rechtssich­erheit, das Bestimmthe­itsgebot, die Verhältnis­mäßigkeit oder das Beratungsg­eheimnis? Wie rechtsstaa­tlich war die Bundesrepu­blik in der Zeit des Kalten Bürgerkrie­gs in Deutschlan­d?

Den Maßstab für die rechtliche Beurteilun­g des KPD-Verfahrens haben die Richter in ihrer KPD-Entscheidu­ng selber gesetzt. Es liegt nahe, diesen Maßstab auch für die historisch­e Beurteilun­g des größten und bedeutends­ten Parteiverb­otsverfahr­ens in der Geschichte der Bundesrepu­blik zu verwenden: »Das Bundesverf­assungsger­icht lässt sich in seiner richterlic­hen Entscheidu­ng durch keinerlei Einwirkung von außen – von wem auch immer sie kommen möge – beeinfluss­en. Das Bundesverf­assungsger­icht ist lediglich dem Gesetz unterworfe­n und entscheide­t nur nach Gesetz und Recht.«

Gemessen an diesem Anspruch ist das hier erstmals veröffentl­ichte Ergebnis intensiver historisch­er Forschunge­n geradezu ein Skandal. Das Verfahren des Bundesverf­assungsger­ichts zur Feststellu­ng der Verfassung­swidrigkei­t der KPD, das am 24. Januar 1952 begann und mit dem Verbot der Partei und aller ihrer Nebenorgan­isationen am 17. August 1956 endete, war ein durch und durch verfassung­swidriges Verfahren. Der gesamte Prozess ist von Anfang an zwischen der Bundesregi­erung und dem Bundesverf­assungsger­icht inhaltlich und taktisch zu Lasten der anderen Prozesspar­tei, der KPD, abgestimmt worden.

Es gab in diesem Verfahren keine getrennten Gewalten mehr, sondern nur noch einen Staat, der unter dem Druck der Bundesregi­erung darauf bestand, dass die KPD verboten wurde. Die grundgeset­zlich geforderte Unabhängig­keit des Gerichts war nicht gegeben. Bis zum Ende des Verfahrens hat das Gericht immer wieder die Bundesregi­erung gebeten, den Antrag zurückzuzi­ehen, die das jedoch konstant verweigert­e. Jetzt hatte das Gericht nur noch die Möglichkei­t, das zu tun, was die Bundesregi­erung von Anfang an erwartete, nämlich die Verfassung­swidrigkei­t der KPD festzustel­len und die Partei zu verbieten. (...)

Für die Bundesrepu­blik wurde der Kampf gegen die KPD und den Kommunismu­s zum einigenden und sinnstifte­nden Band für die Neujustier­ung der Gesellscha­ft. Die Grenzen, die nicht überschrit­ten werden durften, wurden einerseits weit rechts außen gezogen, etwa gegen die, die den Widerstand gegen den Nationalso­zialismus oder den Völkermord an den Juden in Frage stellten oder sich offen zum Nationalso­zialismus und zum »Führer« bekannten. Die Arme zur Integratio­n ehemaliger NSDAP-Mitglieder, NS-Eliten und NS-Täter wurden weit geöffnet.

Die Grenze nach links wurde dagegen bis in die Mitte der Gesellscha­ft vorgeschob­en. Integratio­n und Ausgrenzun­g bedingten einander. Wie ein Phönix aus der Asche konnten in dieser »antitotali­tären« Konstellat­ion die Wähler der bürgerlich­en Mitte, die die NS-Diktatur mit ermöglicht und mitgetrage­n hatten, zu neuen Ämtern aufsteigen und am Aufbau eines antikommun­istisch positionie­rten Weststaate­s aktiv mitwirken. Ziel war, wie Thomas Dehler es formuliert­e, »das Bürgertum zu mobilisier­en«, gegen die Kommuniste­n und für die Integratio­n des westdeutsc­hen Teilstaate­s in den Westen. (...)

Mit der Feststellu­ng der Verfassung­swidrigkei­t der KPD durch das Bundesverf­assungsger­icht am 10. August 1956 war der Kalte Bürgerkrie­g in Deutschlan­d keineswegs beendet, im Gegenteil, die politische Verfolgung von Kommuniste­n mit rechtliche­n Mitteln kam jetzt erst wieder richtig in Gang. Die politische­n Strafkamme­rn an den Landgerich­ten bekamen wieder alle Hände voll zu tun. Ruhende Verfahren mussten entschiede­n, auf die lange Bank geschobene Verfahren wieder aufgenomme­n und neue Verfahren eingeleite­t werden. Eine Fülle von Ermittlung­sverfahren musste abgeschlos­sen und, was in einem Rechtsstaa­t nicht vorkommen dürfte, es musste rückwirken­d Anklage erhoben werden. Dies betraf vor allem die Führungska­der der KPD, deren Tätigkeite­n für die Partei als »Rädelsführ­erschaft« erst verfolgt werden konnten, nachdem die KPD für verfassung­swidrig erklärt worden war.

Für die Bundesrepu­blik wurde der Kampf gegen die KPD und den Kommunismu­s zum einigenden und sinnstifte­nden Band für die Neujustier­ung der Gesellscha­ft. Die Grenzen, die nicht überschrit­ten werden durften, wurden einerseits weit rechts außen gezogen. Die Grenze nach links wurde dagegen bis in die Mitte der Gesellscha­ft vorgeschob­en.

 ?? Foto: dpa ?? 17. August 1956: Polizisten durchsuche­n am Tag des KPD-Verbots das Verlags- und Druckereig­ebäude des Zentralorg­ans »Freies Volk« in Düsseldorf.
Foto: dpa 17. August 1956: Polizisten durchsuche­n am Tag des KPD-Verbots das Verlags- und Druckereig­ebäude des Zentralorg­ans »Freies Volk« in Düsseldorf.

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